Sterbeverfügungsgesetz: Verwalteter Dammbruch

19451960198020002020

Der vorgestellte Entwurf des „Sterbeverfügungsgesetzes“ wird kontrovers diskutiert. Wie ist die geplante Neuregelung ethisch zu bewerten? Eine Einschätzung von der Juristin Stephanie Merckens.

19451960198020002020

Der vorgestellte Entwurf des „Sterbeverfügungsgesetzes“ wird kontrovers diskutiert. Wie ist die geplante Neuregelung ethisch zu bewerten? Eine Einschätzung von der Juristin Stephanie Merckens.

Werbung
Werbung
Werbung

In allerletzter Minute legt die Bundesregierung ein Gesamtkonzept vor, mit dem die Suizidbeihilfe in Österreich ab Jänner 2022 geregelt werden soll. Dabei muss klar sein, dass der eigentliche Dammbruch in dieser Frage bereits durch den Verfassungsgerichtshof erfolgte. Dem Gesetzgeber blieb im Grunde nur noch dessen Verwaltung übrig. Im nun vorliegenden Konzept steckt viel Positives. Die Einschränkung der Personengruppe auf Schwerkranke, die ihren Leidensdruck als unerträglich empfinden, übernimmt die Hoffnung, dass die Aussicht auf assistierten Suizid in diesen Fällen sogar suizidpräventiv wirken könnte. Die verpflichtende Aufklärung durch zwei ärztliche Personen dient sowohl dem Schutz vor Missbrauch, aber mehr noch der Unterstützung des freien Willens, soll doch verhindert werden, dass diese einem Irrtum über ihren Zustand beziehungsweise die Behandlungsmöglichkeiten unterliegt. Deswegen ist die Einbindung eines Palliativmediziners entscheidend.

Grundsätzliche Strafbarkeit bleibt

Positiv ist, dass die grundsätzliche Strafbarkeit der Suizidbeihilfe erhalten bleibt. Nicht nur als deutliche Bestätigung des suizidpräventiven Primats unserer Rechtsordnung, sondern wesentlich vor allem auch im Hinblick auf die Überprüfbarkeit der Freiwilligkeit. Denn auch mit der neuen Regelung kann man nur dann von einem Suizid im Sinne des Strafgesetzes ausgehen, wenn die Selbstverantwortlichkeit im Zeitpunkt der Tötungshandlung vorliegt.

Unbedingt nachgebessert werden sollte aber noch bei der Rolle der Ärzte, der psychologischen Abklärung, der Patientenverfügung und dem Benachteiligungsverbot: Warum muss der aufklärende Palliativmediziner die Dosis des Suizidpräparats angeben? Wie sollen die Mediziner feststellen, ob der Suizidwunsch frei von den Erwartungen anderer ist? Und warum wurde eine Abklärung seitens eines Psychologen nicht a priori verpflichtend aufgenommen? Sämtliche Experten haben im Vorfeld deutlich gemacht, dass es oft Zeit und mehrere Gespräche braucht, um überhaupt zu erkennen, dass sich hinter einem Todeswunsch eine tiefsitzende Depression versteckt, die behandelbar wäre. Gerade Altersdepression ist ein Phänomen, das allzu oft übersehen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung