6873400-1978_34_07.jpg
Digital In Arbeit

Stolpert Dregger über Filbinger-Scherben?

19451960198020002020

Die Schlacht in Stuttgart ist geschlagen. Nun ist man damit beschäftigt, den Schaden zu besichtigen und die Trümmer aufzuräumen. Hans Filbinger hat im Amt des Ministerpräsidenten einen Nachfolger gefunden: den bisherigen Innenminister und früheren CDU-Fraktionsvorsitzenden im Stuttgarter Landtag Lothar Späth. Vordergründig könnte also zumindest in Baden-Württemberg alles wieder im Lot sein. Doch der Fall Filbinger hat ganz offensichtlich noch nicht völlig vernarbte Wunden wieder aufgerissen und neue geschlagen.

19451960198020002020

Die Schlacht in Stuttgart ist geschlagen. Nun ist man damit beschäftigt, den Schaden zu besichtigen und die Trümmer aufzuräumen. Hans Filbinger hat im Amt des Ministerpräsidenten einen Nachfolger gefunden: den bisherigen Innenminister und früheren CDU-Fraktionsvorsitzenden im Stuttgarter Landtag Lothar Späth. Vordergründig könnte also zumindest in Baden-Württemberg alles wieder im Lot sein. Doch der Fall Filbinger hat ganz offensichtlich noch nicht völlig vernarbte Wunden wieder aufgerissen und neue geschlagen.

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Aspekte werden weiter die Bürger beschäftigen. Der eine betrifft die CDU als Partei, der andere die Nation. Was letztere angeht, kann man sich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren. Vielleicht ist hier am nachhaltigsten Porzellan zerschlagen worden, das nur mühsam in 30 Jahren gekittet werden konnte. Die Tatsache, daß die unselige deutsche Vergangenheit noch lange nicht bewältigt ist, überrascht dabei am wenigsten.

Die Art und Weise jedoch, wie Filbinger zu Fall gebracht wurde, stimmt schon nachdenklicher. Abgesehen davon, daß der Stuttgarter Regierungschef sich schließlich selbst in die ausweglose Situation manövrierte, macht diese Affäre zum wiederholten Male eines überdeutlich: es ist in der Bundesrepublik Deutschland ein großer Unterschied, ob man eine nationalsozialistische oder nur leicht angebräunte Vergangenheit hat oder ob man früher einmal Kommunist war. Außer gelegentlichen Anwürfen hat zum Beispiel Herbert Wehner, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion und nach wie vor einem der mächtigsten Männer in der Sozialdemokratischen Partei, seine kommunistische Vergangenheit’ irh stalinistischen Moskau nie geschadet.

Auf der anderen Seite mußte der frühere niedersächsische Justizminister Hans Puvogel vor wenigen Monaten seinen Hut nehmen, weil jemand entdeckte, daß er sich in seiner Dissertation Ende der dreißiger Jahre in einem Nebensatz gegenüber dem alles beherrschenden Naziregime leicht verbeugt hatte.

Aber auch hier werden wieder Unterschiede gemacht. Je näher jemand der CDU oder der CSU steht, als desto verwerflicher gelten solche Sünden. Je weiter ein solchermaßen Beleumundeter sich hingegen in die andere politische Richtung bewegt, desto weniger werden ihm Vorwürfe gemacht. Weder dem SPD-Politiker Friedrich Schäfer noch dem hessischen Staatssekretär Joachim wurden ihre zur NS-Zeit verfertigten Dissertationen zum Verhängnis, obwohl sie mehr Anlaß geboten hätten als die Puvogels.

Und daß Henri Nannen, Herausgeber der Illustrierten „Stern“, also jener Zeitschrift, die sich am intensivsten um Filbingers Abschuß mit immer neuen Enthüllungen bemühte, zu Hitlers Zeiten Aufsätze verfaßte, die weit mehr als nur Ausdruck eines verbreiteten Mitläufertums waren, hat ihm bisher nicht nur nicht geschadet, sondern auch nicht verhindert, daß ausgerechnet er sich mit seinem Magazin im Fall Filbinger aufs hohe moralische Roß setzte.

Diese Strategie mit zweierlei Maß, ihr erstaunlicher Erfolg, der sich vor allem darin ausdrückt, daß gerade in der jungen Generation die Propagandamär von der geistigen Nähe der Christdemokraten zu braunem Gedankengut bereitwillig geglaubt wird, läßt an der oft gerühmten Festigkeit der deutschen Demokratie etwas zweifeln, daß alles Linke im Gegensatz zu rechter Gesinnung als salonfähig gilt, ist auch eine Folge davon.

Allerdings tut man der jungen Republik auch keinen Gefallen, wenn rechte gegen linke Vergangenheitssünden aufgerechnet werden. Dieses schädliche Herumwühlen im Unrat der jüngsten Geschichte, um politische Munition für die Gegenwart zu erhalten, meinte der Historiker Golo Mann, als er den Vorschlag machte, für NS-Taten mit Ausnahme von Völkermord und KZ-Verbrechen eine Art Generalamnestie zu erlassen.

Als aber CSU-Chef Franz Josef Strauß diese Gedanken aufgriff, schlug ihm plötzlich eine Welle der Empörung vorwiegend aus dem sozialdemokratischen Lager entgegen. Manche verstiegen sich sogar zu der Verdächtigung, Strauß fordere dies nur, um zu verhindern, daß weitere NS-Leichen im Unionskeller entdeckt würden. Wie beschämend muß es für die derart leichtfertig Redenden sein, daß nun auch Bundespräsident Walter Scheel, immerhin ein Mann, der einmal Exponent des sozial-liberalen Bündnisses in Bonn war, die „Entartung der Vergangenheitsbewältigung“ beklagt, bei der Assistenten in die Archive geschickt würden, um Belastendes über den politischen Gegner herauszufinden.

Der CDU fällt es im Augenblick schwer, sich tiefergehende Gedanken über diese Problematik zu machen. Das liegt jedoch nicht an mangelndem Willen, sondern an der Notwendigkeit, zunächst das gerupfte Gefieder wieder in Ordnung zu bringen. Es wird für die Union nicht leicht werden, die Nak- kenschläge des Falls Filbinger zu verkraften. In Baden-Württemberg sind zwar die Pferde gewechselt, doch ob die Wähler bei der Stange bleiben, weiß noch niemand. Die Diskussion,

ob der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel zur Sicherung der CDU-Mehrheit besser geeignet gewesen wäre als Innenminister Späth, ist müßig, da die Würfel gefallen sind. Lothar Späth kann durchaus das Prestige erwirtschaften, das Rommel schon ins Amt mitgebracht hätte.

Trotzdem bleibt die bange Frage, welche Auswirkungen die Affäre Filbinger auf das Wählervolk hat. Besonders kritisch könnte es in der bevorstehenden Landtagswahl in Hessen werden. Das Ziel des CDU-Spitzenkandidaten Alfred Dregger, die seit 30 Jahren regierende SPD in Wiesbaden abzulösen, ist nach den letzten Meinungsumfragen nicht mehr so nah. Ja, glaubt man den Demoskopen, dann hat das von Filbinger ausgelöste Beben in Hessen weit mehr Spuren hinterlassen als in Baden-Württemberg. Dregger dürfte die Angelegenheit denn auch noch einiges Kopfzerbrechen bereiten, zumal vorlaute SPD- Strategen angekündigt haben, man wolle gerade im Hinblick auf die nächsten Landtagswahlen den Fall Filbinger zum Fall CDU machen.

Ihr Argument: Die Union habe das Problem nur halb gelöst, denn Filbinger bleibe nach wie vor Chef der Lan- des-CDU und stellvertretender Vorsitzender der Bundespartei. Auch CDU- Chef Helmut Kohl ist nicht unbeschädigt aus der Affäre hervorgegangen. Viele in der Partei haben es ihm übelgenommen, daß er seelenruhig Urlaub in St. Gilgen machte, während 6s in Stuttgart drunter und drüber ging.

Schaden hat der Fall Filbinger also zweifellos angerichtet. Die Frage ist, ob er in Grenzen gehalten werden kann. Der Stil der politischen Auseinandersetzung ist dafür Mittel und Wir- kung zugleich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung