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Stolz der Araber

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Enorme Spannung in Nah- ost: Saddam Hussein ge- winnt an Popularität, die Zeit arbeitet gegen die Ameri- kaner. Blockade oder gleich Präventivschlag lautet jetzt die entscheidende Frage.

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Enorme Spannung in Nah- ost: Saddam Hussein ge- winnt an Popularität, die Zeit arbeitet gegen die Ameri- kaner. Blockade oder gleich Präventivschlag lautet jetzt die entscheidende Frage.

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Sollen die Amerikaner im Nahen Osten zuwarten oder einen Erst- schlag gegen Iraks Diktator Sad- dam Hussein, der der Welt seinen Willen aufzwingen möchte, führen? Nicht nur israelische Militärs, auch amerikanische sind der Ansicht, daß eine bloße Wirtschaftsblockade gegenüber dem Irak nicht viel nützt. In der Tat - Saddam Hussein ge- winnt an Popularität (siehe FUR- CHE 33, Seite 1).

Araber in nichts der Gewalt des Westens nachsteht." Die israeli- schen Araber demonstrieren am laufenden Band für Saddam Hus- sein. Die unter den 700.000 Ara- bern im israelischen Sektor sehr aktive kommunistische Partei hat jetzt die Sowjets beschuldigt, die Araber verraten zu haben. Unter diesen Kommunisten ist Saddam Hussein der Held.

In den besetzten Gebieten gibt es - obwohl verboten und durch die Militärs kontrolliert - ständig Manifestationen für Saddam Hus- sein. Und sogar die gemäßigten PLO-Leute, die bisher auf einen Dialog mit den Israelis setzten, optieren nun für den irakischen Diktator. Die Tatsache, daß er ein Massenmörder ist, der Giftgas ge- gen die Kurden eingesetzt hat, sein eigenes Volk terrorisiert und zu einem zweiten Hitler werden könn- te, interessiert niemanden unter den Arabern.

Warum ist das so? Josef Ben Aharon, Orientalist und rechte Hand von Israels Premier Jizchak Schamir, zur FURCHE: „Die Ara- ber vergöttern traditionell die Stär- ke, daher auch die Gewalt. Jetzt glauben sie - ähnlich wie sie es seinerzeit von Gamal Abd el Nasser annahmen, der im Grunde ja auch ein Diktator war - ,daß sie wieder- um einen starken Mann an ihrer Spitze haben."

In Israel ist jetzt die Verhand- lungsbasis zwischen Regierung und PLO völlig zerstört. Und auch jene israelischen Parteien, die offen für einen Palästinenserstaat eintraten (die Linkssozialisten, die Liberalen und die Raz- sowie die Bürger- rechtspartei), müssen gegenwärtig einsehen, daß sie mit den Arabern nicht mehr sprechen können.

Die PLO Jassir Arafats steht zudem auf der Seite Saddam Hus- seins. Nur wenige gemäßigte PLO- Führer haben sich von ihm distan- ziert, sie sind mit dieser Haltung aber völlig ohne Einfluß.

Die Amerikaner haben jetzt ein- mal den Golf geschlossen, jedes Schiff wird auf Kriegsmaterial hin kontrolliert, Lebensmittel und Medikamente gehen durch. Der Schiffsverkehr in der Region ist stark zurückgegangen.

Die euopäischen Reedereien ris- kieren nichts, die Versicherungen bei Lloyds schnellten in ungeahnte Höhen. Dreizehn Schiffe liegen zur Zeit im Golf von Akaba, davon nur drei direkt im jordanischen Hafen. Früher waren es an die 100.

Die arabische Gipfelkonferenz in der vergangenen Woche in Kairo hat Geschichte gemacht.Fast ein Wunder.Es war das erste Mal, daß sie einen weit- tragenden Beschluß mit gewöhnlicher Stimmenmehr- heit annahm, nämlich die Entsen- dung arabischer Truppen nach Sau- diarabien, um dieses Land vor Sad- dam Husseins Heer zu schützen.

Es ging hier um viel mehr als nur um Kuweit und um die Aufrechter- haltung der Dynastie der schma- rotzerischen Familie Sabach, die schon 250 Jahre lang Kuweit wie ein Familiengut beherrscht. Hier ging es um wichtigeres, um die wirtschaftlichen Interessen des Westens und um die Existenz der meisten arabischen Staatsober- häupter, sei es Ägypten, sei es Sy- rien oder sei es sogar Jordaniens König Hussein. Der grausame, über Leichen gehende Saddam Hussein bedroht sie alle.

Saddam Hussein möchte sich nun an der Spitze des Großen Arabi- schen Reichs sehen, in dem der Pan- Islamismus verwirklicht wird, und das nicht nur die arabischen Staa- ten beherrscht, sondern mit Hilfe von 75 Prozent der globalen Rohöl- reserven die ganze Welt. Dann kann sein starker Arm allein bestimmen, ob ein Faß Rohöl 25, 35 oder noch mehr US-Dollars kostet. Wer ihn bei seinen Vorhaben stört, der wird

„Die Araber vergöttern tra- ditionell die Stärke und da- her auch die Gewalt"

eben weggefegt von der Geschich- te, oder von Saddams Soldaten.

Kein Wunder, daß die Feinde von gestern nun Verbündete von heute geworden sind, um den Löwen von Bagdad, wie er poetisch von seinen Propagandisten genannt wird, zu bändigen. So ist die Verteidigung von Saudiarabien nur die erste Phase im Kampf gegen Saddam Hussein. Der Besuch des amerika- nischen Sonderemissärs John Kel- ly in Damaskus, bei Amerikas neu- em Verbündeten Haf ez Assad, dien- te nicht nur zum Austausch von Höflichkeiten, sondern es ging darum, die syrische Armee zu be- wegen, im Notfall gegen den Irak von Syrien aus zu marschieren und die Truppen eventuell an der sy- risch-irakischen Grenze zu konzen- trieren. Syrien hat 450.000 Mann, gut ausgebildete Soldaten, unter den Fahnen.

John Kelly bat die Syrer, ihre Kontakte zum Iran spielen zu las- sen, damit Präsident Rafsandscha- ni auch iranische Truppen längs

der Grenze zum Irak konzentriert.

Von Kairo nach Ankara war es nicht weit, dort schlug vorher der amerikanische Außenminister James Baker den Türken vor, Trup- pen an der Grenze zum Irak zu massieren. Dadurch wäre der Irak militärisch eingekreist, und müßte seine Truppen verteilen. Im Klar- text: gegen Saudiarabien, das ame- rikanische Expansionsheer sowie die arabischen Truppen kann der Irak nicht seine gesamte Armee einsetzen.

Saddam Hussein ruhte nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern begann sofort, gegen seine Freunde von gestern, wie Hosni Mubarak und andere, zu intrigieren. Er rief die arabischen Massen auf, gegen die arabischen Ausbeuter sowie Agenten der Zionisten und der Amerikaner aufzumeutern.

Gibt es etwas ärgerlicheres als zu erfahren, wie diese Könige, Emire und ihre Familien in Saus und Braus leben, während die arabischen Massen am Hungertuch nagen? Außerdem haben diese Feudalherr- scher der Ölscheichtümer und Saudiarabiens alle Rechte nur sich gegeben. Die Massen der Arbeiter, meist Fremde, Palästinenser, Ägyp- ter, Jordanier, Pakistani, Filipinos blieben rechtlos.

Saddam Hussein nennt den von ihm propagierten Volksaufstand auch Intifada, wie den in den von Israel besetzten Gebieten. Denn laut Saddam Hussein hat die Intifada bereits alle Grenzen überschritten und wütet auch in anderen arabi- schen Ländern. Die Tatsache, daß die PLO Saddam Hussein unter- stützt, bringt ihm auch eine große Anzahl Terroristen der Verweige- rungsfront und Außenseiter der PLO, wie Abu el Abas, die mit ihren Mannschaften nun Terror in den arabischen Staaten statt in Israel stiften können. In Ägypten werden bereits alle wichtigen Knotenpunk- te wie Brücken, Straßenkreuzun- gen oder Touristik-Hotels auf das schärfste bewacht.

In Hedschas (einem Teil Saudi- arabiens) befinden sich die heiligen Stätten Mekka und Medina. Nun rief König Fahd die „ungläubigen christlichen Soldaten" der US- Armee zur Hilfe gegen Saddam Hussein und zur Verteidigung der heiligen Stätten. Dies verstößt ge- gen die Gesetze des Islam. Deswe- gen war es wichtig, daß auch arabi-

sche Truppen nach Saudiarabien kamen. Amerika ist sogar in Sau- diarabien verhaßt, denn es ist ein Verbündeter Israels, das heilige arabische Erde genommen hat und nicht wieder herausgeben will.

So krönte sich der sozialistische atheistische Saddam Hussein zu einem Scheich, der die Gläubigen und Fundamentalisten anführen will. Die Hezbollah im Libanon, die Krieger des Heiligen Krieges, und andere schiitische fundamen- talistische Gruppen, die bisher vom Iran finanziert und instruiert wur- den, haben sich zu Saddam Hus- sein hingewendet. Die moslemi- schen Brüder, die große Unterstüt- zung von König Fahd von Saudi-

„Amerika als Verbündeter Israels ist sogar in Saudi- arabien verhaßt"

arabien erhielten, sind nun gegen ihn.

Doch wollen wir König Hussein nicht vergessen. Der kleine König Jordaniens ist unschlüssig; was immer er tun wird, kann falsch sein. Sein Herz ist mit König Fahd von Saudiarabien, der ihn zusammen mit den Ölscheich tümern finanziell unterstützt und das Land vor dem völligen wirtschaftlichen Zusam- menbruch bewahrt. Doch seine Massen, die Fundamentalisten und die Palästinenser, die zusammen die überwiegende Mehrheit besitzen, sie alle demonstrieren in Riesenauf- märschen für Saddam Hussein. König Hussein wagt es nicht, gegen diese Massen Maßnahmen zu er- greifen, denn diese könnten ihn von seinem Thron verjagen. Also macht er gute Miene zu bösem Spiel. Er braucht auch die USA und kann ohne diese und ihre Zuschüsse nicht existieren. Unterstützt Hussein, so wie es die Mehrheit in seinem Land will, Saddam Hussein, werden die Ölstaaten ihre Zahlungen einstel- len und Jordanien wird zusammen- fallen. Wird er stattdessen gegen Saddam Hussein stimmen, so weiß er noch nicht, was ihm blüht, denn Saddam Hussein ist der Nachbar im Osten, der heute streichelt und morgen vergewaltigt. So bleibt Hussein nichts anderes übrig als so zu tun, als ob er mit allen mitspielt.

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