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Steirische Hochöfen sind nie erloschen

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Die steirische Industrielandschaft ist nur aus ihrer historischen Entwicklung verständlich: die Eisen- undMeta Hindus trie, der Fahrzeugbau, dazu eine bedeutende ZeUulose- und Papierindustrie, Sägeindustrie und Holzverarbeitung bestimmen das Branchengefüge. Demgegenüber blieb die Produktion von Konsumgütem zurück, mit Ausnahme der Getränkeindustrie, von der wieder die Glasindustrie profitierte.

Stephan Koren meinte einmal, niemand wäre wohl im 19. odbr in unserem Jahrhundert auf die Idee gekommen, in der Steiermark eine

Eisenindustrie anzusiedeln, wenn es sie dort nicht schon gegeben hätte und sie nicht auf entsprechende Vorinvestitionen und einen entsprechenden Facharbeiterstandzurückgreifen hätte können.

Das Dominieren eines einzigen Produktionszweiges, der Eisenindustrie, hatte einen Traditionalismus zur Folge, wohl aber auch ein Lohnniveau, das sich nachteilig auf die Aufnahme anderer Produktionen auswirkte. Das meinte wohl eine Denkschrift aus dem Jahr 1765, die in der Steiermark bei Bevölkerung und Obrigkeiten den „Industrial- geist“ vermißte.

Wohl kam es auch in der Steiermark im 18. Jahrhundert zu einigen merkantilistischen Fabriksgründungen, einer Tabakfabrik in Fürstenfeld, von Papiermühlen, einer Fabrik für Barchent und B aumwoll- gam oder einer Baumwollstrumpfund Haubenfabrik in Graz. Glashütten entstanden vor aUem in der West- und Untersteiermark.Sehr erfolgreich waren die merkantilistischen Wirtschafts- und Wachstumspolitiker des 18. Jahrhunderts aber nicht. Obwohl Graz in einer verkehrsgünstigen Situation an einem schiffbaren Fluß und auf der Linie Wien-Triest lag, war es lange keine bedeutende Handels- und Industriestadt.

Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts kam es in Graz zu einer WeUe von Indus trieansiedlungen: Josef Körösi, der Begründer der Andritzer Maschinenfabrik war ein Einzelgänger, der innerhalb von zehn Jahren ein Unternehmen mit mehr als 600 Beschäftigten auf die Beine steUte, der Maschinenbauingenieur Adolf Finze, der den Bau der Kronprinz-Rudolf-Bahn nützte, um im bislang bäuerlichen Knittelfeld das Tor zur Industrialisierung aufzustoßen, verlegte seine Produktion in die Hauptstadt. Persönlichkeiten wie Johann Weitzer, Sohn Friedberger Weberleute, der von Graz aus einen über Ungarn und Italien sich erstreckenden Waggon- und Maschinenbaukon- zem begründete, oder J ohann Puch, siebentes Kind einer Keuschlerfa- milie in Sakusak bei Pettau, der erfolgreiche Rad- und Automobilbauer, begründeten die Bedeutung von Graz als Industriestadt.

Mehr als irgendein anderer Wirtschaftszweig, von der Landwirtschaft abgesehen, formte aber der Bergbau die Industrielandschaft der Steiermark: Salz, Silber, Gold, Kupfer, Blei, Eisen, Arsen, Magnesit, Braunkohle, die Steiermark ist der an Bodenschätzen reichste Teil Österreichs. Im Mittelalter standen die für die Anfänge der Geldwirtschaft in besonderem Maße relevan- tenEdelmetaUe im Vordergrund des Interesses. Auch das Salz gewann früh entscheidende kommerzieUe Bedeutung. Von wirtschaftlich nachhaltigster Wirkung war aber der steirische „Brotlaib“, der Erzberg, der die steirische Wirtschaft bis in die Gegenwart prägte.

Aufgrund der großen Waldbestän- de und ausgedehnten Flußsysteme war das Land mit der Energie aus gestattet, die die unabdingbare Voraussetzung für den Abbau und die Verhüttung der Bergbauprodukte darsteUte. Einerseits ließ sich das reichlich vorhandene Brennholz auf den Flüssen einigermaßen kostengünstig zu den Produktionsstandorten transportieren, andererseits boten die vielen kleinen Wasserläufe eine geeignete Basis für die Mechanisierung. Die Branchenstruktur war demnach energieintensiv: Eisenindustrie, Salinen, Glashütten und Metallbearbeitung bestimmten in sehr viel größerem Maß als in anderen europäischen Regionen das Wirtschaftsleben. Die Standorte richteten sich nach den verfügb aren Energieträgern. Die Verteilung war dezentral und kleinräumig.

Im 14. und 15. Jahrhundert dominierten die EdelmetaUe den steirischen Bergbau: fast 50 Prozent der Wertschöpfung entfielen auf Gold und Silber, je 20 Prozent auf Bunt- metaUe und Salz.

Die nachhaltigsten Wirkungen gingen vom Eisen aus. Vom Erzberg breitete sich die Eisengewinnung und Eisenverarbeitung immer weiter in die umliegenden Täler des Landes und nach Ober- und Niederösterreich aus. Neben der „Haupteisenwurzen“, wie man den Erzberg nannte, wurde in zahlreichen kleineren Bergbauen und Hütten das sogenannte Waldeisen gewonnen.

Am Ausgang des Mittelalters hatte die Steiermark mit vier- bis 5.000 Tonnen einen Anteil von zehn bis 15 Prozent an der europäischen Eisenerzeugung. Dieser Prozentsatz muß im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts noch zugenommen haben, da zu dieser Zeit eine bemerkenswerte Steigerung der Eisenproduktion erzielt werden konnte. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts war am steirischen Erzberg eine Produktionshöhe erreicht, die in den nächsten zwei Jahrhunderten nicht überschritten wurde. Während um die Mitte des 16. Jahrhunderts die steirische Eisenerzeugung 13.000 bis 14.000 Tonnen und die alpenländische insgesamt etwa 20.000 Tonnen betragen hatte, war ein Jahrhundert später die steirische Erzeugung auf unter 8.000 Tonnen und die gesamtösterreichische auf etwa 15.000 abgesunken. Die katastrophale Situation in der Eisenproduktion dauerte bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war man in etwa wieder bei der Produktionshöhe des 16.

Jahrhunderts angelangt, erst nach 1800 wurde sie nennenswert überschritten. Die Gewichte hatten sich in diesem Zeitraum aber zu Ungunsten der Steiermark verschoben, sowohl was die SteUung im Inland wie auch auf den Weltmärkten betraf. Die Kärntner Eisenerzeugung, die im 16. Jahrhundert nicht mehr als ein Viertel der steirischen betragen hatte, kam im frühen 19. Jahrhundert nahe an das steirische Produktionsniveau heran.

An der gesamteuropäischen Erzeugung dürfte der steirische Anteil um 1750 auf etwa acht Prozent abgesunken sein. Doch war die steirische Eisenproduktion zu dieser Zeit immer noch höher als die Englands. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aUerdings nahm die englische Eisenproduktion jenen so gewaltigen Aufschwung, der die Steiermark in das zweite Glied der Roheisenproduzenten Europas zurückdrängte. Um 1815 erschmolzen die britischen Hochöfen bereits 400.000 Tonnen Roheisen jährlich, die steirischen hingegen etwa 20.000 Tonnen. 1837 wurde in Großbritannien die magische Zahl von einer MiUion Tonnen erreicht, um die Mitte des Jahrhunderts schon die von zwei MiHionen Tonnen. Die steirische Eisenproduktion kam in dieser Zeit auf kaum 80.000 Tonnen und konnte 1869 die 100.000-Ton- nen-Marke überschreiten.

Während der Franzosenkriege war die Eisenerzeugung in der Steiermarktechnisch so ins Hintertreffen geraten und vom Weltmarkt verdrängt worden,daß das Ende des steirischen Eisens in greifbare Nähe gerückt schien. Die schon im 18. Jahrhundert in der Steiermark sowohl in der Eisenverhüttung wie Stahlerzeugung und Verarbeitung immer wieder angesteHten Versuche, die Holzkohle durch Mineralkohle zu ersetzen, waren nicht nur an technischen Schwierigkeiten, sondern auch an institutioneUen Widerständen gescheitert. Erst um 1830/40 nahm in der Eisenindustrie der Substitutionsprozeß von Holz- auf Mineralkohle konkretere Formen an, wenn auch noch nicht bei den Hochöfen. In den späten vierziger Jahren bestimmten erstmals von Wasserläufen und Holzversorgung unabhängige Puddel- und Walzwer ke die steirische Eisenlandschaft.

Wissenschaftler wie der bekannte Montanist Peter Tunner, engagierte Politiker, allen voran Erzherzog Jo- hann, und innovative Unternehmer wie Franz Mayr oder Josef Seßler waren jene Persönlichkeiten, die das steirische Eisenwesen aus jener schweren Krise herausführten, in. die es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geraten war.

1836 war mit dem Stahlwerk Franzenshütte in Donawitz das erste Puddlingswerk der Steiermark in Betrieb gegangen, 1838 folgte in Krieglach das zweite, gleichzeitig eine der modernsten Anlagen seiner Zeit. Konnte sich das Puddeln und Walzen nunmehr vergleichsweise rasch durchsetzen, so ließ die Substitution der Holzkohle durch Mineralkohle noch lange auf sich warten. 1855 wurden bereits 70 Prozent des steirischen Stahls im Puddel- verfahren erzeugt, die Hochöfen aber immer noch ausschließlich mit Holzkohle betrieben. Die nächste Strukturkrise war also vorprogrammiert.

Erst als 1866 das größte Unternehmen der damaligen Eisenindustrie, die Innerberger Hauptgewerkschaft, privatisiert und 1881 mit anderen großen Montan- und Hüttenbetrieben zur Österreichisch-Al- pinenMontangesellschaft fusioniert wurde, war der Weg für weitere Rationalisierungsschritte frei. Fünf Siebentel des Erzbergs und 18 obersteirische Hochöfen wurden in dieser Gesellschaft zusammengeschlossen. Wesentliche technische Neuerungen und eine erhebUche Steigerung der Produktion und Produktivität konnten durchgesetzt werden. Es wurde der längst überfällige Konzentrations- und Modemisie- rungsprozeß nunmehr entschieden eingeleitet.

Der Bergbau auf dem Erzberg wurde reorganisiert. Schon im ersten Jahr nach der Fusion wurde ein einheitlicher Tagbau mit 60 Abbaustufen von je zwölf Metern Höhe eingerichtet: derErzberg erhielt sein heutiges Aussehen. In Eisenerz- Mönichstal wurde in den Jahren 1899 bis 1901 der damals größte Kokshochofen Europas erbaut. Die zahlreichen kleinen Hochöfen wurden stillgelegt. Vordemberg verlor seine Hochöfen an das verkehrsmäßig weitaus günstiger gelegene Donawitz Der erste Kokshochofen auf steirischem Boden wurde 1872/ 73 in Zeltweg erbaut, der letzte mit Holzkohle betriebene Hochofen

1901 ausgeblasen. Dadurch wurde Holz für andere Verwendungenfrei, für Papier-, Zellulose- oder Zündholzfabriken.

Die steirische Eisenindustrie war damit vorderhand gerettet, auch wenn der Anteil an der gesamteuropäischen Produktion auf 1,5 Prozent abgerutscht war. 1916 erreichte die steirische Eisenproduktion mit 661.684 Tonnen einen Höchstwert, der erst 1939 und nochmals 1940 übertroffen wurde.

Der Zerfall des großen Wirtschaftsraumes der Monarchie sprengte die mühsam ausbalancierte Struktur. Die enge Kooperation zwischen der steirischen und tschechischen Eisenindustrie zerbrach nach Kriegsende. Die Alpine-Aktien gelangten vorübergehend an den italienischen Fiat-Konzern, der sie an Hugo Stinnes weitergab. Daß dieser wichtigste Industriekonzem Österreichs damit in ausländische Hände gelangt war, sollte sich für die weitere Entwicklung sehr nachteilig auswirken.

Zwar ließ Stinnes einige struk- turverbessemde Investitionen vornehmen. Die zwanziger Jahre hatten auch eine gewisse wirtschaftliche Erholung gebracht. Umso schwerer traf die Krise der dreißiger Jahre die heimische Eisenindustrie, die für die deutschen Eigentümer mehr Konkurrenz als Ergänzung ihrer Produktion bedeutete. Die O AMG sah sich gezwungen, vier ihrer insgesamt fünf betriebsfähigen Hochöfen niederzublasen. Wieder einmal drohte das Ende für die steirische E is enprodukt ion. Mehr als drei Fünftel der Siemens-Martin- Öfen und der Elektroofen mußten den Betrieb einstellen. Wenn man bedenkt, daß zwei Drittel der Industriebeschäftigten der Steiermark in den Bergbauen, Hüttenwerken und Betrieben der Eisen- und Metallindustrie arbeiteten, kann man das Ausmaß der Krise ermessen.

Mit dem Anspringen der deutschen Rüstungskonjunktur kam auch das steirische Eisen wieder zu Ehren.

Die Eisen- und Stahlindustrie der Mur-Mürzfurche mit ihrer Rohstoffquelle, dem Erzberg, und ihren freien Kapazitäten wurde zu einem wichtigen Faktor im deutschen Rüstungskalkül. Unmittelbar nach dem Anschluß wurde die „Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten .Hermann Goring , Linz“ gegründet, die als Tochter des gleichnamigen Unternehmens in Berlin schon im Mai 1938 mit dem Bau eines Eisenwerkes in Linz begann. 1939 erfolgte die Fusion der ÖAMG mit den I.inzer „Reichswerken“ zur „Alpine Montan AG .Hermann Göring , Linz“, die einen Großteil der Eisenwerke der Steiermark umfaßte.

Waren die ste irischen Erzvorkommen kriegswirtschaftlich hoch bedeutend, so war der steirische Kohlenbergbau vom Blickpunkt des großdeutschen Wirtschaftsraums praktisch zu vernachlässigen. Daher auch die Verlagerung der Hütte nach Linz. Bis Kriegsende wurden die steirischen Kohlenbergbaue nur mehr in der Absicht betrieben, sie auf möglichst kostengünstige Weise auszubeuten und danach stillzulegen, um nach dem Kriege auf die billigere oberschlesische oder rheinische Kohle zurückzugreifen. Man konnte zurecht von einem Raubbau an den österreichischen Rohstoffen sprechen.Die ökonomische Potenz des Landes, vor allem in seinen Kemgebieten, der alten Industrieregion an Mur und Mürz, wurde bedingungslos in die Rüstungs- und Kriegsmaschinerie des Dritten Reiches integriert. Eine strukturelle Verbesserung erfuhr die Region allerdings nicht.

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