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Störfaktor für den Dom?

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Was kommt nach dem Abbruch des Haas-Hauses? Wird Hans Holleins Entwurf der großen Anforderung gerecht? Wiens prominentester Bauplatz Ecke Graben/Stephansplatz fordert eine ausgereifte überzeugende Lösung.

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Was kommt nach dem Abbruch des Haas-Hauses? Wird Hans Holleins Entwurf der großen Anforderung gerecht? Wiens prominentester Bauplatz Ecke Graben/Stephansplatz fordert eine ausgereifte überzeugende Lösung.

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Vergegenwärtigt man sich die aktuelle Situation der Verbauung um den Stephansdom, so ergibt sich folgendes heterogenes Bild:

Das unter Einbeziehung romanischer Bauteile hoch- und spätgotische Bauwerk ist spätestens seit der Errichtung des hohen Turmes das Wahrzeichen von Wien und dessen optischer verti-kalachsialer Mittelpunkt im städtebaulichen Gefüge der zur Weltstadt angewachsenen städtischen Verbauung. Wie es einem Kathedralbau zukommt, ragt dieser aus einer engen, dichten Verbauung himmelwärts; um das Heilsge-

schehen entsprechend „mystisch“ erschauen zu können, wurden die Wände in Glas aufgelöst und eine transluzide Malerei ermöglicht. Das notwendige Konstruktionssystem des Gliederbaues von geradezu kunstgewerblich feinglied-riger Wirkung wurde entsprechend ästhetisch genützt.

Gewiß ist heutzutage diese enge Umbauung rund um eine mittelalterliche Domkirche nur,mehr in wenigen Fällen im ursprünglichen Zustand erhalten. Trotz Veränderungen der Fassaden ist die Verbauung rund um den Stephansdom an dessen Nord-, Ostend Südseite seit dem !t3. Jahrhundert weitgehend unverändert geblieben — zumindest was die Fluchtlinien der Bauten- betrifft.

Mit der Abtragung des Heil-tumsstuhles (1699), weiters mit dem Abtragen der Magdalenen-Kapelle in josephinischer Zeit (1783) und erst recht mit dem Abtragen der niedrigen Häuserzeile

vor der Westfront des Domes im 19. Jahrhundert wurden speziell im Bereich westlich des Domes neue städtebauliche Gegebenheiten geschaffen. Außerdem wurden im 19. Jahrhundert durch die Verbreiterung der Rotenturm-straße, die Verlegung der Fluchtlinien an der Westseite des Stephansplatzes und durch das Abbrechen alter Verbauungen die ehemaligen drei Plätze - Stephansplatz, Stock-im-Eisen-Platz und Graben — zu einer großen Platzeinheit mit gleichzeitiger Neuverbauung (die weder im zeitlichen Baugeschehen noch im Stil einheitlich ist) verändert.

Die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg schufen hier neue Gegebenheiten, da der ganze Baubereich westlich des Stephansplatzes weitgehend vernichtet wurde. Vom Haas-Haus des 19. Jahrhunderts blieb wohl die Fassade stehen, im Sinne der damals sicherlich notwendigen Spartendenzen und aus einer generellen Ablehnung der Bauten aus der Periode des Historismus der zweiten Hälfte des 19.“Jahrhunderts wurde die bloß beschädigte Fassade des alten Haas-Hauses in das Neubauprojekt nicht einbezogen. Abermals wurde die Fluchtlinie zurückgesetzt, der Platzbereich bekam speziell an diesem neuralgischen Punkt wieder eine Ausweitung, der jenen Blick auf den Stephansdom begünstigte, der eine historische Verfälschung brachte.

Der Charakter einer engen Umbauung wurde zugunsten einer Fernansichtigkeit abermals erheblich reduziert, das proportionale Mißverhältnis von himmelwärts strebendem Bauwerk und ausgeweiteter Platzfläche, wie sie allenfalls einem barocken Bauwerk oder einem Bauwerk des 19. Jahrhunderts zukommt, begünstigte allenfalls eine Fotografiertätigkeit unter Betonung „stürzender Linien“, minimierte aber den monumentalen Charakter des hochaufragenden Bauwerkes.

Wenn das Haas-Haus von Architekt Wörle sich - gewollt oder ungewollt — am Loos-Haus vom Michaelerplatz im Verhältnis von Kubatur und Fensteröffnungen orientiert haben mag, so ist ihm nicht jene proportionale und in der Materialabstufung zusätzlich ästhetisch geprägte Wirkung eigen, die einer Neuinterpretation Loos'scher architektonischer Gestaltungsprinzipien Mitte des 20. Jahrhunderts (dem Zeitpunkt der Errichtung des bisherigen Haas-Hauses) zugebilligt werden könnte. Gleichzeitig muß dem Haas-Haus Wörles zugestanden werden, daß es mehr architektonische Qualitäten hat als die übrige Verbauung an der Westseite des Stephansplatzes.

Was könnte nun eine ästhetische Verbesserung in dem „architektonischen Niemandsland“ der Westseite des Stephansplatzes am Ubergang zum Graben bringen? Es gilt in erster Linie, die städtebaulichen „Fehler“ (aus historischer Sicht) des 19. Jahrhunderts zu korrigieren — freilich soweit dies möglich ist. An eine Rekonstruktion im Sinne der Wiedererrichtung längst nicht mehr existierender Bauten kann wohl nicht ernstlich gedacht werden -dies käme einem Neohistorismus übelster Prägung gleich. Wohl aber kann die Rückkehr zu den Fluchtlinien des 19. Jahrhunderts - durch auskragende Bereiche am

Baukörper des neu zu errichtenden Haas-Hauses bewerkstelligt — zumindest andeutungsweise die ursprüngliche Platzabfolge ebenso signalisieren wie eine partielle Rückgabe der für den mittelalterlichen Dombau gültigen proportionalen Gegebenheiten ermöglichen.

In diesem Sinne hat das Modell von Hans Hollein tatsächlich eine Verbesserung der städtebaulichen Situation an diesem neuralgischen Punkt unter besonderer Berücksichtigung des Domes gebracht und verdienstvolle und daher anerkennenswerte Impulse aufgenommen. Der erkerartig vorkragende Turm ist daher nicht als Störfaktor, sondern als inte-

grierender Bestandteil zu werten. Nicht nur, daß hiedurch die (ohnedies nur geringe) Einengung des Platzes das Verhältnis vom Dombau zum Platz korrigiert, sondern es haben die Ecktürme mit ihren überkuppelten Dächern eine bis ins Mittelalter zurückgehende Tradition, die sich in der Verbauung des Bereiches Gra-ben-Stock-im-Eisen-Platz wiederholt in variierter Form findet.

Gewiß war der Wunsch nach einem vom international prämiierten Architekten Hans Hollein geplanten Großprojekt vielerorts geäußert worden; diese Befürwortung seines Projektes für das Haas-Haus erfolgt jedoch aus dem Grund, weil dieses Projekt den historischen Kriterien Rechnung trägt und eine architektonische Neuinterpretation im Sinne des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts schafft. Es ist auch wünschenswert, die — ästhetisch noch unbefriedigender als das bisherige Haas-Haus wirkenden — übrigen Bauten an der Westseite des Domes durch Veränderungen an den Fassaden und durch die Vorlagerung eines terrassenaftigen Bereiches optisch zu korrigieren und hierdurch an die erhaltene historische Verbauung rund um den Dom in den proportionalen Gegebenheiten anzugleichen.

Der Autor ist Diözesankonservator und Direktor des Diözesanmuseums in Wien.

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