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Statt Kampf ein Gerangel

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Mit dem ÖVP-Herbstkon-greß in Graz und dem SPÖ-Parteitag in Wien ist der Nationalratswahl-kampf eigentlich eröffnet. Wie sieht ihn ein bekannter Auslandsjournalist?

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Mit dem ÖVP-Herbstkon-greß in Graz und dem SPÖ-Parteitag in Wien ist der Nationalratswahl-kampf eigentlich eröffnet. Wie sieht ihn ein bekannter Auslandsjournalist?

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An meine erste Reportage als neuer Österreich-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung" im April 1979 erinnere ich mich noch sehr gut. Ich hatte gerade über eine Woche lang die Herren Krei-sky, Androsch und Gratz, sowie deren Kontrahenten Taus, Mock und Busek im Nationalratswahl-kampf beobachtet und wurde dann beim Heurigen in Wien-Neustift im Kreise von österreichischen Kollegen neugierig nach meinen Eindrücken ausgefragt.

Was gab es da für ein herzhaftes Gelächter, als ich zaghaft meinte: „Wenn mich nicht alles täuscht, gewinnt der Kreisky die Wahl haushoch". Die Kollegen erklärten mir freundlich, solche Fehleinschätzungen seien bei einem Anfänger nicht verwunderlich, weil der noch auf die alten Krei-sky-Tricks hereinfalle.

Die Tatsache, daß ich als Neuling schließlich doch recht bekam, beweist nicht, daß ein deutscher Journalist viel schlauer ist, sondern zeigt nur, daß manchmal ein Außenstehender unbefangener beobachtet. Jetzt, da ich damit beginne, „meinen" zweiten Natio-nalratswahlkampf zu beschreiben, bin ich trotz aller gesammelten Erfahrungen doch noch eine Art Outsider.

Bundespräsident Kirchschläger hat vor einigen Tagen die Parteien ermahnt, keinen zu harten und gehässigen Wahlkampf zu führen, bei allen hochgehenden Wellen keine Feindbilder zu schaffen, weil die Österreicher eine ehrliche, aber keine gehässige Politik wünschten.

Als Journalist möchte ich das lieber noch etwas pointierter formulieren. Nach meinem Eindruck wünscht sich die große Mehrheit der Österreicher nämlich überhaupt keine Politik und noch viel weniger einen Wahlkampf. Im Gegensatz zu uns offenbar kämpferischer und streitbarer veranlagten Deutschen erscheint mir das Nachbarvolk in der Alpenrepublik sehr viel harmoniebedürftiger und unpolitischer, deshalb auch bei Wahlen politisch unbeweglicher.

Mit Gehässigkeiten ist sicher in Österreich kein Blumentopf zu gewinnen, aber auf der anderen Seite glaube ich, daß es hierzulande noch mehr alte, tief verwurzelte Feindbilder gibt als in der Bundesrepublik.

Schon die Verfassungsväter haben Österreich - im Vergleich zur Bundesrepublik — ein weithin unpolitisches Korsett verpaßt. Dies geschah sicher aus der sinnvollen Überlegung heraus, daß in einem so kleinen Staat die Zusammenarbeit der besten Kräfte wichtiger ist als eine ständige politische Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition auf allen Ebenen. Deshalb würde man aber auch bei uns das, was sich in Österreichs Ländern und Gemeinden abspielt, nicht als Politik bezeichnen, sondern eher als eine von einer zwischenparteipolitisch orientierten Interessengruppe arbeitsteilig betriebene Verwaltung.

Politisches Gerangel spielt sich hier eher hinter den Kulissen ab als davor. Landtagswahlkämpfe in Osterreich wirken deshalb auf unsereinen auch wie künstlich inszenierte Tortenschlachten, nach denen dann allenfalls ein paar Kuchenbrösel anders verteilt werden als vorher.

Irgendwo erscheint es einem dann aber inkonsequent (und offenbar auch für die Österreicher irritierend), daß dann plötzlich auf der Bundesebene die Politik einsetzen soll. Oppositions-Attacken von der Härte und Konsequenz wie in der Bundesrepublik könnten wahrscheinlich die Österreicher in ihrem starken Bedürfnis nach Harmonie und Ruhe nicht ertragen.

Deshalb können es sich die Parteien in Österreich auch leisten.viele „heiße" Themen einfach im Wahlkampf auszulassen. Da wird etwa über eine so wichtige Frage wie die langfristige Energiepolitik mit oder ohne Atomkraft derzeit auffallend geschwiegen. Auch über Umweltschutz und Ökologie, der entscheidenden Basis künftiger Lebensqualität, regen sich in Österreich nur kleine Gruppierungen auf.

Auch die weltweite Bewegung für Frieden und Abrüstung wird in Österreich ohne direkte Betroffenheit diskutiert, denn sie reduziert sich hier letztlich auf Randfragen: Soll man sich ein paar neue symbolische Abfangjäger leisten und darf ein sozialistischer Landeshauptmann in der Freizeit mit Maschinenpistolen schießen?

Obwohl der Wah'lkampfstil in der Bundesrepublik härter und polemischer ist als in Österreich, finde ich die politische Auseinandersetzung im österreichischen Nationalratswahlkampf auch nicht besser und schon gar nicht viel fairer als bei uns.

Zum einen befassen sich die Medien, vor allem die Tageszeitungen, nahezu nie mit Sachthemen, sondern fast ausschließlich mit Personalgeschichterln und politischen Spekulationen anhand vorgefaßter politischer Meinungen. Dies führt natürlich dazu, daß Angriffe auf die Personen unter der Gürtellinie viel härter sind als Kontroversen um politische Inhalte, was die Wähler nur von politischen Entscheidungen ablenkt.

So habe ich es beispielsweise nie verstanden, warum man in dem jahrelangen verbissenen Bemühen in der Presse, Vizekanzler Androsch abzuschießen, fast nie seine Finanzpolitik kritisiert hat. Stattdessen hat sich die ganze Nation endlos an vergleichsweise lächerlichen Kinkerlitzchen den Mund zerfranst: Ist sein Dienstwagen wirklich ein paar Zentimeter länger? Hat er wirklich 60 Maßanzüge im Schrank?

Androsch ist aber nur ein Beispiel. Meiner Meinung nach spielt in Österreichs Wahlkampf die Mobilisierung des Neides eine weit größere Rolle als wirkliche Politik. Ein Politiker wird eher danach gemessen, ob er persönlich ein paar Tausender mehr verdient als er wert ist, als daran, ob er durch seine politischen Entscheidungen Millionen verschleudert oder gespart hat. Wenn ein Politiker für die Nation gut wirtschaftet, ist er eigentlich unbezahlbar und verdient alle Privilegien.

Dies alles macht es auch für Ausländer ziemlich schwer, die Zusammenhänge der österreichischen Politik wirklich zu begreifen. Der Kampf um die politische Macht berührt hier nämlich selten den Kern der Probleme, sondern wird meist auf Nebenschauplätzen am Rande der Politik ausgetragen.

Der Autor, Österreich-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung" in Wien, ist Präsident des Verbandes der Auslandspresse in Osterreich.

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