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Stehen nur Mißverständnisse zwischen den Kirchen?

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Beim heutigen Stand der Bemühungen um eine Einigung der christlichen Kirchen ist vor allem die Frage von Bedeutung, ob bei der für eine wirkliche Einigung der Kirchen auch notwendige Einigung im Glauben nicht Mißverständnisse der gegenseitigen Position der Kirchen vorliegen. Dadurch könnte da und dort,auch unter Amtsträgern, die Meinung entstehen, daß zwar eine theologische Annäherung erzielt worden sei, aber im Ganzen gesehen unüberwindliche Gräben offenstehen, die eine wirkliche Einheit scheinbar unmöglich machen: Dies erklärte Professor Karl Rahner in einem Gespräch mit der FURCHE.

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Beim heutigen Stand der Bemühungen um eine Einigung der christlichen Kirchen ist vor allem die Frage von Bedeutung, ob bei der für eine wirkliche Einigung der Kirchen auch notwendige Einigung im Glauben nicht Mißverständnisse der gegenseitigen Position der Kirchen vorliegen. Dadurch könnte da und dort,auch unter Amtsträgern, die Meinung entstehen, daß zwar eine theologische Annäherung erzielt worden sei, aber im Ganzen gesehen unüberwindliche Gräben offenstehen, die eine wirkliche Einheit scheinbar unmöglich machen: Dies erklärte Professor Karl Rahner in einem Gespräch mit der FURCHE.

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Ihm sei es ein besonderes Anliegen, auf gewisse Positionen innerhalb der katholischen Theologie hinzuweisen, die nur scheinbar Hindernisse im ökumenischen Gespräch darstellen, betonte Rahner. „Was die Rechtfertigungslehre anlangt, so wird man heute nicht mehr sagen können, es sei sicher, daß sich die Lehren der Augustana und des Tridentiner Konzils eindeutig widersprächen. Dasselbe gilt wohl auch vom Begriff des allein rechtfertigenden Glaubens, den die lutherische Theologie eigentlich meint. Was die ,sola scriptura' angeht, so muß man auf die heftige Kontroverse während des Zweiten Vatikanischen Konzils verweisen. Dieses hat bewußt die Frage nach dem genaueren Verhältnis zwischen Schrift und Tradition offengelassen und somit zu einer offenen Frage gemacht.“

Nicht immer besteht zwischen der katholischen und der evangelischen Position ein absoluter Widerspruch, wie es zunächst scheinen mag und wie es gewöhnlich auch betrachtet wird. So lehrt das Tridentinum die Existenz von sieben Sakramenten, die von Christus gestiftet sind. Wenn wir heute als Katholiken historisch ehrlich die Geschichte der Sakramente reflekti-ren, werden wir sagen müssen, daß „die Sakramente als aktuelle Grundvollzüge des Wesens der Kirche insofern von Jesus herkünftig sind, als die Kirche selbst von ihm gestiftet oder besser von ihm herkünftig ist, ohne daß im allgemeinen ein ausdrückliches Stiftungswort vom historischen Jesus gesprochen, gesucht oder postuliert werden müßte - auch wenn bei der Eucharistie ein solches Stiftungswort ausdrücklicher Art nicht bestritten werden kann“.

Ein solches angedeutetes Verständnis der Sakramente im allgemeinen, das die Sakramente als Aktualisatio-nen im Wort des Grundsakramentes Kirche auffaßt, müßte nach Rahners Ansicht auch auf evangelischer Seite annehmbar sein. Die heutige protestantische Theologie kann darauf aufmerksam gemacht werden, daß auch für ihre gegenwärtige Exegese die Herkunft der Taufe Jesu, die die Reformatoren als Sakrament anerkannten, nicht deutlicher und sicherer dargetan werden als bei den anderen. Auch bei einer leider erst heute allmählich sich entwickelnden katholischen Theologie des Wo rtes ist es nicht mehr möglich und auch nicht notwendig, die katholische Kirche als Kirche der Sakramente und die evangelische Kirche als die des Wortes allein zu charakterisieren.

Für ein katholisches Glaubensverständnis des Amtes in der Kirche ist es selbstverständlich, daß es ein Leitungsamt in der Kirche als einer geschichtlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit geben muß, dessen Eigentümlichkeiten, Aufgaben und Vollmachten vom Wesen der Kirche herzuleiten sind. Das gilt auch von den Bischöfen. Daß die dreigliedrige Amtsgestaltung - Episkopat, Presby-terat, Diakonat - schlechthin göttlichen Rechtes sei, scheint Rahner nicht sicher zu sein. Sicher geht sie nicht auf eine ausdrückliche Setzung des geschichtlichen Jesus zurück.

Zur dunklen Frage der Anerkennung der Ämter der von der römischen Kirche getrennten Kirchen der Reformation durch die katholische Kirche hat sich Rahner schon 1974 in seiner Schrift „Vorfragen zu einem ökumenischen Amtsverständnis“ sehr deutlich geäußert. Nach seinen Worten hat seine Meinung kaum Anklang gefunden, sie wird vielmehr stillschweigend von römischen und deutschen lehramtlichen Erklärungen des-auviert. Daß solche Ämter in den von Rom getrennten Kirchen in ihrer Ausübung in diesen Kirchen eine positive Heilsbedeutung haben können, das sei nach dem Zweiten Vatikanum nicht mehr zu bezweifeln. '

Rahner ist aber darüber hinaus der Meinung, daß sie als legitim und wenigstens in vielen Fällen auch in ihrer Übertragung, in ihrer Ordination und in ihren Amtshandlungen sakramental sind, und zwar nicht nur in den von Rom getrennten Kirchen des Ostens, sondern auch in den reformatorischen Kirchen. Rahner scheint es nicht unmöglich, in einem viel weiteren Umfang, als es bei den Katholiken traditionell geschieht, den sakramentalen Charakter der Ordination und der darauf beruhenden Amtshandlungen in den Kirchen der Reformation anzuerkennen. „Wenn wir katholischen Theologen die Pflicht haben, alles gerade noch Denkbare ins Auge zu fassen, was einer Einigung dienlich sein kann, dann sollten wir uns nicht zu schnell mit der traditionellen, aber zu billigen Antwort auf die Frage nach der Anerkennung der Ämter in den reformatorischen Kirchen begnügen.“

Ein weiterer Punkt war das Haupthindernis: die Frage nach dem Papsttum und dem römischen Primat. Paul VI. hat selbst anerkannt, daß das Papsttum heute das größte Hindernis der Kircheneinigung ist. Auch in dieser Frage ist für Rahner vieles offener als man gewöhnlich meint. Hinsichtlich dessen, was zum Papsttum uriauf-gebbar gehört, müßten sich Theologen und vor allem die Päpste viel deutlicher erklären, zumal da offenbar auf evangelischer Seite die Neigung wächst, ein Petrusamt in der Kirche als weserisgemäß anzuerkennen.

„Man sieht aber in Rom kaum Anzeichen dafür, eine dogmatisch mögliche und heute empfehlenswerte Selbstbegrenzung des römischen Primats deutlich zu machen und den ersten Schritt zur Einigung in dieser Frage selbst zu tun.“ Rom müßte, so betonte Rahner, deutlich sagen, was zum Papsttum gehört und worauf man den Kirchen gegenüber, die eine Union mit Rom suchen, zu verzichten bereit ist.

Die ökumenisch schwierigste Frage ist die Definition des unfehlbaren Lehrprimates. Dabei bezieht sich die eigentliche Schwierigkeit des evangelischen Christen auf die Möglichkeiten der Zukunft, auf denkbare künftige Ex-Kathedra-Entscheidungen des Papstes. Diesbezüglich glaubt sich der evangelische Christ, der zur Anerkennung eines Petrusamtes in der Kirche grundsätzlich bereit ist, nicht in der Lage zu sein, dem Papst einen Blankoscheck für die Zukunft ausstellen zu können.

Damit ein evangelischer Christ nicht fürchten müsse, daß sein Blankoscheck mit einer päpstlichen Lehre ausgefüllt werde, dem aber dann sein Glaubensgewissen wiedersprechen müßte, schlägt Rahner vor: Zunächst ist es klar, daß ein Papst auch bei einer Ex-Kathedra-Entscheidung sich aller menschlichen Mittel zur Vorbereitung seiner Entscheidung bedienen muß, die ihm in der jeweiligen Situation konkret zu Gebote steht. Die mitvei-nem solchen Grundsatz implizit gegebenen sittlichen Normen könnten nach Auffassung Rahners heute deutlicher artikuliert und kodifiziert werden, auch wenn dann im konkreten Fall die Einhaltung dieser Normen nicht noch einmal einer rechtlichen Nachprüfung durch eine höhere Instanz als die des Papstes unterliegen würde. Damit könnte erreicht werden, daß einem evangelischen Christen die Befürchtung weitgehend genommen werden könnte, eine künftige päpstliche Ex-Kathedra-Entscheidung könnte im Widerspruch zu seinem Glaubensgewissen ergehen.

Zusammenfassend meinte Rahner: „Wenn die künftige Thematik und Stoßrichtung der päpstlichen Lehrvollmacht deutlich und unbefangen von Rom her ausgesprochen würde und wenn gleichzeitig die heute mögliche und notwendige Verfahrensweise in der Findung der Wahrheit und Entscheidung durch Rom deutlicher gemacht und einleuchtender beobachtet würde, müßte die Vatikanische Lehre vom päpstlichen Lehrprimat nicht mehr das durch das Glaubensgewissen der evangelischen Christen beunruhigende Schreckgespenst bleiben, das es bisher ist“

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