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Steinchen zwischen Blöcken

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Die alljährlichen Sessionen des Nordischen Rates zeichnen sich keineswegs durch aufregende Ereignisse aus. Man kann eher mit einem gewissen Recht sagen, daß seit dem Scheitern der NORDEK-Pläne und dem Eintritt Dänemarks in die EG diese Zusammenkünfte vom Hauch einer müden Resignation umgeben sind. Dänemarks halber Austritt aus der Nordischen Gemeinschaft, Norwegens kompromißlose NATO-Treue, Finnlands Rücksichtsnahme auf die Interessen der Großmacht im Osten, Islands wirtschaftliche Schwäche und sein Unvermögen, eine unabhängige Politik zu betreiben, alles das bewirkt, daß die Tagungen des Nordischen Rates immer mehr Pflichtleistungen der Regierungs- und Parteienvertreter ähneln, deren Wert zweifelhaft geworden ist.

Es blieb dem finnischen Reichstagsabgeordneten Erkki Tuomioja vorbehalten, diese müde gewordene Versammlung in Reykjavik durch einen temperamentvollen Angriff auf die schwedische Außenpolitik aufzuschrecken. Nach Tuomioja bietet heute der Norden ein Bild der tiefgehenden Zersplitterung: Norwegen sei dabei, der NATO-Macht USA den Weg zu den Ölfeldern des Nordens zu ebnen und bilde sich ein, eine solche Politik im Interesse des militärischen Gleichgewichtes in der Welt führen zu müssen; Dänemark habe durch seinen Anschluß an die EG dem Gedanken der nordischen Zusammengehörigkeit einen schweren Schlag versetzt und nun sei auch Schwedens Außenpolitik auf die Drift nach dem Westen geraten. Für Schwedens Bemühungen, das Kampfflugzeug VIGGEN an vier NATO-Länder zu verkaufen, könne man in Finnland kein Verständnis aufbringen, Schwedens Eintritt in den von den USA dominierten Klub der ölverbraucher entspreche keineswegs der bisher geführten Neutralitätspolitik und die Auslassungen des schwedischen Oberbefehlshabers General Synnergrens über eine verstärkte finnisch-sowjetische militärische Zusammenarbeit habe jenseits der Ostsee ebenfalls große Verwunderung erregt. „Würde man nicht dem Frieden und der eigenen Sicherheit besser dienen, wenn man sich zu einer Zusammenarbeit mit der Sowjetunion im Hohen Norden entschließen könnte, statt einen Kollisionskurs zu wählen?“ fragte der sozialdemokratische Abgeordnete.

Tuomiojas ungewöhnlich scharfem Angriff war wenige Tage vorher ein Artikel ähnlichen Inhaltes in der finnischen sozialdemokratischen Zeitung „Demari“ vorausgegangen. Von diesem Blatt, dem Hauptorgan der Sozialdemokratie, nimmt man gewöhnlich an, daß es die Meinung des Parteivorstandes wiedergibt. Auch! „Demari“ sprach von einer sich abzeichnenden schwedischen Kursänderung und sprach sich für eine Neuorientierung der nordischen Zusammenarbeit aus, die nach Möglichkeit auch die Sowjetunion umfassen sollte.

Die schwedischen Regierungsmitglieder, recht peinlich berührt, überließen die Antwort auf die finnischen Vorwürfe dem Vertreter der schwedischen Konservativen in Reykjavik, eine Taktik, die die finnischen (und sowjetischen?) Befürchtungen über schwedische Anlehnungsversuche an den Westen eher noch verstärkt haben dürften. Premier Palme sprach von einem „Betriebsunfall“ doch Finnlands Regierungschef Sorsa distanzierte sich keineswegs in so klaren Worten von den Kritikern an der schwedischen Außenpolitik, wie man es auf schwedischer Seite gern gesehen hätte.

Obwohl alle von den Finnen angeführten „Abweichungen“ vom schwedischen Neutralitätskurs keineswegs aus dem Rahmen der traditionellen Neutralität Schwedens fallen — und in Stockholm bemüht man sich natürlich um eine solche Auslegung — kann nicht wegdiskutiert werden, daß der Beitritt zum Klub der ölverbraucher auch in Schweden als ein recht fragwürdiger Beschluß bezeichnet wurde, der besser nicht hätte gefaßt werden sollen, weiß man ja noch gar nicht, wohin Washington mit seiner Erdölpolitik überhaupt zielt. General Synner-grens Hinweise, daß Finnland durch den Ausbau seines Straßen- und Eisenbahnnetzes der Sowjetunion wichtige strategische Vorteile gebe, ließen ebenfalls aufhorchen. Es ist schließlich kein Geheimnis, daß .schon seit dem Bau der ersten •Eisenbahnen Finnlands Schienennetz dieselbe Fahrbreite besitzt wie das russische, weil das Großfürstentum Finnland durch mehr als hundert Jahre zum Zarenreich gehört hat.

Was man niemals vergessen sollte, ist, daß Finnlands Unabhängigkeit und Sicherheit zu einem nicht geringen Teil von der schwedischen Außenpolitik abhängt. Für Finnland ist der neutrale Puffer Schweden zwischen dem östlichen und dem westlichen Militärblock von lebenswichtiger Bedeutung. Was in Schweden, Norwegen und auch in der Bundesrepublik gesagt wird oder geschieht, wird in Moskau mit größter Aufmerksamkeit beobachtet. Als schwedische und dänische Politiker die vor einigen Jahren geplante „NORDEK“ als einen ersten Schritt zu einer größeren EWG bezeichneten, genügte dies, um Finnland sofort von diesem Plan Abstand nehmen zu lassen. Und als ein führender deutscher Sozialdemokrat seine Parteifreunde in anderen Ländern aufforderte, dem Ausbau der NATO größeres Interesse entgegenzubringen, hätte das den finnischen Sozialdemokraten um ein Haar ihre Regierungssitze in Helsinki gekostet! Die für Finnland wohl ernsteste Situation der Nachkriegszeit, die sogenannte Noten-,krise im Herbst 1961, war zu einem großen Teil auf eine verstärkte deutsche Aktivität in der Ostsee und einige deutsche Forderungen auf Verstärkung der Atomwaffe der NATO zurückzuführen. Jede Verschärfung der internationalen Situation und jede Verstärkung der militärischen Aktivität des Westens im nordskandinavischen Bereich führt unmittelbar zu einer Erhöhung der Unruhe und Spannung auch in Finnland. Fallen politische Erklärungen im benachbarten und befreundeten Schweden, dann werden die Finnen daran erinnert, daß sie nur ein Steinchen zwischen den beiden Militärblöcken sind, das beim ersten Zusammenprall zermalmt werden würde.

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