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„Sterben ohne Aufsehen…“

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Die Offiziere bitten, nicht genannt zu werden. Sie dürfen nicht reden. Das Parlament diskutiert. Neuerlich. Aber das tut es schon seit 16 Jahren.

Was die Ausbildner, die Kommandanten bewegt, dringt nicht an die Öffentlichkeit. „Sterben ohne Aufsehen“ — so charakterisiert es ein Oberleutnant.

Dieser Report ist ein Auszug. Ein Auszug aus Gesprächen und Augenschein. Ein Report, den jene nicht schreiben können, denen Erlässe den Mund stopfen. Leider aber: ein wahrer Report.

„Wir sind verzweifelt. Wir haben zuwenig zum Sterben und zuviel zum Überleben. Man wird nicht emstgenommen. Man geniert sich, Soldat zu sein. Wir sind das Opfer einer verfehlten Wehrpolitik. Am liebsten würde ich lieber heute als morgen in Pension gehen.“

Einer von vielen Offizieren. Einer, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Was er sagt, denken viele seiner Kollegen. Aber nicht alle sagen es so offen.

Österreichs Bundesheer, das heuer sein 15jähriges Bestehen feiert, ist krank: „Weil wir von den Parteien und der Öffentlichkeit nicht ernstgenommen werden.“

Und die Meinung der Offiziere? In den Kasinos nennt man drei schwerwiegende Gründe, die mit an der derzeitigen Bundesheerkrise schuld sind.

Fehler Nummer 1: Mit dem Neuaufbau des Bundesheeres wurde General Lipitzky betraut. Ein ehrenwerter Soldat. Aber, er hatte seinen letzten Schuß 1915 abgegeben. Als er vor 15 Jahren die österreichischen Streitkräfte aufbaute, da war sein großes Vorbild die k. u. k. Armee ….

Fehler Nummer 2: Von allem Anfang an wurde verabsäumt, dem

Bundesheer ein positives Image zu geben. „Nach 1945“, so ein Offizier, „war der Soldat verteufelt, weil er entweder ein Nazi oder ein Trottel war, der im Krieg kämpfte. Bis 1955 war der Soldat erst recht wieder etwas Schlechtes, weil die Besat- züngssoldaten der Feind schlechthin waren. Und nun plötzlich sollte der Soldat ein guter Mensch sein?“

Fehler Nummer 3: Die Neutralität verpflichtet zwar Österreich zu einer Landesverteidigung. Die Parteien waren daran aber nicht sonderlich interessiert. Denn, man wollte kein schlagkräftiges Heer, in der Angst, der politische Gegner könnte es in Krisenzeiten einmal als Machtmittel einsetzen. Die Erinnerung an das vierunddreißiger und achtunddreißi- ger Jahr blockierte auf sozialistischer Seite den Aufbau des Heeres. Daß aber zum Beispiel das vielzitierte sozialistische Schweden eine starke Landesverteidigung hat, die führenden Köpfe der Armee Konservative sind und die Regierung trotzdem keine „Angst“ hat, wurde nicht als Vorbild akzeptiert.

Unter diesen Voraussetzungen vollzog sich 1956 die Geburt des Bundesheeres. Ein Berufssoldat charakterisiert die Situation: „1956 wurden wir zwangsläufig jubelnd be grüßt, weil wir die fremden Mächte im Land ablösten. 1959 waren wir bereits ein notwendiges Übel. Seit

1970 ist das Heer nur noch von der Parteien Haß und Qunst umstritten.

Diese äußeren Umstände führten dazu, daß heute unsere Landesverteidigung in einer echten Krise steckt. Wie diese Krise im Detail aussieht, zeigen einige Beispiele:

• Die Heeresversorgungsstelle in Wien ist für alle großen Reparaturen zuständig. Es mangelt allerdings nicht nur an Personal, sondern vor allem an Finanzen. Von 1970 auf 1971 wurde das Budget von 30 auf 12 Millionen gekürzt. Fazit: Nicht alle Reparaturen können mehr sofort durchgeführt werden. Viele Ersatzteile können nicht nachgekauft, sondern müssen selbst hergestellt werden, um Geld zu sparen. Hoch- empfindliche teure Geräte müssen varten, bis ein Budgetposten frei ist und bis einer der wenigen Angestellten dafür Zeit hat. Wartezeit: Oft bis zu zwei Jahren.

Sparmaßnahmen am falschen Platz führen dazu, daß modernste Geräte in den Werkstätten veralten.

• Der Personalmangel ist besonders drückend. Es fehlt nicht nur an Zivilangestellten, sondern auch am Kaderpersonal. Schuld daran trägt die Besoldung. So zum Beispiel werden in den Bundesheerwerkstätten Fachkräfte ausgebildet, die nach ihrer Ausbildung in die Industrie abwandern, weil sie „draußen“ viel bessere Gehälter erhalten als beim Heer. Die geringe Bezahlung fordert ihren Tribut: Offizier in Österreich ist kein lukratives Geschäft. So etwa erhält ein Oberstleutnant in Österreich (Alter: 50 bis 45) genausoviel Gehalt wie ein Fähnrich (Alter: 25) bei der deutschen Bundeswehr. Oder: Ein Wachtmeister bezieht ein monatliches Gehalt von 2700 Schilling. Jungmänner, die nach den sechs Monaten Präsenzdienst anschließend freiwillig weiterdienen, erhalten hingegen monatlich 3400 Schilling, und das netto. Das Gehaltsschema führte zum Beispiel in Hörsching zu folgenden kuriosen Fällen: Die drei Radarfachleute im Fliegerhorst waren früher Soldaten. Sie kündigten. Weil man keinen Ersatz fand, mußte man schließlich dieselbe Mannschaft als Zivilangestellte und zu besseren Bedingungen wieder anstellen. Oder: Die Düsenpiloten beim Heer verdienen zwischen 3000 und 4000 Schilling. Die Fluggesellschaften bieten denselben Leuten Gehälter zwischen

33.000 und 40.000 Schilling.

• Der Budgetmangel der österreichischen Landesverteidigung drückte sich bis vor kurzem auch darin aus, daß gewissen Bataillonen nicht nur bis zu 50 Prozent weniger Sprit für die Fahrzeuge, sondern auch zuwenig Munition zugeteilt wurde. In einer Kaserne trafen wir bei unseren Recherchen gleich beim Wachposten auf einen Mann, der innerhalb von 18 Monaten keine einzige Schießübung absolviert hatte. Inzwischen hat sich diese Situation wieder gebessert. Was aber nach wie vor gefordert wird, ist mehr Munition für schwere Waffen. Denn: „Ein Soldat muß schießen können.“

• Die Budgetknappheit drückt auch auf die Ersatzteilbevorratung: So gibt es in Hörsching für 21 Saab- Flugzeuge nur zwei Radfelgen. Bei einem Reifenplatzer müssen die Felgen ausgetauscht werden. Kleine Details könnten zum Ausfall einer ganzen Maschine führen.

• Die Geldknappheit bekommen auch die Rekruten zu spüren. Weil es an Zivilangestellten mangelt, müssen sie Dienste verrichten, die nichts mit einem Übungsbetrieb zu tun haben, die aber einfach gemacht werden müssen.

Dazu gehören etwa Casinodienst, Rasenmähen und Renovierungsarbeiten. Für die Instandhaltung der Kasernen wäre die Bundesgebäudeverwaltung zuständig. „Weil die auch kein Geld hat, wir aber die Gebäude nicht verlottern lassen können, müssen wir diese Arbeiten von Präsenzdienern durchführen lassen“, klagte ein Kommandant. „Und die Präsenzdiener reden dann von Leerläufen.“

Diese Mangelerscheinungen, die charakteristisch für die Lage sind, ließen sich beliebig fortsetzen:

• Während etwa in einigen Kasernen zuviel Wachdienst erfolgt, sind neuralgische Punkte wieder unterbesetzt. So etwa ist das Waffenarsenal der Kaserne in Wien-Meid- ling nachts nur durch ein gewöhnliches Eisengitter abgesperrt. Die Wache wird von zwei älteren Herren der Wach- und Schließgesellschaft besorgt.

• Ein besonderes „Gefälle“ besteht zwischen Wien und den Bundesländern: Haben außerhalb der Bundeshauptstadt die Soldaten die Übungsplätze direkt vor der Kasernentür, so sind die Wiener Kasernen mitten unter den Wohnvierteln. Vom Standquartier bis zu den Übungsplätzen gibt es lange Anfahrts- und Anmarschwege, die zum Zeitschinden verlocken und wieder Leerläufe bringen.

• Ein zügiger Ausbildungsbetrieb, der gerade durch die Wehrdienstverkürzung von neun auf sechs Monate unumgänglich ist, wird aber nicht nur durch den Mangel an geschultem Ausbildungspersonal („Jede Dienstleistung ist so gut wie ihre Dienstaufsicht.“) blockiert, sondern steht auch in Widerspruch zu zahlreichen „Absicherungserlässen“, wobei sich die Offiziere nur mangelhaft durch ihre Vorgesetzten gedeckt fühlen.

• Gerade bei der Truppe hat man auch einen gewissen Zorn auf die Stabsstellen und das Ministerium. Sie leiden nämlich kaum unter Mangelerscheinungen. Dazu kommt noch, daß diese Stellen, ebenso wie einige Truppenverbände, keine Vorbestraften als Rekruten nehmen, was wiederum zwangsläufig dazu führt, daß in allen anderen Kasernen der Anteil der Vorbestraften relativ hoch ;ist.

Viele Offiziere sehen durchaus all diese Fehler. Aber sie haben es aufgegeben, dagegen etwas zu unternehmen. Denn: „Wir drücken oft beide Augen zu, weil wir wissen, daß nichts geändert wird.“ Einer jener hat dagegen etwas unternommen. Bei einem Besuch des Verteidigungsministers erstattete er Bericht: „Herr Minister, das geht nicht so weiter ..Darauf der Minister zu seinem Adjudanten: „Bitte notieren sie das sofort.“ Geschehen, so der Offizier, ist bisher nichts.

Diese Situation beim Bundesheer findet -schließlich ihren Niederschlag in der Stimmung des Offizierskorps. Der „Schweigeerlaß“ hat zu keiner Beruhigung geführt.

Während sich ein Teil der Offiziere mit der augenblicklichen Lage abfindet („Wir haben schließlich auch einen Krieg überlebt“) und das Beste aus der Situation holt, sind die anderen statt von unbeugsamen Idealismus von Resignation befallen: „Solange sich die Einstellung der Öffentlichkeit, von der Regierung bis zum Hilfsarbeiter, nicht ändert, kann bei der Ausbildung nichts heraus- schauen und die Re

form muß zum Scheitern verurteilt sein.“

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