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Steuer-Abseits

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Mit einer Reform der Lohn- und Einkommensteuer, die eigentlich ein großer Wahlschlager hätte werden sollen, hat sich die sozialliberale Koalition in Bonn gleich zu Anfang eines Jahres mit sechs Landtägs- wahlen ins Abseits manövriert. Jahrelang bastelte die SPD-FDP-Re- gierung, die mit dem Versprechen, einschneidende Reformen zu realisieren, angetreten war, an der Steuerreform herum und mußte sich dabei von der CDU-CSU-Opposition noch kräftig ins Handwerk pfuschen lassen. Sie versprach den Steuerzahlern, als das Gesetz schließlich beschlossen wurde, Steuemachlässe in Höhe von rund 14 Milliarden D-Mark. Kanzler Schmidt prophezeite noch im vergangenen Jahr, der Großteil der Bürger werde in Mark und Pfennig ausrechnen können, was ihm die Steuerreform an Vorteilen bringe.

Als allerdings die ersten Lohnauszahlungen im Jahr 1975 stattfan- deh, brauste ein Orkan der Entrüstung auf. Statt weniger gab es vielfach ein Mehr an Abzügen. Vor allem bei Ehepaaren, von denen beide Partner verdieneh, machte die Steigerung bei der Lohnsteuer bis zu 400 D-Mark aus. Aber auch wer bei der Steuer gimpflich davonkam, merkte oftmals wenig davon, weil gleichzeitig die Sozialabgaben erhöht wurden, so daß die vom Kanzler empfohlene Rechnung das angeprie sene Reformwerk ehef zur Mißgeburt stempelte und der wortgewaltige CSU-VorSitzende Franz-Josef Strauß fand das plastische Wort von der „Mogelpackung“.

Nachdem sich die Proteste bei den Regierungsstellen, den Finanzämtern, aber auch bei SPD-Organi- sationen häuften, versuchte die Bonner Regierung, zu retten, was zu retten war. Finanzminister Apel warf sich in die Bresche, nahm die Schuld auf sich und gab sich selbst etwas überrascht über die realen

Auswirkungen der Steuerreform. Eine rasch gestartete Anzeigenkampagne klärt zwar nun zu Recht darüber auf, daß die Steuerreform, entgegen ersten Eindrücken, den meisten Steuerzahlern Vorteile bringe, aber der Unmut in der Bevölkerung ist nicht mehr zu stoppen. Altgediente SPD-Wähler erklären diese Partei für nicht mehr wählbar und dies alles kurz vor einer Landtagswahl in West-Berlin.

Die mißglückte Steuerreform könnte Zusammen mit den Krisen erscheinungen in der Bundesrepublik das Ende der sozialliberalen Koalition bedeuten. Die Steuerreform ist dabei ein geradezu klassisches Exempel dafür, was diese Regierung in solche Schwierigkeiten gebracht hat. Die Reform war in einer Phase der Stärke der FDP- SPD-Regierung in Angriff genommen worden. Zunächst als „Jahrhundertwerk“ angekündigt, erlitt sie unter wechselnden Finanzministern das Schicksal, immer wieder reformiert und verändert zu Werden. Das Ziel war, jene Einkommen, die erst durch die Inflation der letzten Jahre in die Progressionszone gerückt waren, wieder aus dieser herauszuholen. Spitzenverdiener sollten stärker zur Kasse gebeten werden. An der unteren Grenze der Lohnskala sollten deutliche Entlastungen stattfinden. Statt eines Kinderfreibetrags sollte Kindergeld bezahlt werden, um so die Ungerechtigkeit zu beseitigen, daß sieh dieser Freibetrag bei hohen Verdiensten viel besser auswirkte. Zunehmend wurde das Konzept verwässert, statt verbessert.

Mit der Reform sollte aber auch noch gleichzeitig der alte Mißstand beseitigt Werden, daß doppelt verdienende Ehepaare während des ganzes Jahr zuwenig Lohnsteuer zahlen und dann im nächsten Jahr Steuernachzahlungen von oft mehreren tausend D-Mark leisten mußten. Der neue Tarif ist daher so angesetzt, daß höchstens der Staat etwas zurückzahlen muß. Daher sahen sich vor allem diese Ehepaare, von denen beide verdienen, mit beachtlich hohen Steuersätzen konfrontiert. Da das zu viel gezahlte Geld erst irgendwann im Jahr 1976 rückerstattet wird, dominiert vorerst der Ärger über die Mehrzahlung. Ergebnis für die Koalition: Trotz eines wahrscheinlich doch beachtlichen Steuernachlasses in Milliardenhöhe herrscht Unmut in der Bevölkerung und auch der erhoffte Kaufkraftzuwachs kommt erst 1976 statt 1975.

Der Vorwurf, daß die SPD-FDP- Koalition, und vor allem die SPD, zwar im Konzipieren groß, in der Verwirklichung untalentiert sei,

scheint sich nun für den Wähler deutlich zu bestätigen. Die Regierung hat sich zu einem guten Teil um den Ruf der Regierungsfähigkeit gebracht. Wäre Willy Brandt noch Kanzler, der dieses Bild des Gut-Meinens aber Schlecht-Verwirk- lichens besonders stark repräsentiert — das Schicksal der Koalition wäre schon heute besiegelt. So sichert der Tatkraft, Dynamik und Solidarität ausstrahlende Helmut Schmidt den Eindruck, wenigstens an der Spitze stehe ein Mann, der regieren kann.

Dazu kommt, daß die Steuerreform nicht das einzige Mißgeschick ist. Wichtige Reformprojekte sind ins Stocken geraten. Um die Berufsausbildung geht Seit Wochen ein Kampf zwischen dem sozialdemokratischen Bildungsminister und dem freidemokratischen Wirtschaftsminister, den auch Schmidt noch nicht beenden konnte. Die Mitbestimmungsreform liegt auf Eis, nachdem auch noch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gekommen sind. In einer anderen Frage der Verfassungsgemäßheit droht der SPD-FDP-Koalition eine Schlappe: Gerüchte aus Karlsruhe besagen, daß das Verfassüngsgerfcht die Fristenlösung in der Abtreibungsfrage als verfassungswidrig ablehne. Von einem so hochgestochenen Ziel wie der Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivvermögen mag in Bonn gar niemand mehr sprechen.

Denn inzwischen sind brennendere wirtschaftliche Probleme entstanden. Mehr als fünf Prozent Arbeitslose, nur geringe Anzeichen für eine Belebung der Konjunktur und eine sehr schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt für Jugendliche bereiten große Sorgen. Die Pleiten häufen sich, Wohnungshalden können nicht abgebaut werden, und die Autoindustrie steckt noch tief in der Krise. Sollte diese Wirtschaftssituation nicht im Laufe des nächsten halben Jahres etwas besser werden, sollte das Ankurbelungsprogramm der Regierung noch nicht greifen, wäre es kaum vorstellbar, daß die jetzige Regierung lange überlebt.

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