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Stifte stiften Identität

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Völlig im Gegensatz zur Situation vor zwei oder drei Jahrzehnten begegnet der Denkmalpfleger heute großem Interesse an seiner beruflichen Tätigkeit. Zahlreiche Menschen lassen sogar unmittelbare persönliche Anteilnahme an den Aufgaben der Denkmalpflege erkennen. Dieses häufig von echter Begeisterung getragene Interesse für überlieferte Kulturgüter ist das Ergebnis der unablässigen Bemühungen der Denkmalpfleger selbst, aber auch der jahrelangen Informationstätigkeit der Medien.

Zahlreiche Filialkirchen, Ortskapellen, Wegkapellen und Flurdenkmale konnten durch Geld-

spenden und kostenlose Arbeitsleistungen meist sehr kleiner Gruppen örtlicher Aktivisten vor dem drohenden Verfall bewahrt werden. Auch um die Erhaltung der baulichen Zeugnisse der Industrialisierung beginnen sich zunehmend die unmittelbar betroffenen Ortsgemeinden und engagierte Einzelpersonen anzunehmen.

Weitaus schwieriger ist die Lage der Burgen und Schlösser. Äußerst bemühte, aber finanziell zumeist sehr schwache Vereine versuchen, an den zahlreichen Burgund Schloßruinen zumindest die allernotwendigsten substanzerhaltenden Baumaßnahmen sicherzustellen. Aber die gerade noch intakten, häufig von schwersten Bauschäden unmittelbar bedrohten einstigen Herrensitze bleiben in der Regel ausschließlich der Obsorge ihrer privaten Eigentümer anvertraut, die mit dieser gewaltigen Aufgabe hoffnungslos überfordert sind. Die „Revitalisierung“ einer Burg oder eines Schlosses zählt zu den komplexesten Prozessen gesellschaftspolitischer, Jcultureller und ökonomischer Art.

Diesem unterschiedlichen Verhalten im Hinblick auf überlieferte materielle Kulturwerte scheint . jedoch die Tendenz gemeinsam, in erster Linie in jenen Fällen aktiv zu sein, denen in irgendeiner Weise die Aura des Spektakulären anhaftet. Die Vorbereitung von Jubiläen und großen Ausstellungen oder von Gedenktagen bewirkt einen Sog, dem auch der Denkmalpfleger Rechnung zu tragen hat. Dabei wird es ständig darauf ankommen, die Restaurierungen aus Anlaß spezieller kultureller Veranstaltungen mit den Arbeiten an akut gefährdeten’ Objekten auszubalancieren.

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Bemühen zu, für die denkmal-pflegerischen Zielsetzungen in der Bevölkerung eine möglichst breite Basis zu finden, ja möglichst viele Menschen zu engagierter Mitwirkung zu veranlassen. Zweifellos übt hier der Denkmalpfleger zwischen den überlieferten Kulturgütern und weiten Kreisen der Bevölkerung eine wichtige Mittlerfunktion aus. Diese ständig wahrgenommene Aufgabe eines Brückenschlages zwischen Mensch und Denkmal wird bislang in der Öffentlichkeit zu wenig beachtet und geschätzt.

Akute Gefahr, die allerdings nur wenigen Menschen voll bewußt zu sein scheint, obwohl sie unablässig zahlreiche Opfer an Substanz fordert, droht auch sogenannten unauffälligen Objekten. Die meisten dieser Objekte werden aus wirtschaftlichen Motiven demoliert, nicht selten in der Uberzeugung, im Zeitalter der Postmoderne könnten sie durch baukünstlerisch wie funktionell nicht nur ebenbürtige, sondern überlegene Schöpfungen ersetzt werden. Aus dieser vermeintlichen Überlegenheit heraus werden ständig schlichte, jedoch architektonisch wertvolle und umfassende Bautenensembles oder, die Kulturlandschaft wesentlich mitbestimmende Architekturen in verbessernder Absicht umgemodelt, „bereichert“, „aufgewertet“.

Hinter diesem respektlosen Umgang mit überliefertem Kulturgut dürfte ein Grundzug unserer häufig mit dem Schlagwort Postmoderne belegten Zeit stehen: nämlich die Auffassung, über dinghafte Hervorbringungen der Geschichte in so noch nie dagewesener Weise verfügen zu können.

Die hier berührte Problematik hängt innig mit der Frage nach

Wert und Wesen des Originals in seiner historischen Authentizität zusammen. In seinem 1936 veröffentlichten Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ sah Walter Benjamin die Ursachen für den Verfall der Aura geschichtlicher Gegenstände, das heißt für den Verlust des räumlich-zeitlichen Umfeldes, in dem „leidenschaftlichen Anliegen der gegenwärtigen Massen, die Dinge räumlich und menschlich näher zu bringen“ sowie in „ihrer Tendenz einer Uberwindung des Einmaligen jeder Gegebenheit durch die Aufnahme von deren Reproduktion“.

Und nach Jean-Francois Lyo-tard, dem Philosophen der Postmoderne, erfordert das postmoderne Wissen die Uber setzung der Erkenntnis in „Informationsquantitäten“, um die Einspeicherung in die neuen Informationsmaschinen zu ermöglichen und dieses Wissen einsatzfähig zu machen. Lyotard prognostiziert daher, „daß all das, was vom überkommenen Wissen nicht in dieser Weise übersetzbar ist, vernachlässigt werden wird, und daß die Orientierung dieser neuen Untersuchungen sich der Bedingung der Ubersetzbarkeit etwaiger Ergebnisse in die Maschinensprache unterordnen wird“.

So stellt sich also die Frage, ob trotz der Dominanz der Reproduktion und ungeachtet der Notwendigkeit zu maschinengerechter Aufbereitung aller Wissensinhalte nicht doch Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit des Originals als Wert hohen Ranges für Gegenwart und Zukunft neu vermittelt werden können: in Anbetracht der akuten Bedrohung unzähliger Objekte ist äußerste Dringlichkeit geboten.

Auf den Gegensatz zwischen echtem Substrat geschichtlicher Prozesse und künstlichem Vermittler erfundener Vergangenheit wirft die Tatsache ein ver-

söhnliches Licht, daß etwa Umberto Ecos „Der Name der Rose“ reale Auswirkungen auf den Besuch des Benediktinerstiftes Melk hatte, wo die Leser fiktive mittelalterliche Szenerien des Werkes zu finden meinten.

In eine Gesellschaft, der die „menschliche Identität, ihr Entstehen, ihre bestimmenden Faktoren, ihr Wandel und ihr Verlust … zu einem zentralen Thema der Humanwissenschaften geworden“ ist, vermag die Denkmalpflege Essentielles einzubringen. Die überlieferten Kulturgüter stellen identitätstiftende Symbole dar, die im Gefüge der Städte und der Kulturlandschaften als individuelle Merkzeichen von hohem psychischem Orientierungswert wirksam sind. Die Voraussetzung für diese Wirksamkeit bildet allerdings die Integration all dieser Güter „in den Alltag der Bewohner“ (Ina-Maria Greverus).

Der Autor ist Landeskonservator für Niederösterreich.

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