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Stellvertreter

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Ein bekannter Wiener Schei- dungsanwalt - anläßlich sei- ner „Silbernen Hochzeit" be- fragt, wieso seine Ehe so gut gegangen sei - hat die bemer- kenswerte Äußerung getan: „Andere Ehepaare haben sich sozusagen für uns scheiden lassen. Als Scheidungsanwalt lernt man ja nun wirklich sehr gut kennen, auf wie viele blöde Arten man eine Ehe ruinieren kann. Meine Beschäftigung mit den Eheproblemen anderer Paare hat meiner Frau und mir viel erspart. Wir haben eben nicht jeden Fehler nachge- macht. "

Andere Leute machen ähnli- che Erfahrungen. Ein Arzt: „Andere sind für mich gestor- ben! Ich habe einige Patienten, die entwickeln eine geradezu unglaubliche Phantasie, sich zizerlweis' umzubringen. Und erst meine lieben Herren Kol- legen: Vor lauter Behandeln merken die oft gar nicht, daß sie selber krank sind. Beson- ders Ärztebegräbnisse wirken sehr pädagogisch."

Anwälten steht natürlich ein Heer von Stellvertretern zur Verfügung. So ein Anwalt, eher grundsätzlich: „Andere sind für mich eingesperrt worden. Zu- gegeben, jeder Mensch gerät - und das nicht nur einmal - in Versuchung. Ich hab's meine Klienten für mich ausprobie- ren lassen und hob' mir den Häfen erspart!"

Und ein Bankdirektor: „Andere haben für mich Pleite gemacht. Ich schau' lieber zu, was die anderen alles riskieren und warte ab. Und ich hab's noch nicht bereut."

Ein Politiker: „Andere sind für mich korrupt gewesen. Als Politiker wird man ja sowieso beschimpft, und es wird einem fast alles unterstellt, auch wenn man ein Leben lang korrekt gewesen ist. Andere sind für mich korrupt gewesen, und ich hab' die schlechte Nachred' gehabt."

Und eine Buchhalterin: „Andere haben für mich Unter- schlagungen gemacht. Da hab' ich gesehen, wie tod-sicher alle Tricks sind. Da brauche ich nichts mehr selbst auszupro- bieren. "

Und ein Journalist: „Andere haben sich für mich verkauft. Und der Preis war oft gar nicht schlecht; aber der bittere Nach- geschmack, der irgendeinmal doch kommt, dank' schön!"

Auch ein Pfarrer: „Andere haben für mich geheuchelt. Da hab' ich gesehen, wie widerlich und peinlich es ist, wenn gera- de ein Christ den Perfekten spielt."

Und ein Elternpaar: „Ande- re haben für uns ihre Kinder schlecht erzogen. Wir waren glücklicherweise die letzten in unserem Bekanntenkreis, die Kinder bekommen haben. Das hat uns eine Menge Experimen- te mit unseren Kindern er- spart. "

Was für eine Wohltat, jeman- den zu haben, der stellvertre- tend alle Blödheiten, Irrtümer und Verbrechen erledigt.

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