7071270-1993_02_01.jpg
Digital In Arbeit

Stop dem gnadenlosen Krieg!

19451960198020002020

Während in Genf die zweite Runde der sogenannten , Jugosla-wien”-Friedensverhandlungen mit Serbiens Präsidenten Slobodan Milosevic über die Bühne geht, bemühen sich internationale Organisationen um eine Aufrüttelung Europas, rasch dem bosnischen Volk zur Hilfe zu eilen. Das vom Papst initiierte Friedensgebet in Assisi war sowohl Anklage als auch Zeichen einer humanitären Kooperation von Menschen unterschiedlicher Herkunft.

19451960198020002020

Während in Genf die zweite Runde der sogenannten , Jugosla-wien”-Friedensverhandlungen mit Serbiens Präsidenten Slobodan Milosevic über die Bühne geht, bemühen sich internationale Organisationen um eine Aufrüttelung Europas, rasch dem bosnischen Volk zur Hilfe zu eilen. Das vom Papst initiierte Friedensgebet in Assisi war sowohl Anklage als auch Zeichen einer humanitären Kooperation von Menschen unterschiedlicher Herkunft.

Werbung
Werbung
Werbung

Mehr als 200.000 Opfer soll nach Angaben Tilman Zülchs von der Gesellschaft für bedrohte Völker der Krieg in Bosnien bereits gefordert haben. „Sie starben in Konzentrationslagern, nach Vergewaltigungen und in geschlossenen Güterwagen, während der Massaker und stand- _ rechtlichen Erschießungen überall in den Dörfern Bosniens, bei den ständigen Bombardements der eingeschlossenen Städte”, heißt es in einem jüngst von Zülch herausgegebenen Bericht „Ethnische Säuberung - Völkermord für Großserbien” (erscheint als Buch jetzt bei Luchterhand). Darin wird keinem Krieg gegen Serbien, sondern einer kalkulierten defensiven Aktion zur Durchsetzung des Flugverbots für serbische Kampfflugzeuge, zur Sicherung von Versorgungskorridoren und zur Öffnung von Konzentrationslagern und Zwangsbordellen das Wort geredet.

Ein ehemaliger Kollege des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic, der Psychiater Milan Stern, bekundet in dem Bericht Unverständnis gegenüber dem zweiten Gesicht seines früheren Bekannten: „Nichts, absolut nichts, deutete daraufhin, daß er eines Tages ein Massenmörder werden würde. Waren wir naiv? Oder blind? Ich kann keine Erklärung finden und auch keine Entschuldigung. Ich bin nur traurig, ich fühle mich verraten. Manchmal denke ich, wofür habe ich eigentlich Psychiatrie studiert, wofür ist die Gruppenpsychologie da? Denn alle Versuche, Mord und Haß zu verstehen, scheitern.”

In einem Brief an die Leitung des Weltrates der Kirchen in Genf anläßlich eines christlich-moslemischen

Kolloquiums im Dezember über Möglichkeiten, Frieden durch interreli; giöse Zusammenarbeit zu schaffen, wird auf den seit 6. April des Vorjahres geführten „gnadenlo-(Die Welt) sen Krieg” hingewiesen, dessen Opfer die Bosniaken geworden sind. Die Teilnehmer des Kolloquiums - darunter der österreichische Bosniake Smail Balic - konstatierten, daß es sich dabei um keinen Krieg des „christlichen Europa” gegen den „islamischen Fundamentalismus”, sondern um einen Krieg des Ultra-Nationalismus und des Nihilismus handle. Besonders an die serbischorthodoxe Kirche wird in dem Schreiben appelliert, ihre Anstrengungen zu verstärken, den Krieg zu beenden: „Im Namen der christlichen Werte, Verbrechen im Namen der Religion sollten angeprangert werden. Sie sind Verbrechen gegen die Religion.”

Diese Verbrechen wurden am Wochenende beim - nach Religionen getrennten - Friedensgebet für den Balkan in Assisi, zu dem Johannes Paul II. eingeladen hatte, vehement beklagt. Im Gegensatz zu Äußerungen von serbisch-orthodoxen Bischöfen, die westliche Berichte von Massenvergewaltigungen als „monströs” zurückgewiesen hatten (Vergewaltigungen kämen im Krieg immer vor und würden von allen Seiten begangen), sprach der Erzbischof von Sarajewo, Vinko Puljic, von einer „gemarterten Erzdiözese” und belegte dies mit Zahlen. Der Wortführer der moslemischen Delegation aus Bosnien, Reis-ul-Ulema Jakub Selimoski, sprach von 200.000 Todesopfern, von 500.000 Verletzten und Verstümmelten, 100.000 in Konzentrationslagern Gefangenen und 35.000 vergewaltigten moslemischen Frauen - „angefangen bei Siebenjährigen bis hin zur Achtzigjährigen”. Der serbisch-orthodoxe Patriarch Pavle hatte seine Teilnahme - wohl in Abstimmung mit den Machthabern in Belgrad - abgesagt. Dennoch wird eine orthodoxe Delegation aus Serbien demnächst im Vatikan ein Treffen des Patriarchen mit dem Papst vorbereiten.

Daß es auch humanitäre Zusammenarbeitung überkonfessionelle und ethnische Grenzen hinweg gibt, bezeugte in Assisi eine katholische Teilnehmerin aus Banja Luka: Die orthodoxe Kirche in der nordbosnischen Stadt habe alles in ihren Kräften Stehende getan, um die Kriegsgreuel zu mindern. Eine Hoffnung, daß „der europäische Mensch in der Lage ist, wiederaufzustehen”, die der Papst in seiner Predigt anmahnte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung