7212259-1992_35_10.jpg
Digital In Arbeit

Sterben zwischen Marburg und Jasenovac

19451960198020002020

Sieben „Offensiven" unterscheiden jugoslawische Kriegshistoriker bei den deutschen Aktionen gegen die Partisanen zwischen dem Kampf um Uzice im September 1941 und dem letzten Versuch im Mai 1944, mit Fallschirmjägern das Hauptquartier Titos bei Drvar auszuheben. Im gegenwärtigen Bandenkrieg um die Beute „Jugoslawien" mischt die jüngste Vergangenheit kräftig mit.

19451960198020002020

Sieben „Offensiven" unterscheiden jugoslawische Kriegshistoriker bei den deutschen Aktionen gegen die Partisanen zwischen dem Kampf um Uzice im September 1941 und dem letzten Versuch im Mai 1944, mit Fallschirmjägern das Hauptquartier Titos bei Drvar auszuheben. Im gegenwärtigen Bandenkrieg um die Beute „Jugoslawien" mischt die jüngste Vergangenheit kräftig mit.

Werbung
Werbung
Werbung

Februar 1944. Die deutsche erste Gebirgsdivision stand südlich von Bihacim Partisaneneinsatz. Ich sollte bei einer rückwärtigen Dienststelle in Knin etwas besorgen. Ich ließ mir von der Ortskommandantur ein Quartier zuweisen - im Haus eines Moslem.

Der Hausherr saß auf seinem niedrigen Diwan, Fez, dicker Schnurrbart, ärmelloses Jäckchen, Pluderhose, Nargileh - ein Typ, wie aus Karl Mays „In den Schluchten des Balkan" entsprungen. Finster sah er mich von oben bis unten an, als ich grüßte und meine Zuweisung meldete. Dann blieb sein Blick auf dem Edelweiß am Ärmel und auf der Bergmütze hängen.

„Fraind, bist du Esterreicher?" fragte er. Ich sagte verblüfft „Ja", worauf er sich hochwuchtete von seinem Sitz, einen Kopf größer vor mir stand, mich an seine Brust drückte und zu schimpfen begann, auf Tito, auf Pavelic, auf König Alexander - nur Kaiser Franz Joseph hatte bei ihm Geltung. War er doch, wie er schwärmte, als Feldwebel der Vierer-Bosniaken von der Rossauerkaseme mit der Wache zur Hofburg marschiert...

Die nostalgische Erinnerung an die Zeit „als Soldat unter Franz Joseph" konnte der Urlauber auch 20 Jahre später noch miterleben. Wenn er in Dalmatien, in Bosnien, selbst in Friaul mit alten Männern ins Gespräch kam. Sie sind inzwischen ausgestorben. Was Österreich in 30 Jahren Okkupation, in nur zehn Jahren Annexion an Aufbauleistung in Bosnien hinterlassen hat, wird wohl kaum mehr zur Kenntnis genommen. Was sich heute im Gebiet des zerfallenen Jugoslawien abspielt, hat seine Wurzeln zum geringsten Teil in der österreichischen Vergangenheit. Es geht auf jahrhundertealte Traumata, vor allem aber auf die Ereignisse vor 50 Jahren zurück.

Bombardierung Belgrads

Jugoslawien war aus dem Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie entstanden, aus dem Traum der südslawischen Politiker von der Gemeinsamkeit ihrer Völker über alle ethnischen, historischen, konfessionellen Unterschiede und Konflikte hinweg - und war bald zur Königsdiktatur unter serbischer Dominanz mit latentem Bürgerkrieg entartet.

Das Attentat auf den Kroatenführer Stjepan Radic in der Belgrader Skup-tschina, die Ermordung des Königs Alexander in Marseille durch kroatische Terroristen waren die Höhepunkte dieser Entwicklung.

Unter dem Eindruck des Zerfalls der Tschechoslowakei beschloß auch die Kroatische Nationalversammlung im Jänner 1939 die Herauslösung Kroatiens aus Jugoslawien. Ein Ausgleich-wie einst jener zwischen Wien und Budapest - zwischen Belgrad und Agram vom August 1939, mit dem die kroatischen „Banschaften" (Verwaltungsbezirke) vergrößert und die Existenz einer kroatischen Nation anerkannt wurden, schien einen Hoffnungsschimmer zu geben. Die Zeit zur Bewährung fehlte.

Als am 26. März 1941 ein Putsch den deutschfreundlichen Prinzregenten Paul entmachtete, ließ Adolf Hitler am 6. April Belgrad bombardieren und die Wehrmacht von allen Seiten einmarschieren. - Elf Tage später wurde in Belgrad der Waffenstillstand unterzeichnet. Zu dieser Zeit existierte Jugoslawien praktisch nicht mehr.

Schon am 10. April, noch vor dem - umjubelten - Einmarsch der deutschen Truppen in Agram hatte der ehemalige k.u.k. Oberstleutnant Slav-ko Kvaternik den „Unabhängigen Staat Kroatien" ausgerufen. Poglav-nik (Staatschef) wurde der Ustascha-Gründer Ante Pavelic.

Ein Slowenischer Nationalrat rief die Landsleute in der Armee auf, heimzukehren und in eine „Slowenische Legion" einzutreten. Die Ungarn holten sich die 1918 verlorenen Gebiete der Murinsel und der Batschka, die Bulgaren Mazedonien - wo auch sie als Befreier begrüßt wurden.

Aber die Machthaber hatten ihre eigenen Vorstellungen von der Aufteilung des Donau-Balkan-Raumes. Die Oberkrain mit Veldes (Bled) und die Südsteiermark mit Marburg, Cil-li, Pettau wurden dem Reich angegliedert. Die restliche Krain mit Laibach erhielt italienische Zivilverwaltung.

„Sieg" der Deutschen

Das eben erst selbständig gewordene Kroatien wurde durch eine Demarkationslinie geteilt - im Norden hatte Deutschland, im Süden Italien die militärische Aufsicht. Die dalmatinischen Inseln, das Umland von Fiume (Rijeka), Spalato (Split), Ragusa (Dubrovnik), Cattaro (Kotor) sollten ebenso zur italienischen Einflußsphäre zählen wie Montenegro. Die Idee, aus Kroatien und Montenegro von Italien abhängige Königreiche zu machen, blieb phantastischer Traum.

In Serbien bildete der einstige königliche Kriegsminister Milan Nedic unter der Aufsicht des deutschen Militärbefehlshabers eine Zivilregierung. Er stützte sich auf die antikommunistische Zbor-Bewegung und strebte ein Königreich Serbien in gerechten Grenzen an. Nedic gelang es, eine geordnete Verwaltung aufzubauen, die Wirtschaft in Gang zu bringen und neben der eigenen Bevölkerung noch 600.000 Flüchtlinge zu versorgen.

Der Widerstand setzte unmittelbar

nach dem deutschen Sieg ein - von zwei Seiten. Der ehemalige Generalstabsoberst Draza Mihajlovic sammelte die in die Berge geflohenen Soldaten in seinen Tschetnik-Verbänden, Milizen mit der Tradition der Komitadschi derTürken-und Balkankriege, königstreu und antikommunistisch. Der Führer der jugoslawischen Kommunisten, Josip Broz-Tito, einst k.u.k. Korporal, stellte seine Guerilla-Einheiten auf, die sich dann auf Befehl Moskaus „Partisanen" nannten.

Die Tschetnici wollten die Zivilbevölkerung aus dem Krieg heraushalten: die Tito-Partisanen provozierten bewußt die Besatzungsmächte zu Repressalien, um Haß zu schüren.

Mihajlovic wie Tito hatten viele Möglichkeiten, in den Bergen Bosniens und Montenegros ihre Verbände aufzubauen, erste Aktionen zu setzen, zunächst noch beide gegen die Deutschen und Italiener. Dann, ab Herbst 1941, vor allem im italienischen Besetzungsbereich, wurden die Tschetnici zu erbitterten Bekämpfern der Kommunisten.

Einen Tschetnik-Aufstand im Juni 1941 schlug die Ustascha grausam nieder - im Gegenzug brannten

Tschetnici unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung kroatische Dörfer nieder und ermordeten die Bevölkerung. Auch gegenüber Moslems in Bosnien und im Kosovo kam es zu Ausschreitungen der Tschetnici.

Kroatien war für die Abtretungen in Dalmatien an Italien mit Gebieten in Bosnien und der Herzegowina entschädigt worden - es wurde damit aber aus einem National- zu einem Nationalitätenstaat, in dem drei Millionen Kroaten nur mehr etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellten. Die Serben erreichten mit 1,8 Millionen ein knappes Drittel der sechs Millionen Einwohner der NDH (Nezavisna Drzava Hrvatska), die 717.000 Muselmanen und 410.000 sonstige, darunter 100.000 Volksdeutsche, ergänzten.

Aber in Kroatien war die Versorgungslage schlecht, der nationalistische Eifer dafür umso größer. Das Werkzeug, diesem Eifer zu entsprechen, war die Ustascha, eine Miliz nach dem Vorbild der SS oder der italienischen Schwarzhemden, schließlich 115.000 Mann stark, ebenso bei „Säuberungen" wie im direkten Partisanenkampf eingesetzt. Für sie waren die Tschetnici ebenso verhaßte Feinde wie die Kommunisten.

Das Regime stellte die Serben mit den Juden gleich. In Agram durften beide nicht die Straßenbahn benützen, mußten in Ghettos wohnen.

Um das Problem der serbisch-orthodoxen Minderheit zu lösen, wollte Pavelic ein Drittel aus Kroatien vertreiben, ein Drittel zum Übertritt zur katholischen Kirche zwingen und ein Drittel umbringen. Aloj-ze Stepinac verurteilte den Usta-scha-Terror scharf, aber Pavelic fand bei manchem kleinen Dorfpfarrer Unterstützung. Das kroatische Konzentrationslager Jasenovac wurde zum Fanal.

Der deutsche Einmarsch in die Sowjetunion am 21.Juni 1941 gab dem Partisanenkrieg den endgültigen Anstoß. Jugoslawische Historiker datieren seinen Beginn mit dem Überfall auf zwei serbische Gendarmen in Bela Crkva am 7. Juli 1941 und der Niedermetzelung einer italienischen Einheit in Montenegro. Die Vergeltungsmaßnahmen erreichten mit Massenerschießungen in Kra-gujevac erste Höhepunkte. Als Tschetnici und Kommunisten

bei Uzice aufeinanderstießen, wurde aus dem Krieg der Partisanen der Bürgerkrieg.

Die meist aus dem alten Österreich stammenden deutschen Generäle Alexander Lohr, Lothar Rendulic, Edmund Glaise-Horstenau, Artur Phleps sowie der Sonderbevollmächtigte Südost, der frühere Wiener Bürgermeister Hermann Neubacher, protestierten mehrfach gegen die Terrormaßnahmen des Pavelic-Regimes wie gegen die überdimensionierten Repressalien im Führer-Hauptquartier. Ihr Kredit bei Hitler sank, Pavelic galt für ihn als sein „letzter Verbündeter".

Titos Volksbefreiungsarmee

Längst war aus dem völkerrechtswidrigen Bandenkrieg ein regulärer Kampf zweier feindlicher Mächte geworden. Nach dem Balkanfeldzug waren zunächst nur Sicherungs- und Polizeiverbände zurückgeblieben, erst ab 1942 kam Nachschub. Im Frühjahr

1943 standen neun deutsche Divisionen zur Bekämpfung der Partisanen bereit, unterstützt von Ustascha, aber auch von Tschetnik-Verbänden, die die Deutschen den Kommunisten vorzogen.

In der Zwischenzeit hatte Tito seine Partisanenverbände zu „Proletarischen Brigaden", zu Divisionen und Korps ausgebaut, die sich seit Ende 1942 „Volksbefreiungsarmee" nannten und Anspruch erhoben, als kriegführende Macht anerkannt zu werden. Die Engländer schickten Berater, Waffen und Gerät.

Der Frontwechsel Italiens im Herbst 1943, dann der Rumäniens im August

1944 machten den Balkan unhaltbar. In Eilmärschen zogen die deutschen Einheiten aus Griechenland durch Serbien ab. Die Rote Armee stieß aus Rumänien gegen Belgrad vor. Bulgarien

schwenkte um.

Am 9. Mai 1945 war auch im Südosten der Krieg zu Ende. 250.000 Kroaten und Slowenen waren vor den Tito-Verbänden nach Kärnten geflohen,um sich den Briten zu ergeben. 30.000 von ihnen wurden ermordet, als die Partisanen sie nach Marburg trieben. Südlich von Marburg wurden 50.000 kroatische Soldaten, 30.000 Zivilflüchtlinge niedergemetzelt.

Miloyan Djilas beziffert die jugoslawischen Menschenverluste zwischen 1941 und 1945 mit 1,7 bis 1,8 Millionen - davon 305.000 Partisanen, dann die Opfer der Konzentrationslager und der Massaker, der Luftangriffe sowie jene, „die im Kampf gegen den Kommunismus starben oder von uns Kommunisten erschossen wurden".

Draza Mihajlovic kämpfte noch bis 1946 gegen Tito weiter und wurde nach einem Prozeß erschossen. Milan Nedic beging vor seinem Prozeß im Gefängnis Selbstmord. Ante Pavelic entkam über Italien nach Argentinien und starb 1959 in Madrid.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung