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Strafen zur Besserung

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„Einsperren muß man das G'sindel", so reagieren viele, wenn sie von kriminellen Handlungen hören. Härteres Durchgreifen forderte der neue Wiener Bürgermeister von der Polizei. Reicht das?

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„Einsperren muß man das G'sindel", so reagieren viele, wenn sie von kriminellen Handlungen hören. Härteres Durchgreifen forderte der neue Wiener Bürgermeister von der Polizei. Reicht das?

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Was müßte das Ziel eines neuen, besseren Strafvollzuges sein? Ich will drei Punkte zusammenfassen:

• Er sollte Einsicht vermitteln, ermöglichen, in das Fehlerhafte, Falsche des asozialen (ich vermeide absichtlich das Wort kriminell) Verhaltens. Angesichts der Tatsache, daß sich bei vielen Tätern in der Kindheit - infolge fehlender oder instabiler Familienverhältnisse — nur ein äußerst mangelhaft strukturiertes Gewissen entwickeln konnte, ist allein, dies ein äußerst schwieriger und mühsamer Prozeß.

Für mich bleibt es eine unerträgliche Diskrepanz, daß wir den asozialen Psychopathen, wenn wir ihn im Rahmen einer psychiatrischen Vorlesung vorgestellt bekommen, als schwerkranken Menschen erleben und bedauern, im Gerichtssaal ihm aber als einem weitgehend Verantwortlichen begegnen.

Unlängst hat mir ein prominenter Anwalt gesagt, daß schon in dem Moment, wo der Richter sagt: „Ich spreche Sie schuldig, dies und jenes begangen zu haben", die große Lüge und der Irrtum beginnen. Er müßte vielmehr sagen: „Sie haben das und das getan, die Gesellschaft muß daher für eine gewisse Zeit vor Ihnen geschützt werden."

Weit entfernt davon, den Schuldbegriff als solchen — einen der wichtigsten der Menschheit — zu leugnen, möchte ich mit diesen Ausführungen doch darauf hinweisen, vor welch großem Problem wir allein hinsichtlich der Vermittlung einer Einsicht bei vielen Gefangenen stehen: Dennoch wird es ohne Gelingen dieser Aufgabe keine echte Hoffnung auf Besserung geben können! # ErsollteeinenEinblickvermit-teln, wie es zur Tat kommen konnte. „Wie war so etwas möglich", müßte hier die entscheidende Frage lauten. Diejenigen, die ihre Vergangenheit nicht verstehen, sind dazu verurteilt, sie in der Zukunft wieder zu erleben, hat der Historiker Toynbee mit Recht behauptet. Also: Konfrontation mit der eigenen Person, Introspektion, Sich-selbst-in-Frage-Stellen, für uns alle (und nicht nur für den Gefangenen) ein äußerst mühevoller peinlicher Prozeß, dem man gerne ausweicht, wo man nur kann. Mitscherlich hat im politischen Bereich von der „Unfähigkeit zu trauern" gesprochen, und damit den Versuch des deutschen (und wohl auch des österreichischen) Volkes gemeint, sich der Verantwortung für die Beteiligung an den Unmenschlichkeiten des Nationalsozialismus durch Verdrängung zu entziehen. Diese „Trauerarbeit" also, der alle Menschen bei allen möglichen Gelegenheiten auszuweichen versuchen, müßte im Gefängnis geleistet werden. Sie allein wäre Garant für eine Neuorientierung in der Zukunft.

Diejenigen, die unseren Strafvollzug ersonnen haben, glauben offenbar, daß je trauriger die Lebensumstände, desto eher die Trauerarbeit (im Sinne der Abschreckung) durchgeführt werde. Wissenschaftlich ist längst erwiesen, daß das Gegenteil der Fall ist. # Er sollte die Entwicklung einer Strategie ermöglichen, wie man sich dem Leben nach der Entlassung gewachsen erweisen kann (wahrlich keine leichte Aufgabe), d. h. also einen Ausblick ermöglichen. Das vollständige Herausgerissenwerden aus der Welt bedeutet ja eine enorme, körperlich und seelisch belastende Umstellung, sie muß in umgekehrter Richtung am Ende der Haft wieder vollzo-, gen werden, wenn auch dann die Vorzeichen, rein äußerlich gesehen, eher ins Positive weisen (= Freiheit). Es braucht eine enorme Vorbereitung, um einer solchen Veränderung gewachsen zu sein.

Wie soll nun auch nur ein bescheidener Teil dieser drei Punkte erreicht werden, wenn unser Strafvollzug auf dem Prinzip der Vergeltung beruht?

In Wirklichkeit hätten wir nur eine Chance: Wir müßten um die Einsicht des Täters ringen, d. h. wir müßten menschlich um ihn werben, ihm zu diesem Zwecke „entgegenkommen", wo es nur immer geht. Eben diese Notwendigkeit erzeugt im Volke einen Aufschrei der Empörung, den viele aufgrund ihrer Rachegesinnung gerne hören und dem sich andere wieder, obwohl sie es besser wissen, fügen, um nicht unangenehm aufzufallen.

Dabei hat dieses Entgegenkommen sowieso schon eine tragische Grenze, nämlich, daß wir um den vorübergehenden Entzug der Freiheit für den Asozialen nicht herumkommen. Mit größtem Nachdruck muß, um Mißverständnisse zu vermeiden, betont werden: Die Gesellschaft hat ein Recht darauf, geschützt zu werden, und dieses Recht muß geachtet werden.

Was aber hat die Gesellschaft davon, wenn die Zeit des Freiheitsentzuges nicht genützt wird und der Gefangene in der gleichen (oft sogar in einer schlechteren) seelischen Verfassung in sie zurückkehrt, auf sie „losgelassen" wird, wie es so unschön heißt?

Ein Bekenntnis also zum Freiheitsentzug, aber doch niemals unter solchen Bedingungen, wie sie jetzt gegeben sind, weil sie den Sinn der Strafe, wie er in den drei Punkten zusammengefaßt wurde, in einen Unsinn, ja Widersinn verwandeln.

Der Autor ist Professor für medizinische Psychologie an der Universität Wien.

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