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Stopp dem Abschub

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Steht Österreichs Ruf als Asylland auf dem Spiel? Alarmrufe kommen vom Zentralverband ungarischer Vereine und Organisationen in östarreich. Der Verband war in jüngster Zeit mit einer rigorosen Haltung österreichischer Behörden gegenüber Ungarnflüchtlingen aus dem rumänischen Siebenbürgen konfrontiert.

Was ist passiert? Offenbar sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus politischen Gründen hat sich die Zahl der Asylanten aus Siebenbürgen in Österreich derzeit dramatisch erhöht. Es gibt jetzt in Österreich etwa 1000 Rumänen — größtenteils mit ungarischer Muttersprache - als Asylwerber.

Die ungarische Minderheit im Rumänien Nicolae Ceausescus leidet gegenwärtig enorm unter den politischen Gegebenheiten; von einer Autonomie der Ungarn kann nicht die Rede sein, die Verwaltung in den Gebieten der Minderheit ist fest in rumänischer Hand. Es gibt kaum Minderheitenrechte. Ungarisch als Amtssprache ist nicht zugelassen. Die ungarischen Tageszeitungen bringen nur mehr politische Propaganda, kaum Auseinandersetzung mit der eigenen Nationalität.

Das ist der politische Hintergrund der gegenwärtigen Flüchtlingswelle aus Rumänien. Österreich ist davon deswegen so stark betroffen, weil Rumänen für eine Reise nach Österreich kein Visum benötigen; das gleiche gilt für das ungarische Bruderland. Also kommen die Ungarn aus Siebenbürgen mit dem Tragflügelboot aus Budapest nach Wien. Die ungarischen Grenzbehörden machen keinerlei Schwierigkeiten.

An der Anlegestelle bei der Wiener Reichsbrücke ist jedoch Endstation. Die Polizei läßt die Rumänen — offenbar auf höhere Weisung hin — als „bloße Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht von Bord. Die Pässe werden abgenommen, ein Ansuchen um politisches Asyl ist nicht möglich.

Mittlerweile hat sich schon her<-umgesprochen, wie schwierig eine Flucht per Schiff ist. Nun fahren viele Rumänen mit dem Bus an die österreichisch-ungarische Grenze und kommen zu Fuß nach Österreich. Aber auch hier — im freundlichen Burgenland — ist Endstation. Die Gendarmerie schiebt die Asylanten sofort ab. Es gibt nach Aussage eines Gendarmeriebeamten dafür eine Anweisung von oben.

Warum schalten die österreichischen Behörden im Fall der Rumänenflüchtlinge auf stur? Sicherlich — so hört man — gab es auch „dubiose Flüchtlingsfälle“. Aber jetzt sind doch die Behörden in verstärktem Ausmaß mit der gängigen Meinung konfrontiert, „daß diese Wirtschaftsflüchtlinge den Österreichern die Arbeitsplätze wegnehmen und alles wegfressen“.

Eine humanitäre Gesinnung, die für die wirtschaftliche und politische Notlage von Minderheiten in Osteuropa Verständnis hat, gebe es nun nicht mehr; spießbürgerliche Meinungen — so der Zentralverband der ungarischen Vereine — seien in den Vordergrund getreten.

Dieser „Mentalitätswandel“ hat nun offenbar auch auf Behördenebene Platz gegriffen. Steht Innenminister Karl Blecha nicht mehr zu seinem Wort, daß von österreichischem Boden kein Flüchtling abgeschoben werde? Bis jetzt hat jedenfalls der Zentralverband der ungarischen Vereine noch keine Antwort auf ein am 13. August dieses Jahres an den Innenminister gerichtetes Schreiben erhalten, in dem der Minister gebeten wird, diese neue „Asylpraxis“ zu begründen.

Eine Stellungnahme dazu aus dem Innenministerium war zunächst äußerst schwer zu erhalten. Jedenfalls wissen die Beamten um die Abschiebepraxis seitens der Gendarmerie und der Polizei. Gibt es dafür eine Weisung? Ausweichende Antwort aus dem Innenministerium: „Man will halt nicht eingreifen und läßt alles so laufen wie bisher.“

Ist die Hinhaltetaktik Folge einer Mentalität, die öffentliche Diskussionen abzublocken versucht, oder der österreichischen Bequemlichkeit oder einfach Paragraphenreiterei? Von einer anderen Stelle des Innenministeriums ist zu hören, daß man in Österreich auf dem Standpunkt stehe, die Angehörigen der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen seien Asylanten in Ungarn.

Die Schwierigkeit für die Rumänenflüchtlinge liegt nun darin, daß Ungarn sie nötigt, nach Siebenbürgen zurückzukehren, wo sie eine Verfolgung durch die Behörden zu befürchten haben. Die Flüchtlinge sind damit Menschen im Niemandsland; eine Rückkehr nach Rumänien ist zu riskant.

Im Innenministerium prüft man zurzeit die einzelnen Fälle einer Zurückweisung. Ministerialrat Anton Schulz, Sektion II/C -Staatöpolizeilicher Dienst, gibt sich überzeugt, daß niemand abgeschoben wird, der „ausdrücklich“ um Asyl in Österreich ansucht.

Zu den geschilderten Fällen meint er, es handle sich um Flüchtlinge, die in Österreich nur vorübergehend Aufenthalt nehmen, weiterwandern oder jemanden besuchen wollten. Für Österreich — so Schulz — gelte nach wie vor der Grundsatz, daß Flüchtlinge hier bleiben dürfen und ein Asylverfahren eingeleitet werde, wenn darum angesucht wird.

Der Flüchtling, in einer Ausnahmesituation, der deutschen Sprache nicht mächtig, unkundig der geltenden Bestimmungen, bleibt im Paragraphendschungel hängen. Der Flüchtling? Die Menschlichkeit

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