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Steuerautomatik statt Krampf

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Der Kampf um eine Anpassung der Steuerprogression an die Inflation wurde zum Krampf. Es gäbe einen Ausweg.

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Der Kampf um eine Anpassung der Steuerprogression an die Inflation wurde zum Krampf. Es gäbe einen Ausweg.

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Die FURCHE: Die Forderung nach einer Lohnsteuersenkung, zuerst von den Christgewerkschaftern und der ÖVP. schließlich aber auch vom ÖGB vehementgestellt, ist jetzt umstritten. Unter Hinweis auf die Budgetsituation rücken auch einige Ihrer Parteifreunde ab. Der Kampf um eine Steueranpassung ist zum Krampf geworden.

Hans Gassner: Für uns christliche Gewerkschafter steht die Wirtschaftspolitik, die Einkommenspolitik und die Steuerpolitik in einem engen Zusammenhang. Wir wissen, daß die Wirtschaft dann angekurbelt wird und einen entsprechenden Erfolg hat, wenn die drei Beine, auf denen die Wirtschaft steht, also die öffentliche Investition, die private Investition und die Kaufkraft der Allgemeinheit, entsprechend solid ausgewogen sind. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer ist aber nur dann vorhanden, wenn sie netto etwas auf die Hand bekommen, damit sie die Wirtschaft beleben können.

Die FURCHE: Aber von Realeinkommenszuwächsen kann man doch eigentlich nicht mehr reden. Und der ÖGB hat sich zu einer realistischen, zurückhaltenden Lohnpolitik durchgerungen.

Gassner: Das ist richtig. Das heißt aber: Wenn esam 1. Jänner 1982 zu keiner Lohnsteueranpassung kommt - das Wirtschaftsforschungsinstitut hat ebenso wie das Institut für Höhere Studien klar gesagt, daß bereits 1981 mit einem Kaufkraftverlust der Löhne und Gehälter netto von einem halben Prozent zu rechnen ist -, dann müßten, wenn wir die Kaufkraft der Löhne und .Gehälter 1982 erhalten wollen, die Lohnforderungen über der 10-Prozent- Marke liegen. Das würde dann in manchen Bereichen zu solchen Preisauftrieben führen, daß das unverantwortlich wäre. Wenn aber am 1. Jänner eine Steueranpassung vorgenommen wird, dann wird das Rückwirkungen auf die Lohnforderungen haben. Langfristig ist es nicht möglich, daß der Arbeitnehmer weniger verdient, wie das bereits heuer der Fall sein wird.

Die FURCHE: Die Anpassung der Steuerprogression an die Inflation wurde und wird immer von wirtschaftlichen und budgetpolitischen Rahmenbedingungen mitbestimmt. Die Argumente. die heute gegen eine Anpassung vorgebracht werden, könnten im nächsten Jahrzehnt überhaupt zur Standardformel werden. Sollte man da nicht das Anpassungssystem überhaupt einmal neu und generell regeln?

Gassner: Gerade die letzte Zeit hat gezeigt, daß es sinnvoll ist, hier neue Wege zu überlegen. Der Finanzminister, der seit dem Jahre 1975 keine Lohnsteueranpassung durchgeführt hat, hat sich an die jährlich progressiv gestiegenen Einnahmen gewöhnt. Und jetzt soll er plötzlich für einen Zeitraum von sieben Jahren eine Steueranpassung durchführen. Hier zeigt sich: Je länger eine Anpassung hinausgezögert wird, umso schwieriger wird sie. Meiner persönlichen Meinung nach wäre es notwendig, ab einer Inflationsrate von etwa vier, fünf Prozent regelmäßige Lohnsteueranpassungen durchzufüh- ren. Und ich könnte mir vorstellen, daß auch eine sogenannte Automationsklausel hier zielführend sein könnte.

Die FURCHE: Werden die Christgewerkschaften hier die Initiative ergreifen?

Gassner: Wir haben dieses Problem im Detail noch nicht diskutiert, aber gerade die jetzt in der Öffentlichkeit laufende Diskussion zeigt, daß wir Überlegungen anstellen müssen. Wenn eben über lange Zeiträume, wie jetzt seit 1975, die Bereitschaft des Finanzministers für eine Steueranpassung nicht vorhanden ist, ist es sicherlich zielführender, eine regelmäßige automatische Anpassung herbeizuführen.

Die FURCHE: Wenn jetzt diskutiert wird, ob wir uns eine Steueranpassung leisten können, stellt sich logisch auch die Frage, ob wir uns eine A rbeitszeit- verkürzung, eine weitere Urlaubsverlängerung in nächster Zeit leisten können. Arbeiterkammerpräsident Adolf Czettel scheint jedenfalls nach einer Japanreise davon nicht mehr überzeugt zu sein.

Gassner: Wir haben immer die Meinung vertreten, daß ein sozialpolitischer Fortschritt durch den wirtschaftlichen Erfolg finanziert werden muß. Für den Menschen ist es wichtig, einen Arbeitsplatz zu haben und daraus sein Einkommen zu beziehen. Wenn es sich also zeigt, daß auf Grund der wirtschaftlich schwierigen Situation derzeit eine von uns angestrebte sozialpolitische Entwicklung nicht möglich ist, muß man darüber reden, ob man nicht gewisse Forderungen auf einige Zeit aussetzt, aufschiebt. Es war ja auch bisher schon öfters der Fall, daß der ÖGB- Kongreß sozialpolitische Forderungen erhoben hat und sie bei ein, zwei Kongressen wiederholen mußte, weil eben eine frühere Erfüllung nicht möglich war.

Die FURCHE: Sie sprechen, ähnlich wie Czettel. von der Urlaubsverlängerung als sozialpolitische Maßnahme, während Sozialminister Alfred Dallinger von einer wirtschaftspolitischen Maßnahme zur Sicherung der A rbeitsplätze spricht.

Gassner: Für uns christliche Gewerkschafter ist eine Arbeitszeitverkürzung eine sozialpolitische Maßnahme. Die Meinung in manchen Gewerkschaften der westlichen Industrieländer, man könnte die Probleme der Arbeitslosigkeit mit Arbeitszeitverkürzung beseitigen, teilen wir nicht - vor allem nicht nach den Erfahrungen bei der Einführung der 40-Stunden-Wo- che. Wenn es möglich ist, eine Arbeitszeitverkürzung durchzuführen, vertreten wir das im Sinne einer sozialen Fortentwicklung.

Mit ÖGB-Vizepräsident Hans Gassner (Fraktion christlicher Gewerkschafter) sprach Hannes Schopf.

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