6947883-1983_51_12.jpg
Digital In Arbeit

Still werden, neu anfangen

19451960198020002020

Weihnachten - Zeichen der göttlichen Liebe, Mahnung zu Stille und Besinnung, Fest der Hoffnung, der Freude und des Friedens: Lassen wir uns davon betreffen. •

19451960198020002020

Weihnachten - Zeichen der göttlichen Liebe, Mahnung zu Stille und Besinnung, Fest der Hoffnung, der Freude und des Friedens: Lassen wir uns davon betreffen. •

Werbung
Werbung
Werbung

Karl Heinrich Waggerl hat im Rahmen der Salzburger Adventspiele den Satz formuliert: „Alles Heil kommt aus der Stille.“ Mit diesem Wort hat der Dichter einen sehr wichtigen Zugang zum Festgehalt von Weihnachten eröffnet. Freilich setzt dies voraus, daß wir — um die Botschaft des bevorstehenden Festes zu verstehen — selbst etwas innehalten und still werden müssen, um angesichts von Trubel und Hast, angesichts der Hektik all jener Vorbereitungen, die wir als unerläßlich erachten, das heilende Wirken Gottes nicht übersehen, das uns an diesem Fest verkündet wird.

Wir feiern zu Weihnachten die Geburt eines Kindes. Bei oberflächlicher Betrachtung der ehrwürdigen Erzählungen des Evan-

gelisten läßt zunächst nichts das Außergewöhnliche und Einzigartige erahnen, das sich hier vollzieht. Erst im genaueren, bedachten Lesen erschließt sich uns jene Deutung, die der Verfasser selbst der Darstellung der Geburt Jesu im Engelmund und im Erleben der Hirten hinzufügt.

• Weihnachten markiert zunächst einen Wendepunkt in der Geschichte Gottes mit uns Menschen und in seinem Verhältnis zu uns.

Aus der Zuwendung Gottes, die durch die großen Gestalten des Alten Testaments als persönliche Glaubenserfahrung bezeugt und im Wort weitergegeben wurde, wird nun, in der Geburt des Kindes, eine menschliche Gestalt annehmende Botschaft. In der Geburt seines Sohnes hat Gott für uns einen neuen Anfang gesetzt, ein unübersehbares, nicht zu überbietendes Zeichen seiner Liebe. Deshalb sprechen die biblischen Verfasser auch von der Fülle, die mit Jesus Christus gekommen ist und in die wir alle hineingestellt sind, freilich erst dann, wenn wir das Angebot dieses Verhältnisses zu Gott in der Person Jesu anzunehmen bereit sind.

• Weihnachten "will uns weiters mahnen zu innerer Stille und zu Besinnung. Wie jede Geburt eines Kindes, ist auch Weihnachten ein Familienfest. Und solche familiären Ereignisse bieten — werden sie nicht lautstark und überschwenglich übergangen — Gelegenheit für einen Augenblick des Bedenkens, der Einkehr und der reflektierenden Bestimmung des eigenen Standortes. Gerade in jenen Momenten, da wir an die Grenzen unseres Daseins rühren und ihr Überschreiten an anderen miterleben — sei es freudig bei der Geburt oder schmerzlich im Tod —, drängt uns die Frage nach unserem Sein, das wir im Erfahren der Lebensgrenzen als ein Angewie- sen-Sein begreifen. In dieser Ver- wiesenheit gibt uns das kommende Fest neuen Mut. Der Familienkreis, den es betrifft, ist die ganze Welt, umfaßt die ganze Welt. Denn da Gott sich hineinhegibt in menschliche Natur und in menschliches Leben, lädt er uns alle erneut und nachdrücklich ein, zu ihm „Vater“ zu sagen. Dies allerdings ist nicht nur Anrede, sondern vertrauensvolles Bekenntnis, das überdacht sein will in Ruhe und Sammlung.

• Weihnachten ist zudem ein Fest der Hoffnung und der Freude. Schon der Evangelist spricht davon, daß hier „eine große Freude“ verkündet wird, bestimmt für das „ganze Volk“ (Lk 2,11), d. h., für alle Menschen. Wollen wir am Kern des Festes nicht Vorbeigehen, ist es notwendig, diese Freude nicht ausschließlich und in erster Linie in den Gaben zu sehen oder ihr Maß an deren Fülle zu messen, obgleich sie sehr wohl Ausdruck und Mitteilen unserer Freude sein mögen. Die Botschaft des Evangeliums stellt uns aber den geheimnisvollen, unerwarteten Weg Gottes zu den Menschen als Ursprung dieser Freude dar. Unser Gott erweist sich darin als einer’, der in seiner Liebe jene Wege sucht, die menschlich begreifbar, ja fast allzu menschlich sind und denen Großes in menschlichen Kategorien ausgedrückt wird.

In ihrer Bereitschaft zum Hören der Botschaft sind uns die Hirten von Bethlehem ein eindrucksvolles Beispiel. Sie machen sich auf, um selbst zu schauen (vgl. Lk 2,15); im Begreifen des göttlichen Tuns werden sie zu solchen, die verkündigen und in ihrer Weitergabe der Botschaft Gott loben (vgl. Lk 2,17.20). — Zu Weihnachten sind wir die Beschenkten: von unseren Mitmenschen, die uns gut wollen, und vor allen? von unserem Gott, der uns sehr gut will. Gottes’ Güte und der Menschen Gaben stehen hinter unserer Freude. Vernachlässigen wir er- steres, geben wir letzteren ungebührlich vorrangiges Gewicht.

1 Zu Weihnachten schließlich bietet Gott uns seinen Frieden an. Die biblischen Verfasser legen mit Recht Wert auf die Feststellung, daß dieser Friede Gottes etwas anderes ist als die damals mit Waffengeklirre erzwungene pax romana. Ist das, was wir heute als „Friede“ verstehen, von der römischen Vorstellung sehr verschieden? — Besinnung tut uns allen auch hier not. Denn salom im ursprünglichen Sinn ist Synonym für ungetrübte, ausgeglichene, durch positive Werte bestimmte Gemeinschaft, für ein Verhältnis, das durch keine Spannungen getrübt ist, für ein Zueinander, das mehr bedeutet als bloß kein kämpferisches Gegeneinander. Allen Menschen wird dieser Friede in der Weihnachtsbotschaft zugesagt. Denn in der Geburt Jesu wird zeichenhaft deutlich, daß alle Menschen, denen der Sohn nun gleichgeworden, gerade deswegen unter Gottes Huld stehen.

Gottes Angebot also liegt vor. Er hat den großen ersten Schritt getan. Der Sohn ist geboren. Gott ist Mensch geworden, einer wie wir. In aller Stille hat sich dieses Heil vollzogen, abseits, „denn es war kein Platz … in der Herberge“ (Lk 2,7). — So entscheiden wir uns also: Gehen wir achtlos vorbei; oder suchen wir, wie die Hirten, die Stille göttlichen Handelns auf, zur Besinnung, zum Bedenken, um uns treffen zu lassen von dem freudigen, heilvollen Geschehen, das Gott uns hier gewirkt hat.

Der Autor ist Professor für Neues Testament in Luzern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung