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Stephansdom: Noch 24 Jahre unter Gerüst?

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Wiens Wahrzeichen, der „Steffi“, rückt wieder einmal in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Im April 1977 werden es 25 Jahre her sein, daß die neue Pumme-rin aus St Florian ihren feierlichen Einzug in den wiedereröffneten Dom hielt Dieses Ereignis war Symbol eines Neubeginns voll Hoffnung und Vertrauen in eine erfreulichere Zukunft Mit der Heimkehr der größten Glocke in „ihren“ Dom war ein äußeres Zeichen dafür gesctfaffen, daß sich Österreich aus allen Wirrnissen und Schrecken des Krieges erhoben hatte und die Bevölkerung mit aller Kraft darangegangen war, ihre Heimat neu aufzubauen.

Damals waren die Restaurierungsarbeiten am schwer kriegsbeschädig-ten Langhaus und Chor im Zuge des von Dombaumeister Karl Holey geleiteten Wiederaufbaues fertiggestellt worden. Der 1945 total ausgebrannte Südturm und der Hohe Turm von St Stephan konnten anschließend zwischen 1954 und 1965 renoviert werden. Nur durch die Mithilfe der Bevölkerung ganz Österreichs wie bei der „Dachziegelaktion“ oder der Hüfsak-tion „Bundesländer helfen dem Stephansdom“ konnten in Zusammenarbeit der Länder und Gemeinden mit dem Bund die ärgsten Kriegsschäden an Wiens größtem Gotteshaus behoben werden.

Heute ist der „Steffi“ wieder gern und viel bestaunte Fremdenattraktion; die Scharen büdungshungriger Touristen sammeln sich zur Besichtigung vor dem mächtigen Portal. Die Erwähnung des großen Brandes im letzten Krieg ist dabei nicht viel mehr als ein Stück Historie aus dem Fundus der Fremdenführer. Wohl auch ein GroßteU der Wiener ist der Meinung, daß der Wiederaufbau des Domes nach so vielen Jahren beendet sei.

Aber die Male des furchtbaren Krieges sind noch lange nicht alle getilgt. So wird derzeit an der Fertigstellung der drei Strebepfeüer an der Langhaus-Nordwand gearbeitet. Der Nordturm mußte eingerüstet werden. Gerade dieser Nord- oder auch Adlerturm ist besonders von den Sanierungsproblemen betroffen.

Er wurde 1450 nach einem Entwurf von Hans Puchspaum mit der Ausmauerung des Fundamentes begonnen und zwischen 1467 und 1511 weitergebaut. Von 1556 bis 1578 wurde die achteckige Haube mit dem Gocken-helm als Abschluß des unausgebauten Turmes von Kaspar und Hans Saphoy errichtet. Der Nordturm ist samt Aufbau und Dach mehr als 60 m hoch. 1945 wurden die „welsche“ Haube des Turms sowie wesentliche Teüe des Zier- und Maßwerkes schwer beschädigt oder gänzlich zerstört Denn, wie Dompfarrer Hügel erzählt, der Brand ging damals von der welschen Haube aus und führte schließlich zum Einsturz der 15 Meter hohen Dachstützmauer über der südlichen Pfeilerreihe des Chores. Der Turmhelm samt Haube wurde 1956/57 instandgesetzt und ein eigener Glockenstuhl für die Pummerin, die 1957 auf den Nordturm aufgezogen wurde, gebaut, so daß keinerlei Schwingungen auf das Mauerwerk übertragen werden.

Die Fassaden des Nordturmes aber und die kunst- und kulturhistorisch besonders interessanten und wertvollen Epitaphien an den Außenmauern mußten bisher dringender notwendigen Arbeiten den Vorrang lassen und warten bis heute auf ihre Instandsetzung. Sie tragen noch unverändert die Spuren des verheerenden Brandes von 1945.

Unter diesen Aspekten bemühen sich nun Dompfarre, Domerhaltungsverein und das 1953 von Bundeskanzler Leopold Figl ins Leben gerufene Kuratorium für die Erhaltung des Stephansdomes, die Bevölkerung gerade jetzt, im Hinblick auf das bevorstehende Wiederaufbaujubiläum, nicht nur über den derzeitigen Stand der Restaurierungsarbeiten, sondern vor allem auch über die großen Schwierigkeiten der Finanzierung zu informieren. Diese Schwierigkeiten könnten die weitere Durchführung des Sanierungsprogrammes zeitlich sehr hemmen.

Die Spuren der Zerstörung am Nordturm sind nicht zu übersehen. Der Prozeß der Versinterung bedroht das Mauerwerk, teilweise sind eiserne Klammern notwendig, um Teüe des Zierats, die sich stark gelockert haben, festzuhalten. Ein Großteü der Schäden stammt von Flak- und Artülerie-treffern und vom Luftdruck durch Bombentreffer vor den Häusern Stephansplatz 6 und 7. Dazu kommen Witterungseinflüsse, Umweltverschmutzung und die Taubenplage, so daß die Schadensstellen, die über die ganze Fläche des Turmes verteilt sind, ein beträchtliches Ausmaß erreichen.

pie Restaurierung der Außenfassaden erfolgt so, daß die schadhaften Steinoberflächen durch neue Kalksandsteinplatten aus dem Steinbruch von St Margarethen ersetzt werden, deren Haltbarkeit mit einer Dauer von zirka 100 bis 150 Jahren angegeben wird. Die Epitaphien sind durch die Abgase besonders gefährdet, die Instandsetzung gestaltet sich äußerst schwierig; man ist bemüht, bauchemisch eine Möglichkeit zu finden, um wenigstens den derzeitigen Zustand zu erhalten.

Die technische Durchführung dieser Arbeiten würde an und für sich keine großen Probleme schaffen. Die Schwierigkeiten liegen auf anderem Gebiet. Wieder einmal geht es um die leidige Geldfrage. Bis 1973 war es möglich, die Arbeitskräfte der Dombauhütte gemeinsam mit gewerblichen Steinmetzbetrieben aus Wien und Niederösterreich zum Wiederaufbau einzusetzen. In den letzten Jahren aber spitzte sich die finanzielle Situation derart zu, daß nur mehr mit den 15 bis 16 ständigen Mitarbeitern der Dombauhütte allein gearbeitet werden kann. Seit 1952 ist zudem die Höhe der Subventionen gleich geblieben oder sogar verringert worden, nur die Zuschüsse der Gemeinde Wien und des Burgenlandes wurden erhöht.

Damit nicht genug, werden private Subventionsgeber - das betrifft in diesem Fall alle Körperschaften mit freier Mitgliedschaft - in Österreich für ihre Bereitwüligkeit, zu helfen, vom Staat mit einer 35prozentigen Steuer „belohnt“. In Deutschland dagegen sind Spenden zur Erhaltung der Dome steuerbegünstigt. Die Erzdiözese Wien ist mit einer Mülion Schüling jährlich an Aufwand für die kirchliche Organisation in ihren finanziellen Möglichkeiten bereits voll ausgelastet

Daraus resultiert aber nun eine erhebliche Verzögerung der weiteren Arbeiten. Die Folgen davon werden, wie man den Schätzungen des Dombaumeisters Stögerer entnehmen kann, nicht zu übersehen sein. Denn der Stephansdom wird volle vierundzwanzig Jahre eingerüstet bleiben müssen, sollte man durch die bestehende finanzielle Lage gezwungen sein, im derzeitigen Arbeitstempo fortzufahren. Das heißt also: bis zum Jahr 2000 werden Baugerüste am Dom die Fußgängerzone beim Stephansplatz „verzieren“! Wäre es aber möglich, zusätzlich 2 Millionen Schilling jährlich für den Wiederaufbau aufzubringen, so könnte mit Hüfe gewerblicher Steinmetzfirmen die Restaurierungszeit genau um die Hälfte reduziert werden.

Aus diesem Grunde richten nun die zuständigen Stellen einen Appell um verstärkte Hüfeleistung an das österreichische Kulturgewissen und sicher auch ein wenig an das so oft zitierte „goldene Wienerherz“,' das ja zumindest den Worten der Dichter nach in besonderem Maß an „seinem Steffi“ hängt. Mit im Spiel ist auch ein gewisser Nationalstolz und das Bewußtsein der Verpflichtung, die ein kulturelles Erbe auferlegt, für das der Dom als Symbol stehen mag.

Die einfachste Art, einen Beitrag zur Sanierung des Stephansdomes zu leisten, ist die Mitgliedschaft beim Wiener Domerhaltungsverein. Jedes Mitglied erhält zweimal jährlich die Zeitschrift „Der Dom“, in der Informationen über den Stand der Arbeiten geboten und die Kunstwerke des Domes vorgestellt werden. Von offiziellen Stellen sollen mit der Bitte um Spenden vor allem der Gewerkschaftsbund und die Wiener Handelskammer angesprochen werden.

Das 25-Jahre-Jubüäum der Wiedereröffnung des Stephansdomes wird im Aprü 1977 gefeiert. Geplant ist eine Reihe von Veranstaltungen, die den Dom aus verschiedener Sicht her präsentieren sollen: als Kulturdenkmal, seine Bedeutung als Sakralbau, seine Baugeschichte und sein Schicksal während des letzten Krieges. Für den 22. Aprü ist ein Lichtbüdervortrag von Dombaumeister Stögerer angesetzt, bei dem auch die verschiedenen Phasen der Zerstörung gezeigt werden: durch Beschuß und Brand wurden 1945 das Dach, die drei Kreuzgewölbe des Chormittelschiffes, die drei Kreuzgewölbe des Südchores, die Nordostecke der oberen Sakristei, das große gotische Fenster der Westfassade vernichtet.

Ein Tag der offenen Tür am 23. April soll der Bevölkerung Gelegenheit geben, den gesamten Kirchenbau zu besichtigen. Darbietungen von Kir-henmusik im Dom, Gottesdienste und eine Erinnerungsfeier an die Eröffnung des Domes ergänzen das Programm.

Der eigentliche Eröffnungstag ist der 26. Aprü, an dem vom Kardinal zusammen mit den Bischöfen in Anwesenheit der Bundesregierung ein feierliches Pontifikalamt zelebriert werden, wird. Als Vorbereitung und Einleitung zu den Jubiläumsfeierlichkeiten soll am 15. Aprü in FS 1 ein Füm gezeigt werden, der sich mit St. Stephan und seiner Geschichte als Nationaldenkmal und Gotteshaus beschäftigt. Gleichzeitig erscheint eine dreiteilige Markenserie. Ende 1977 wird überdies im Domverlag ein vom Leiter des Diö-zesanmuseums, Univ.-Prof. Rupert Feudi tmüller, gestaltetes Werk über St. Stephan erscheinen, das die wissenschaftliche Literatur über den Dom zusammenfaßt und eine Dokumentation der Kunstwerke bieten soll, als Beitrag zur Kirchengeschichte wie zur Geschichte des Domes selbst.

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