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Steht nun ein Krieg mit dem großen Bruder bevor?

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Noch vor wenigen Jahren verkündeten die Propagandisten: „Vietnam und China gehören zusammen wie Lippen und Zähne.“ Heute aber schwirren Gerüchte über einön bevorstehenden Krieg mit dem großen Bruder im Norden in der Luft. Der jähe Stimmungswechsel hat gute Gründe: Vietnams Geschichte ist tief geprägt von Angst vor den übermächtigen Nachbarn, der im Laufe der Jahrhunderte nie zögerte, seine Macht auf die indochinesische Halbinsel auszudehnen.

Wenn auch Meldungen über Panzergefechte an der Nordgrenze dementiert wurden, fanden dort doch immer wieder - sogar während der Kriegszeit - Zusammenstöße zwischen Grenztruppen statt. Ein Jahr vor Kriegsende besetzten die Chinesen die Spratly Inseln, wo seither immer wieder Schiffe der beiden Genossen in kleinere Gefechte verwickelt waren. Die Verbitterung in Hanoi wuchs, nachdem China die aggressiven Genossen in Kambod-

, scha mit Munition, weittragenden Geschützen und Jagdflugzeugen versorgte. Das Letzte, was Hanoi wünscht, ist in einen neuen Krieg verwickelt zu

l werden, in dem die Sowjetunion und

j China ihre Klienten fernsteuern. Genau das aber droht nach dem permanenten Konflikt mit Kambodscha.

Die Angst vor China ist der Hauptgrund für das scharfe Vorgehen Hanois gegen die in Vietnam lebende chinesische Minderheit. Seit Jahrhunder-

i ten wanderten Chinesen nach Indo-china aus, vor allem als Mongolen und Mandschus Fremddynastien errichteten. Die Flüchtlinge wurden um Saigon und im Mekongdelta angesiedelt und halfen wesentlich mit, dieses Gebiet von Kambodscha zu usurpieren. Sehr bald geriet die Wirtschaftskontrolle des Südens in ihre fleißigen und geschickten Hände.

Selbst nach der Eroberung Saigons gelang es ihnen, eine „kapitalistische“

Wirtschaft mit einem blühenden Schwarzmarkt in Gang zu halten. Klagen über Korruption und Schwarzhandel, die sogar auf den Norden übergriffen, wurden immer häufiger. Die ersten Versuche, durch eine Währungsreform dem Kapitalismus den Garaus zu machen (September 1975) schlugen fehl. Die Regierung duldete den Privatsektor, weil er Aufgaben erfüllte, für die die Staatsbetriebe noch nicht bereit waren.

Drei Jahre nach der Eroberung Saigons aber gewannen in Hanoi die Falken die Oberhand. Im März und Mai wurden 30.000 Privatgeschäfte im Süden liquidiert; durch eine neue Währung wurden die illegal gehorteten Vermögen entwertet. Die reichen „Bourgeois“-Geschäftsleute wurden auf das Land verschickt, um in Kommunen zu arbeiten oder Kleinindustrie aufzubauen.

Die Betroffenen waren zumeist Chinesen, die ungefähr eine Million in ganz Vietnam zählen. Viele lebten seit Generationen im Land, waren aber nie voll assimiliert worden. Ihre Erfolge machten sie suspekt. So nahm der Schlag gegen die „Kapitalisten“ unwillkürlich den Charakter einer antichinesischen Kampagne an. An die 90.000 Chinesen setzten sich daher bereits nach China ab. Anscheinend wurden sie dabei von vietnamesischen Sicherheitskräften behindert, oft sogar beschossen.

China protestierte gegen die Ausweisung und Mißhandlung seiner Staatsangehörigen. In Saigon soll es, nach Meldungen aus Peking, zu Massenverhaftungen und Hinrichtungen von Chinesen gekommen sein. Peking mahnte die Genossen im Süden, diese irreführende Politik aufzugeben, sonst seien sie voll verantwortlich für alle Konsequenzen. Am 27. Mai informierte Peking Hanoi, es werde Schiffe senden, um Chinesen aus Haiphong

lind Saigon zu evakuieren. Gleichzeitig hieß es, China habe alle Hilfeleistungen an Vietnam eingestellt.

Vietnam befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise und brauchte alle Kräfte zum Wiederaufbau. Der Konflikt mit China und die widerspenstige Haltung der Vereinigten Staaten, die trotz aller Signale aus Hanoi die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen nicht zu normalisieren gedenken macht Hanoi immer stärker von der Sowjetunion abhängig. Das ist genau das, was Ho Chi Minh, der erste Präsident, zu verhüten gesucht hatte.

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