7029511-1989_25_01.jpg
Digital In Arbeit

Strafe für Bonzen?

Werbung
Werbung
Werbung

Die nur sehr geringe Beteiligung an den Arbeiterkammerwahlen (FURCHE 24/1989) hat nicht nur die unmittelbar Verantwortlichen alarmiert. Fand es doch nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten der Mühe wert, von der Möglichkeit ihrer Mitbestimmung Gebrauch zu machen. Interesse und Meinung, man könnte mit dem Stimmzettel etwas bewirken, scheinen auf einen Tiefstand gesunken zu sein.

Der sehr rasch zu Tage getretene Standpunkt, man müßte nun die allgemeine Pflichtmitgliedschaft zur gesetzlichen Interessenvertretung in Frage stellen, scheint dennoch eine Fehlreaktion zu sein. Zuerst müßte man sich wohl fragen, ob nicht die wahlwerbenden Gruppen dadurch versagten, daß sie keine wirkliche Motivation für diesen Umengang schaffen konnten. Natürlich ist auch der Institution selbst und vor allem ihren Funktionären vorzuwerfen, daß die Arbeiterkammem nach wie vor das vielzitierte „unbekannte Wesen“ sind. Es gibt ein krasses Mißverhältnis zwischen der Bedeutung der Kammern - man denke nur an ihre zahlreichen Entsendungsrechte in wichtige Gremien - und der Einschätzung seitens ihrer Mitglieder.

Die Ursachen hiefür sind lange bekannt, ohne daß man wirklich ernsthaft nach Abhilfe gesucht hätte. Ein gewisser Hochmut undEgois- mus des Apparats sind nicht zu übersehen. Die Bereitschaft, dem einzelnen im Ernstfall wirklich zu helfen, ist nicht ausreichend und wird überwiegend an die Gewerkschaften abgeschoben. Auf dem sicheren Polster der Zwangszugehörigkeit ruhend, hat man spürbares Engagement vermissen lassen und Verbeamtung machte sich breit. Soweit man Ideologien der „Arbeiterbewegung“ kultiviert, geht dies am Bewußtsein der Betroffenen fast gänzlich vorbei.

Eigentlich hat man - vor allem bei der FPÖ - das Gefühl, die Aufhe-

bung der allgemeinen Kammerzugehörigkeit solle eine Art von Strafe für die dort etablierten „Bonzen“ sein, denen man ihre „Pfründe“ entziehen wilL Denn über eines muß man sich klar sein: Eine künftige freie Mitgliedschaft müßte die Kammerorganisation zerschlagen, denn nur eine kleine Minderheit würde aus Idealismus oder Anständigkeit, vielleicht auch über Druck dabeibleiben. Beispielsfolgen für die Organisationen der Gewerbetreibenden, Bauern und Freiberufler wären unausbleiblich. Man würde dem Verbändestaat den Todesstoß versetzen.

Damit stellt sich die eigentliche Frage: Soll auch weiterhin Österreichs System das Wirken starker

Interessenorganisationen als wichtiges Element demokratischer Willensbildung beibehalten?

Sieht man die Dinge so, scheint der Ruf nach Beseitigung der gesetzlich vorgeschriebenen Mitgliedschaft zumindest eine überschießende Reaktion auf Stimmverweigerung zu sein. Die Sozialpartnerschaft hat in unserem Lande sehr viel Positives bewirkt, was wohl niemand ernsthaft wird bestreiten können. Gekränkte Wahlwerber mögen das in ihrer Enttäuschung nicht übersehen. Es sollte nicht wieder einmal von einem Extrem ins andere gefallen werden. Man kann nicht zuerst stolz verkünden, daß man eine bessere Kammer schaffen wolle und dann gleich vom Abschaffen reden, wenn man nicht das gewünschte Vertrauen übertragen erhält.

Freilich wird uns eine ernsthafte Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Verbände in ihrer heutigen Konfiguration und mit ihrem jetzigen Selbstverständnis nicht erspart bleiben können. Sie wurden tatsächlich zu einer Art von Nebenregie-

rung und nicht selten vollziehen freigewählte Parlamentarier mehr oder weniger zähneknirschend, was ihnen die Sozialpartner vorschreiben.

Sehrprinzipiellistauchdie Frage zu stellen, ob man heute überhaupt noch von einer gemeinsamen Interessenlage „der Arbeitnehmer“ reden kann - in der verstaatlichten Industrie einerseits und in Kleingewerbebetrieben andererseits, bei Bahn und Post, im Handel oder in Elektrizitätsgesellschaften. Angesichts der Vielfalt der sozialen Landschaft und ihrer Konflikte scheint eine gigantische Massenorganisation in Millionengröße geradezu anachronistischer Restbestand längst überholten Klassendenkens zu sein, eine überflüssige Doublette der allgemein gewählten Vertretungskörper.

Ein Eingriff in die heutige Vermassung durch anonyme und ver- politisierte Großverbände könnte freilich erwogen und soll hiemit zur Diskussion gestellt werden. Man könnte als Ergebnis einer prinzipiellen Neuüberlegung die Möglichkeit schaffen, daß Arbeitnehmer, die bei einer kollektivvertragsfähigen Interessenvertretung, also im Regelfall einer Gewerkschaft, freiwillig Mitglied sind, ihre Befreiung von der Kammerzugehörigkeit beantragen können. Dies würde nicht nur Überflüsse Mehrfachzugehörigkeit lind Kostenbelastung ersparen, sondern einen durchaus gesunden Wettbewerb und mehr Bemühen um das Vertrauen der Betroffenen aus- lösen. Man würde sich auf beiden Seiten wieder mehr anstrengen.

Egal, wozu man sich entschließt, wird Behutsamkeit am Platz sein. Bestehendes zerstören ist immer leicht, Verlorenes wiederzugewinnen meist schwierig. Wohlüberlegten Reformen, vor allem zur Verbesserung der Arbeiterkammem selbst, wäre jedenfalls der Vorzug gegenüber radikalen Schritten zu geben.

Der Autor ist Volksanwalt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung