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Strafe als „Schutz" für Frauen

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Islam und Menschenrechte, im speziellen Frauenrechte: Gerade als Orientalist geht man mit äußerster Behutsamkeit an diese Frage heran, wird einem doch jede Kritik nur allzu schnell als Kultur- und Werteimperialismus ausgelegt. Von islamischer Seite, aber auch von bestimmten westlichen Intellektuellen wird man beschuldigt, in alter orientalischer Manier den Orient an westlichen Konzepten messen zu wollen.

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Islam und Menschenrechte, im speziellen Frauenrechte: Gerade als Orientalist geht man mit äußerster Behutsamkeit an diese Frage heran, wird einem doch jede Kritik nur allzu schnell als Kultur- und Werteimperialismus ausgelegt. Von islamischer Seite, aber auch von bestimmten westlichen Intellektuellen wird man beschuldigt, in alter orientalischer Manier den Orient an westlichen Konzepten messen zu wollen.

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Außerdem seien Mißstände in der islamischen Welt, so vorhanden, keineswegs mit dem Islam in Zusammenhang zu bringen; vielmehr seien alle Menschenrechte in göttlicher Gerechtigkeit im Koran festgeschrieben. Und überhaupt: Nur unsere areligiöse Gesellschaft brauche Menschenrechte, der Moslem habe stattdessen den Islam, der ihm gewährt, was jedem Menschen an Freiheit zusteht.

Es ist auch wirklich problematisch, die moslemische Frau „befreien" zu wollen, indem man ihr zu dem verhilft, was westliche Frauen mittlerweile als unveräußerliche Rechte ansehen. Eine moslemische Frau ist im allgemeinen weit davon entfernt, das, was ihr in ihrem Frauenleben passiert, als Angriff auf ihre Menschenwürde zu sehen, selbst wenn es an ihre körperliche Unversehrtheit geht. Genauso wie bestimmt manch nach der Scharia zum Tode verurteilter Moslem nicht daran zweifelt, daß nur mit seinem Tod die durch sein Verbrechen gestörte göttliche Gerechtigkeit wieder hergestellt werden kann.

Aber zurück zur Frau: An dieser Stelle muß wieder einmal darauf hingewiesen werden, daß es „die moslemische Frau" genauso wenig gibt wie „den Islam". Überall, im Orient und im Westen, gibt es Moslems, die in ihren Frauen gleichberechtigte Partner sehen - und zwar nicht nur vor Gott gleichberechtigt, sondern auch im Leben.

Hier soll indessen die Rede von der theoretischen Untermauerung gewisser Unterdrük-kungsmöglichkeiten sein, die der Islam vor allem in der hadith-Literatur (Sünna), der zweiten islamischen Rechtsquelle neben dem Koran, liefert. Daß das so sei, wird von vielen Moslems, aber auch Europäern und Europäerinnen empört geleugnet. Um gerade sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, nach neuen Wegen der Interpretation der Rechtsquellen zu suchen, muß hier mit Belegen den Behauptungen widersprochen werden, die Gleichberechtigung der Frau im Islam sei rechtlich gesichert.

Zu allererst zu einem der schlimmsten Verstöße gegen die Würde und die körperliche Integrität der Frau: Die Beschneidung, die beispielsweise in Ägypten noch immer praktiziert wird und bei den Betroffenen oft lebenslange körperliche und psychische Schäden zurückläßt - ganz zu schweigen von den Todesopfern, die „unsachgemäßes Vorgehen" (zum Beispiel eine verrostete Rasierklinge zum Abschneiden der Klitoris!) fordern. Lebenslange Schmerzen beim sexuellen Verkehr sind durchaus nicht nur die Folge, sondern die Absicht dieser Operation, mit der ja das sexuelle Verlangen eines Mädchens ein für allemal ausgelöscht werden soll. Die Berichte darüber in der arabischen Frauenliteratur sind Legion; es handelt sich also keineswegs um böswillige westliche Verleumdung.

Wohl kaum ein Moslem im Westen würde sich hinter diese Praxis stellen. Ist er aber ein „guter" Moslem, wird er den Islam sofort in Schutz nehmen und erklären, daß die Beschneidung von Frauen nicht islamisch sei, sondern eine vorislamische barbarische Angelegenheit. Das mag sein, viele lokale vorislamische Bräuche wurden selbstverständlich auch nach Übernahme des Islam beibehalten. Aber es gibt bei dieser Argumentation einen Haken: einen islamischen „hadith" (eine der Anekdoten aus dem Leben des Propheten Muhammad, die gleichberechtigt neben Koran als Rechtsquelle gelten), in dem sich Muhammad zur Frauenbeschnei-dung durchaus positiv äußert: Man solle „von dem obersten etwas abschneiden".

Rchtfertigung der Beschneidung

Dementsprechend zustimmend fielen auch die Kommentare der islamischen Rechtslehrer aus, die die vier sunnitischen Rechtsschulen begründeten. Und wer meint, das sei Schnee aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, wird durch einen 1989 (!) erschienenen Gesetzeskommentar des syrischen Juristen Zuhayli eines Besseren belehrt, wo die Rechtfertigung der Beschneidung in unveränderter Form anzutreffen ist.

Den aufgeklärten Moslems fällt es längst schwer, sich noch zu den ahadith (Plural von Hadith) zu bekennen. Die Vertreter einer traditionellen Richtung ziehen aber immer wieder gerade die hadith-Literatur heran, um anhand von wirklich sympathischen Geschichten aus dem Leben des Propheten zu beweisen, wie gut dieser es mit den Frauen meinte. Leider verschwiegen diese Moslems (und man muß befürchten: wider besseres Wissen), daß für jeden frauenfreundlichen hadith einer gefunden werden kann, den wir als schwer diskriminierend bezeichnen würden. Warum zitieren sie nicht auch das „Buch über das Heiraten" von al-Ghazali, dem überragenden islamischen Gelehrten (gestorben 1111)? Er nimmt in schöner Offenheit zur Gehorsamspflicht der Frau dem Manne gegenüber Stellung. Auch er läßt den Propheten zu Wort kommen: „Zu den Rech-

ten des Mannes über seine Frau gehört es, daß, wenn er nach ihr begehrt und um sie wirbt, sie sich ihm nicht verweigern darf, und läge sie auf dem Rücken eines Kamels."

Mit großer Überzeugungskraft wird islami-scherseits versichert, daß die Bestimmungen zur Einschränkung der Frau nur ihrem Schutz dienen und keineswegs als Benachteiligung gemeint seien. Warum, muß man fragen, laufen dann diese Bestimmungen bei Ibn Qutayba (gestorben 889) unter der Bezeichnung „Strafen" für die Frauen (dafür, daß Eva der Schlange gehorchte)? Unter diesen Strafen sind - neben jeder Äußerung weiblicher Körperlichkeit wie Menstruation, Wochenbettplagen, Unreinheit (!) in Bauch und Vulva (wo bleibt hier die vielgelobte islamische Körperfreundlichkeit?) - schlechter Verstand, mangelnde Frömmigkeit, die Benachteiligung der Frau im Erbrecht und daß sie nicht am Freitagsgebet teilnimmt.

Es sollte den Moslems nicht genügen zu sagen: Wir leben doch ohnedies nicht mehr nach diesen archaischen Ansichten, meßt uns doch an der Praxis derer, für die die Frauen denselben Stellenwert haben wie für euch. Diese gutmeinenden Moslems seien gewarnt vor der Möglichkeit eines Rückschritts, die gegeben ist, solange die theoretische Rechtfertigung für die Diskriminierung aller Menschen, die keine männlichen Moslems sind, nicht durch Reformen des islamischen Rechts aufgehoben wird.

Ein eindrucksvolles Zeugnis, daß diese Gefahr latent vorhanden ist, bietet der im Jahre 1970 erschienene Kommentar des Juristen Saltanhussein Tabandeh zur Universellen Menschenrechtserklärung. Tabandeh stellt zwar fest, daß heutzutage die Möglichkeit, die Sklaverei zu legitimieren, so gut wie undenkbar sei, fährt aber dann fort: „Nichtsdestoweniger, sollten die rechtlichen Voraussetzungen für die Versklavung irgendjeman-des gegeben sein (zum Beispiel ein Gefangener, der gegen den Islam gekämpft hat mit dem Ziel, ihn auszurotten...) müßte der Islam diese Sklaverei zwangsläufig als rechtmäßig ansehen..." Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

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