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Stirbt der „Tirolerabend“?

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Klatschend saxisen die großen ‘ Männerpratzen auf die spek-kigen Lederhosen nieder, dröhnend schwingt der Boden xmter den derben Haferlschuhen, xmd während xirige Juchzer axis rauhen Kehlen gestoßen werden, kleben die karierten Hemden am Körper, fließt der Schweiß in Strömen, fiebern die blassen Engländeriimen, die Hand xims Bierglas gekrallt, dem Moment entgegen, wo sich die keuchenden Schuhplattler endUch an ihren Tisch setzen. Der „Tirolerabend“ im Gasthof „Zum Hirschen“ strebt seinem Höhepunkt entgegen, die Musik schmettert „volkstümlich“ xmd phonstark die alten Schnulzen in den stickigen Saal. „It’s unique, isn’t it?“

Hundert Jahre Tourismxis: dieses Jubiläum feiert man heuer in Tirol xmd ist dabei von anbiedernder Heile-Welt-Euphorie, von xmkriti-schem Zweckoptimismxis weit entfernt Man beginnt einzusehen, daß nicht immer alles glänzte, was nach Gold aussah, und daß die Medaillen auch ihre Kehrseite haben.

„Ohne Bedenken darf ich selbst schwächlichen Damen den Rath geben, sich im nächsten Sommer Gesundheit xmd Heiterkeit in den lyroler Gebürgen zu holen.“ Dieser Axiszug aus einem 1805 gedruckten „Werbetext“, nachzxdesen in Michael Forchers jüngst erschienener Bildgeschichte des Tourismus in Tirol, „Zu Gast im Herzen der Alpen“ , schlägt schon jenen Ton Uebe-dienerischer Servihtät an, die der ötztaler Heimatkundler, Dichter xmd Mahner Hans Haid ebenso mit

Prostitution gleichsetzt wie die Zurschaustellung einer Bauernhochzeit oder einer Fronleichnamsprozession.

Die Beweggründe für das Interesse der Reisenden, den Tiroler „Eingeborenen“ in ihre privatesten Sitten vmd Bräuche hineinzuschauen, mögen noch so lauter gewesen, einer „romantischen Sehnsucht nach natürlichem Leben im Siime Rous-seaxis“ (Forcher) entsprossen sein -die Axiswirkxingen waren dennoch gefährlich, provozierten zxir S elbst-entäxißerung. Das Land, seine Menschen, sein Volkstxun begaimen sich zu verkaufen. Der „Tirolerabend“ wurde zum Bestseller, je uriger, desto Ueber. Mit jener schönen, schlichten Volksmusik, die einst drinnen in den Stuben erklungen war, hatte das schmalzige Gedröhn schon längst nichts mehr zu tim.

Doch die Vernünftigen sterben nicht ganz aus. Zur Rettung der „echten“ Volksmusik trat nicht nur landesweit, sondern „alpenweit“ der Alpenländische Volksmusikwettbewerb auf den Plan. Das in zweijährigem Intervall in Innsbruck veranstaltete Treffen von singenden und musizierenden FamiUen, Solisten xmd Gruppen axis allen österreichischen Bundesländern, aus Südtrrol, Bayern und häufig auch aus der Schweiz, bei dem es keine Preise, sondern - vor aUem ermutigende -f achUche Beratxmg undBeurteilung gibt, trägt sicher dazu bei, daß nxm auch axif dem Land wieder mehr von jener stillen, besinnUch-heite-ren, natürUch gewachsenen Volks-mxisik erkUngt, die zur Gemütser^ götzung und nicht zur spektakulären Hetz da ist Da wird die musikalische Freizeitgestaltung wieder zur Kultur.

Auch sonst schaut man in Tirol auf das Gewachsene. In einem Land mit so viel natürlichem Theaterblut xmd zahlreichen Volksbühnen, das seine Passions- xmd Mysterienspiele jahrhxmdertelang zurückverfol-gen kann, soUen heuer erstmals die „hmsbruckerSommerspiele“ gedeihen, ein Volkstheater-Festival, das von Georg Büchners „Woyzeck“ über Johaim Nestroy, Karl Schönherr xmd einen neuen „Volksfaust“ auf der Pawlatschen bis zum Südtiroler Luis Zagler lauter Autoren spielt, die dem Volk aufs Maxil geschaut haben. In den Zxischauerrei-hen sollen sich Einheimische xmd Gäste zxisammenfinden. Dasselbe erhofft man auch bei Blasmusikkonzerten mit Niveau. Gaudi muß nicht unbedingt derb, ordinär oder schlüpfrig sein.

Ganz im Süme jenes „sanften“ Tourismus, bei dessen Gestaltung auch Kopf xmd Herz benützt werden dürfen, fängt Tirol nun an, neben seinen Bergen xmd den sportiven JVeuden auch seine Kxilturszene unter dem Scheffel hervorzuholen und mit ihr Werbung zu betreiben. Sicher wird dabei das Folkloristi-

sche auch weiterhin eine Hauptrolle spielen, doch man möchte weg vom fragwürdigen „Tirolerabend“, von der kommerziellen Publikumsverblödung, vom falschen Klischee der speckigen Krachledemen.

Die Volksmxisik, die Blaskapellen - Tirol hat davon mehr an Zahl als Gemeinden -, die Chöre xmd Trachtenvereine, die Volksbühnen xmd Brauchtumsgruppen folgen heute schon mehr dem echten alten und neuen Mxisikgut als der kommer-zieUen „volkstümUchen“ Schnxilze. Ein Hans Haid betreibt Feldfoi^-schung axif dem Gebiet des Volks-Uedes, im Tiroler Landesmusexim gibt es eine eigene Musikabteilung, die vergessene Weihnachts- oder Passionslieder der alten „Kirchensänger“ au&eichnet und damit diese bisher nur mündUch überUefer^ ten Kxiltxirgüter, die ja mit den alten Leuten aviszxisterben drohen, der Mit- und Nachwelt erhält Allenthalben regen sich solche konservierenden xmd damit dxirchaus iimova-tiven Kräfte, die das Bild der heimischen Folklore mit Herz xmd Ver^ stand restaurieren.

Eine besonders positive Begleiterscheinung ist dabei die gegenseitige Durchdringung von Stadt- xmd Landkultur, ein Austausch, der beiden Seiten guttut Vielleicht wird bei solcher Auslüftung der Folklore-Klamotten der „Homo tyrolensis schuhplattlensis“ endgültig als Schimäre entlarvt

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