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Statt W unschdenken — Rationalität

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Ein angesehener Theologe hat vor etwa zwei Jahren von faulen Früchten des letzten Vatikanischen Konzils gesprochen. Das hätte nicht sein müssen; die Lage der Kirche hat sich seitdem keineswegs gebessert. Das Gerede über die Demokratisierung der Kirche wie auch das demokratische Training im nachkonziliaren Kirchenklima ist eine von den wurmstichigen Früchten, die der Konzilsbaum abwarf, der damit seinen Gärtnern kaum Freude bereiten dürfte. Dieser Eindruck wird verstärkt und untermauert, wenn man sorgfältig und genau die neueste Studie des Mainzer Kanonisten durchgearbeitet hat.

Gerade dann, wenn man den heute so häufig bemühten Begriff der Mündigkeit ernst nimmt, müßte dieser

Mündigkeit parallel laufen solides Wissen und die Anstrengung des Begriffes, um seinsgerecht mit seinem Munde zu bekennen und zu verbreiten, wofür man als Mündiger glaubt, eintreten zu sollen. Der mündige und gründlich unterrichtete Katholik müßte wissen, daß der Begriff der Demokratie vieldeutig ist und nicht mechanisch auf die Kirche übertragen werden kann, vom Grundsätzlichen her nicht übertragen werden kann. Es ist das Verdienst der vorliegenden Studie, daß die von der Aufklärungstheologie gespeisten derzeitigen Demokratisierungstendenzen in der Kirche einer nüchternen und sachlichen Untersuchung unterzogen werden. Es ist dem Autor gelungen, auf der Folienstellung der demokratischen Verhältnisse in Staat und Gesellschaft die deutlichen Grenzen einer Demokratisierung der Kirche aus dem genuin theologischen Aspekt zu verdeutlichen, wobei die Möglichkeiten für eine gewisse Demokratisierung der Kirche nicht verschwiegen werden. Es darf dabei erwähnt werden, daß das legitime Anliegen einer Mitverantwortung der Laien und Priester auch früher keine unbekannte Größe gewesen ist, wenn auch der Begriff der Demokratie nicht so marktschreierisch kolportiert wurde. Für das Apostolat und die Spiritualität in der Kirche sprang früher mehr heraus aus der stillen und selbstlosen Verantwortung füreinander als aus dem polemischen Verhalten und Rufen nach unbedachter und vermessener Umstrukturierung, die auch vor revolutionären Maßnahmen nicht zurückschreckt.

Mays Studie unterstreicht, daß „die Träger der Demokratisierungsbestrebungen die schwachen Seiten der Demokratie nicht oder nicht genügend in den Blick bekommen“. Der Autor geht methodisch so vor, daß er zunächst das Wesen der Elemente der Demokratie nach gründlicher Durchforstung einer respektablen Fachliteratur zum Thema nüchtern und fachkundig erläutert, dann die praktischen Auswirkungen derselben beschreibt, um schließlich die Anwendung derselben auf den kirchlichen Bereich ins Relief zu heben. Bei dieser Applikation muß der unvoreingenommene Leser sehr nachdenklich werden und sich überzeugen lassen, wie groß der Schaden für die Kirche’ und ihre Heilssendung ist, wenn man die Kirche in das demokratische Schema zu pressen versucht. Es wird zuwenig bedacht, wieweit das göttliche Recht eine Demokratisierung überhaupt zuläßt und ob die Aufgabe der Kirche durch Demokratisierung derselben eine echte Förderung erfährt. Der soliden Arbeit kommt zustatten die gründliche Kenntnis der Rechtsgeschichte, die Verarbeitung seelsonglicher Erfahrungen aus den demokratischen Pflichtübungen der Gegenwart und der Blick auf die Zustände in der niederländischen Kirchenprovinz. Von hier aus muß das Ziel des Autors Respekt erfahren, „das Wunschdenken zugunsten einer rationalen Prüfung beiseite zu setzen“.

Gegenüber der Volkssouveränität im demokratischen Staatsgefüge ruft der Verfasser ins Gedächtnis, daß die Kirchengewalt ihren Ursprung und Sitz nicht in der Gesamtheit der Kirchenglieder hat, sondern in Gott, beziehungsweise in Jesus Christus. Träger der Souveränität in der

Kirche ist nicht das Volk, sondern sind die Hirten. Die Autorität der Amtsgewalt ist nicht von Volkes, sondern Gottes Gnaden. Da das Volk nicht ursprünglicher und eigentlicher Träger der Kirchengewalt ist, kann es eine solche nicht auf andere übertragen. So richtig dieses theologisch fundierte und nicht aus den Angeln zu hebende Prinzip ist, gibt es doch die Kader in der Kirche — man höre sich beispielsweise nicht nur in den Niederlanden, sondern auch bei unseren Studentengemeinden die ungeheuerlichen Thesen auf diesem Gebiet an —, die gerade dieses Prinzip mit der jeder Aufklärung eigenen Vehemenz bekämpfen. Man sollte doch nicht übersehen, welche Verantwortlichkeiten ein Satz wie dieser ausspricht. „Die Kirchengewalt ist wohl zu Volkes Diensten, nicht von Volkes Gnaden.“

In ähnlicher einleuchtender Weise wird die bestehende Gleichheit der Kirchenglieder hervorgehoben — in ihrem sakramental gezeugten Sein und in ihrer von Christus postulierten Pflicht des Voilkommenheits- strebens —, aber auch zu bedenken gegeben, ob man allen rechtlich nicht behinderten Gliedern den Stimmzettel in die Hand drücken soll, ohne ihre hinreichende kirchliche Gesinnung zu prüfen. Manche begründeten Sorgen mußten bei den letzten Gemeinderatswahlen in etlichen Bezirken der Bundesrepublik Deutschland geäußert werden und verifizieren die in diesem Kapitel geäußerten Bedenken des auch seelsorgerisch stark engagierten Mainzer Kanonisten. Beachtliche Ausführungen liest man zum Thema der Aufnahme in den Klerus, wo zu Tendenzen katholischer Theologien Stellung bezogen wird,, „den Status des Klerus abzuwerten und den Unterschied zwischen Geistlichen und Laien abzuwerten… Der Nivellierungsdrang der Progres- sisten und Modemisten entstammt einerseits dem Verlust des katholischen Glaubens, anderseits dem Ressentiment, das nicht dulden mag, daß andere anders sind, daß eine Elite existiert, der sie nicht zugehören, beziehungsweise deren Ansprüchen sie nicht (mehr) entsprechen mögen…“

Mays Studie, mit seinem Herzblut geschrieben und einem drängenden seelsorgerischen Impetus entspringend, sollte von allen Seelsorgern und verantwortungsbewußten Laien unvoreingenommen studiert, von Predigern und Katecheten meditiert, durch die Gruppen in den katholischen Verbänden diskutiert und auch zum Gegenstand bei öffentlichen Gesprächen gemacht werden. Der Dienst, welcher der Kirche mit dieser Studie erwiesen werden will, sollte durch Übersetzungen in andere Sprachen die verdiente Multiplikation erhalten.

DEMOKRATISIERUNG DER KIRCHE. Möglichkeiten und Grenzen. Von Georg May. Verlag Herold, Wien-München. 208 Seiten, S 98.—.

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