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Stern-Stunde der Liebe

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Eigentlich wird Weihnachten nur unvollständig gefeiert, wenn wir die Begehung dieses Festes auf den Heiligen Abend und den darauf folgenden Christtag beschränken.

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Eigentlich wird Weihnachten nur unvollständig gefeiert, wenn wir die Begehung dieses Festes auf den Heiligen Abend und den darauf folgenden Christtag beschränken.

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Weihnachten ist, liturgisch gesehen, ein festlicher Zeitraum, der sich von der Nacht, da Jesus geboren ward, bis zum Feste der Erscheinung spannt. Weihnachten ist ein Raum der Besinnung, innerhalb dessen wir ein Stück unserer Heilsgeschichte geistlich nachvollziehen können.

Zuerst kommt der Sohn Gottes, indem er sich unsertwillen aller himmlischen Herrlichkeit entäußert hat, als Kind armer Leute in einem Stall, von Ochs und Esel überschnaubt, in diese Welt. Dann erfolgt im Preisgesang der Engel, im Aufleuchten des Sterns und in der späteren Anbetung der Weisen aus dem Morgenland ein Vorgriff auf das Wiederkommen des Herrn als Weltenherrscher am Ende der Zeiten. Gott begegnet zu Weihnachten unseren Sinnen und unserem Glauben weder bloß als Kind, noch bloß als König, sondern als Kind-König.

Himmel und Erde haben sich in der Heiligen Nacht und in den heiligen Tagen danach zu staunender Anbetung vereinigt: für die unbelebte Schöpfung der geheimnisvoll aufstrahlende Stern; für die lebende Kreatur die beiden Vierbeiner; die Hirten als Vertreter aller Einfachen, Demütigen, Kleinen, Armen, Hungernden, Leidenden, Ausgestoßenen; für eine der Erleuchtung von oben geöffnete Wissenschaft die geheimnisvollen Sterndeuter aus dem Osten; für die in dieser Nacht wieder zu Gott erhobene Menschheit aber eine kleine, zarte Frau, die eben den Kind-König aus ihrem Schoß entlassen hat und die ihn jetzt stillt, wie alle Erdenmütter es tun, und ihr Mann, ein verarmter Adeliger, den Gottes Ratschluß in dieser Nacht zum Adoptivvater seines Sohnes werden ließ. Der Himmel selber hat zum Einsinken Gottes in dieser Welt eine Schola singender Engel geschickt.

Damals war dieses Geschehen etwas gesellschaftlich so Uninteressantes, wie es die Geburt eines Kindes von armen Eltern noch heute ist. Kein Papst würde die Patenschaft übernehmen, kein Kirchenblatt würde davon Notiz nehmen, schon gar nicht der Kirchenfunk. Wie heute wich man auch damals den Armen, diesen schlechtgekleideten Leuten, aus; sie riechen doch so schlecht. Und sie seien, wenn man ihnen etwas schenke, recht undankbar.

Freilich, eine andere Gruppe von Menschen glaubt sofort ziemlich genau zu wissen, was sich in Wirklichkeit im Stall von Bethlehem vollzogen hat: König Hero-des und seine politischen Berater, nachdem sich die vornehmen Weisen aus dem Morgenland ausgerechnet bei diesem aufgeklärten Tyrannen nach dem Geburtsort des vorausgesagten Kind-Königs erkundigt hatten. Aus seiner Herrschaftsangst heraus hat er eine unfehlbare Witterung für das Liebenswert-Unschuldige, Friedensstiftende, das mit diesem König-Kind plötzlich in die Geschichte eingebrochen ist. Augenblicklich läßt er fieberhaft nach dem Kind als möglichem Usurpator fahnden.

Der Armutsthron des Kind-Königs, die strohgefütterte Krippe, ist nicht nur umstrahlt von göttlichem Licht, sondern auch von satanischer Drohung umdunkelt. Kaum hatten Maria und Josef auf die Warnung des Engels hin das Heil des Kindes und ihr eigenes in der Flucht nach Ägypten gesucht, nun Vertriebene, Asylsuchende, Emigranten, ordnet bereits König Herodes den Massenpräventiv-Mord an Hunderten von neugeborenen Büblein in der ganzen Umgebung von Bethlehem an. Unmündige werden zu Blutzeugen.

Die Geburt Jesu mitten auf einer Reise, unter dem Notdach eines Stalles, die gesellschaftliche Randposition Josefs, die Ausgesetztheit des Hirtenvolkes, der bestialische Kindermord, die Emigration in die Fremde, dies alles deutet schon auf das verlassene Sterben Jesu auf dem Schandholz; ist er doch in dieser Nacht in dieses unser widerspenstiges Fleisch gekommen, um nach langer Verborgenheit und kurzer Frist des öffentlichen Wirkens für uns am Kreuz zu sterben, um von dort her sein erlösendes Blut über unsere harten Herzen strömen zu lassen. Schon über dem Stall von Bethlehem dunkelte der Kreuzesgalgen herauf. Darüber darf uns weder alle Krippenseligkeit noch der Goldgrund mittelalterlicher Weihnachtsdarstellungen hinwegtäuschen.

Er wird nach seinem Tod und nach seiner Auferstehung von den Christen das Zeugnis für die Wahrheit seines und ihres Namens fordern. Darum ist auch der erste Heilige, der nach dem Fest der Geburt unseres Herrn von der Kirche gefeiert wird, ein Märtyrer, der Diakon Stephanus. So betrachtet, entbehrt das Weihnachtsfest jeder Idyllik. Der Stern von Bethlehem spiegelt sich in der Blutlache des gesteinigten ersten Glaubenszeugen.

Das andere aber, die Kantilenen der Engel, das mystische Licht des Sternes, der Kniefall der Weisen, ihre für einen König dargebrachten Gaben, die mütterliche Schönheit Mariens, all dies deutete schon damals auf seine glorreiche Auferstehung hin, in die wir im Glauben schon als Lebende hineingenommen worden sind. Am letzten Tag der Weltgeschichte aber wird er als König der Menschheit und des Weltalls zum zweiten Male, aber nun endgültig, erscheinen. Dann werden die mit dem Tau bezeichneten, die Treugebliebenen, mit ihm herrschen, wie es das Fest der Erscheinung des Herrn bereits vorwegnimmt.

Die Liturgie-Reform, welche durch das Zweite Vatikanische Konzil gestiftet worden ist, hat auch im Festkreis der Kirche zu einer folgenreichen Akzentverlagerung geführt. Wie in der alten Kirche und noch immer in der Ostkirche tritt der Rang des Osterfestes als des Festes unserer Erlösung wieder stärker in Erscheinung.

Gewiß, wir dürfen, dem geschichtlichen Erdenweg Jesu folgend, von Weihnachten auf Ostern zugehen,“aber wir müssen, heilsgeschichtlich ergriffen, Weihnachten auch von Ostern her sehen und begreifen; denn dieser in Bethlehem geborene und später gekreuzigte Jesus ist am Ostersonntag von glaubwürdigen Zeugen als wieder im Leben wandelnd gesehen worden. Weihnachten, das Fest der Menschwerdung Christi, ist vom Osterfest des gekreuzigten und auferstandenen Jesus nicht zu trennen; daher müssen wir sowohl den Schatten des Kreuzes wie den Glanz der Auferstehung ins Weihnachtsmysterium hineinnehmen.

Freuen wir uns in den kommenden Tagen mit allen Freudigen, trösten wir aber auch alle Traurigen! Nehmen wir in unser innerstes Herz die niedrige Geburt und Armut des Herrn! Lieben wir noch tiefer den Gottessohn, der sich aus Liebe zu uns seiner Gottheit entäußert hat! Kehren wir wieder ganz in die Botschaft von Bethlehem ein: Jeder Mensch ist unserer Liebe wert, weil jeder ein zuvor von Gott geliebter Mensch ist. Gönnen wir nicht nur den Menschen, die uns nahestehen, sondern allen, denen wir begegnen, einen unvoreingenommenen, neuen Blick in der Liebe! Laßt uns vor allem jene beschenken, die offenbar niemand beschenkt!

Begeben wir uns in das Herz der Weihnacht! öffnen wir uns der unendlichen Großmut des nie mehr aufhörenden göttlichen Liebesangebotes! — Dann brauchen wir uns auch vor dem noch immer raketenbestückten Jahr 1987 nicht mehr fürchten.

Der Autor ist Kulturphilosoph und leitete lange Zeit das Katholische Bildungswerk der Diözese Innsbruck.

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