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Stimmungsimpressionismus und Weisheit

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Erinnere ich mich recht, so war es Ilse Leitenberger, welche Erik G. Wickenburg einen „Spaziergänger der Literatur” genannt hat. Diese gleichsam mit dem Spazierstock launig in die Praterluft gedrehte Wortpirouette wird aber, je länger man hinschaut, zu einem Geheimzeichen, ja zum Schlüsselwort eines Zaubers.

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Erinnere ich mich recht, so war es Ilse Leitenberger, welche Erik G. Wickenburg einen „Spaziergänger der Literatur” genannt hat. Diese gleichsam mit dem Spazierstock launig in die Praterluft gedrehte Wortpirouette wird aber, je länger man hinschaut, zu einem Geheimzeichen, ja zum Schlüsselwort eines Zaubers.

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Denn von Wilhelm Meisters Wanderjahren sowohl herauf ins 20. Jahrhundert zu Saint-Exupery und Joseph Conrad wie zurück zu Dante, dem Jenseitswanderer, oder gar zu Homer mit seinem Odysseus, der, in die disparatesten Welten hineingeworfen, immer unterwegs zur Geborgenheit ist, gehört der Auf- und Ausbruch aus dem Hier ins Dort zu den zentralen Themen der Literatur. Der expeditive Reisende, heiße er nun Gilgamesch oder Odysseus des Kasantzakis, hat den Tod zum Begleiter und - wenn auch noch unerkannt - meist zum Ziel. Von diesen vorherrschenden Tendenzen unberührt bleibt der Spaziergänger, weshalb unser Jubilar sich selber gern als „Externist” bezeichnet. Sein Außenseitertum begann, wie er augenzwinkernd erzählt, bereits in der Volksschule, die er „extern” absolvierte. Von diesem Stil ist er nie mehr abgewichen: nie hat er irgendwo „ganz” dazugehört: „Ich habe das Wort ,ganz' immer nur adverbiell erlebt. Ich wollte ja ein guter Schüler sein, bin aber nur ein ganz guter Schüler geworden, ein ganz guter Schiläufer, ein ganz passabler Weinkenner... und so weiter.”

Und doch gibt es fast kein Gebiet der Kunstkritik und des Feuilletons, wo der „passable Kenner” nicht zum unentbehrlichen Fachmann, zum Experten geworden wäre, auf den auch die ausländische Presse durch viele Jahrzehnte hindurch nicht verzichten mochte. Nimmt man die erfolgreichen Publikationen des Historikers und Romanciers hinzu, so bleibt kein Territorium der Literatur übrig, in dem dieser Externist und Spaziergänger nicht zu Hause gewesen wäre und noch ist. „Ganz” gegen seine Absicht und seine gelöste Haltung hat sich jenseits von Adverbiell und Adjektivistisch die Ganzheit als seine Substanz herausgestellt. Mit gemächlichem Tempo und in voller Absichtslosigkeit („... ich ging im Walde so für mich hin und nichts zu suchen, das war mein Sinn...”) bringt er bei seinem Rundgang im Vertrauten und schon Bekannten doch unvermutbar Neues ein. Er gelangt zur Einsicht in die universelle Beziehung der Dinge untereinander und somit zur geistigen Ordnung, welche sowohl dem Entstehen als auch dem Vergehen zugrundeliegt.

Überirdischer Spaziergänger

Während die Reisenden oder Wanderer, ob Grimmelshausen oder Mel-ville, zugleich als Helden und Dulder, als Täter und Büßer auftreten, ist der Spaziergänger über solche irdischen Doppelrollen hinausgegangen. Vom „SalzburgerGloria”, einem seiner frühesten Bücher bis zum Wien-Buch waren seine Ausflugswege immer „grenzüberschreitend” zur Meditation, zur erzählerischen Reflexion über die Geheimnisse des Synchronistischen und des Anachronistischen in unseren Lebensläufen. Aus solchem Bedenken wächst das Bewußtsein der Verantwortung gegenüber der Zukunft.

Falls wir nicht zufolge einer repressiven Schulordnung als Repetenten des Lebens und als Sitzenbleiber abgestempelt nach unserem Tod von vorn beginnen müssen, werden wir eine längere oder kürzere Ewigkeit als Extemisten des irdischen Lebens zubringen, worauf sich Wickenburg seit langem intensiv vorbereitet hat. Wie die FURCHE-Leser aus seinen Beiträgen wissen, ist für und in Wikkenburg Mit-Leidenschaft mit aller Kreatur und wohltemperierte Distanz durchaus zu vereinbaren. So nennt er sein Double, einen Maler, der sich ebenso wie er selber nie auf große Schinken mit umfassenden Ansprüchen eingelassen hat, dafür aber ein Fleckchen Erde mit cfen Augen des Liebenden immer wieder neu darstellt, „Schade”, ein Name, der zugleich ein Seufzer ist, ein Nachruf auf die Schönheit in einer geborstenen Welt. Wikkenburg, der den Namen einer der traditionsreichsten Familien Österreichs trägt, fügt mit dem Namen seines Künstlerdoubles ein „schade” hinzu, die sanfte Ironie eines Extemisten aller Konvention.

Die divisionistische Lichtmalerei des Impressionismus ist eines der großen geglückten Experimente, welches sein Ziel erreicht hat, nämlich in der Sinnlichkeit unmittelbarer Wahrnehmung den Götterfunken aufleuchten zu lassen, der allem zugrundeliegt, auch einem verrauchten Bahnhof, wie in dem zum Symbol gewordenen Bild von Claude Monet.

Unser Jubilar hat es mit dem geistigen Licht so gehalten wie die Impressionisten mit der Sonne: die Farben seiner Prosa sind niemals plakativ, niemals Körperfarbe. Niemals gehen Ding und dessen Erscheinung ein unlösbares Bündnis ein. Wie wollen wir es nennen: Geheimnis oder Versteckspiel? Wie doch die Dinge mit ihrem Schein, der Schein mit den Dingen, die Menschen mit ihren Rollen, die als sozial verbuchten Rollen mit den Menschen ihr Spielchen treiben, dies zu durchschauen, ist die Freude der Weisheit, das beste Medikament, wenn alle anderen Heilungsversuche dieser Welt fehlgeschlagen oder deren Zustand sogar noch weiter verschlimmert haben.

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