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Strafvollzug mit Zucht und Profit

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Keine Partei in den USA stellt den freien Wettbewerb in Frage. Die Entstaatlichung von Gefängnissen und Finanzspritzen für marode Großbetriebe sind aber heftig umstritten.

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Keine Partei in den USA stellt den freien Wettbewerb in Frage. Die Entstaatlichung von Gefängnissen und Finanzspritzen für marode Großbetriebe sind aber heftig umstritten.

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Es gibt zwar einige kleinere Länder, in denen das Pro-Kopf-Einkommen höher ist als in den Vereinigten Staaten wie beispielsweise in Kuweit, das bei einer sehr kleinen Bevölkerungszahl über Milliardeneinkünfte aus seinem Rohölexport verfügt.

Aber die USA gehören zu den wenigen großen Ländern mit einer extrem hohen durchschnittlichen Kaufkraft. Ein direkter Zusammenhang dieses Faktums mit der Tatsache, daß es hier wenig Staatsbetriebe und viel weniger staatliche Einmischung gibt als sonstwo, läßt sich wohl kaum bestreiten. Mit anderen Worten: Der Massenwohlstand ist in erster Linie, wenngleich nicht ausschließlich (hier spielen auch andere Faktoren wie Rohstoffreichtum, Pioniergeist etc. eine Rolle), eine direkte und unmittelbare Folge des auf privatwirtschaftlichen Wettbewerb ausgerichteten Wirtschaftssystems.

So sind die Telefon- und Telegraphengesellschaften in privater Hand. Ebenso die Elektrizitätsund Eisenbahngesellschaften, sämtliche Fluglinien, Banken und Versicherungsgesellschaften. Rundfunk- und Fernsehstationen sind ebenfalls Privatunternehmen.

Dagegen ist beispielsweise die Post in den USA ein Staatsbetrieb, verfügt aber über kein Monopol. Zu Beginn dieses Jahrhunderts wollte sich ein junger Mann namens Jim Casey ein paar Cents verdienen, indem er in einer kleinen Stadt des Mittelwestens Botengänge machte und Pakete zustellte. Sein Unternehmen begann zu florieren und mauserte sich zum United Parcel Service (UPS), das heute in allen Bundesstaaten operiert und aus dem amerikanischen Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Jedes Kind kennt die schokoladebraunen Lastautos des UPS und jedermann weiß, daß diese Privatfirma nicht nur besser, sondern auch billiger arbeitet als die Post.

Neben den vielen „Messenger-Services“, die in den amerikanischen Großstädten einen Teü der lokalen Briefzustellung abwik-keln, gibt es auch Firmen wie den „Federal Express“, die im ganzen Land tätig sind, über ein Flotte eigener Flugzeuge und Lieferwagen verfügen und die Zustellung innerhalb von 24 Stunden garantieren.

Bemerkenswert ist in den USA, daß selbst die dem radikalen Flügel der Demokratischen Partei angehörenden Abgeordneten, also die sogenannten Links-Liberalen, das privatwirtschaftliche System nicht in Frage stellen.

Trotzdem scheiden sich auch in den USA in einer so gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Frage die Geister. Herausgegriffen seien dabei zwei ganz verschiedene hochaktuelle Probleme: Die versuchsweise privatwirtschaftliche Führung von Strafanstalten und die Rettungsaktionen für Großunternehmen, die vom wirtschaftlichen Zusammenbruch bedroht sind.

Seit 1972 hat sich die Zahl der Häftlinge, die Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr verbüßen, auf 440.000 erhöht bzw. verdoppelt. Durch die zunehmende Kriminalität und auch durch das härtere Vorgehen der Gerichte in den USA wird sich dieser Häftlingszustrom in den nächsten

Sträflinge als normale Arbeitnehmer? (Foto Viennareport) zehn bis 15 Jahren weiter verstärken. Schon heute sind die Gefängnisse um durchschnittlich zehn Prozent überbelegt. Allein der Aufwand für Gefängnisneu- und -umbauten wird sich Schätzungen zufolge bis zum Jahr 1990 auf umgerechnet 2.000 Milliarden Schilling (!) belaufen. Gleichzeitig steigen die Verwaltungskosten rapide an. Unter diesen Umständen überrascht es nicht, daß die explosionsartig zunehmenden Ausgaben für den Strafvollzug bei den Steuerzahlern Kritik hervorrufen. Das „National Institute of Justice“, das dem Justizministerium untersteht, empfiehlt daher die Privatisierung der Strafanstalten.

Inzwischen haben bereits mehrere Bundesstaaten mit derartigen Versuchen gute Erfahrungen gemacht.

Die Kritiker solcher Privatisierungsbestrebungen wenden dagegen ein, daß es ausschließlich Sache des Staates sei, den Strafvollzug zu überwachen. Das ändert aber nichts daran, daß bereits alle 50 Bundesstaaten die Privatisierung der Strafanstalten erwägen. Zumal bereits feststeht, daß private Unternehmer die Arbeitskraft der Häftlinge besser einsetzen, die Aufseher höher bezahlen, mit geringeren Tagsätzen für die

Häftlinge das Auslangen finden und auch noch mit Gewinnen statt mit einem Defizit arbeiten.

Die andere Frage, in der die verschiedenen Auffassungen im Kongreß, in den Medien und in der Öffentlichkeit aufeinanderprallen, ist, ob Großbetriebe mit Hilfe staatlicher Finanzspritzen vor dem Untergang bewahrt werden sollen.

In der jüngeren Wirtschaftsgeschichte gab es drei solcher Fälle: die Lockheed-Flugzeugwerke, die Chrysler-Automobilfabrik und die Continental Illinois Bank.

Bahn subventionieren?

Jeder dieser Fälle stellt einen Fall „sui generis“ dar: Bei der Finanzhilfe an Lockheed fiel das Interesse der Regierung am Weiterbestehen dieses wichtigen Rüstungsbetriebes ins Gewicht. Den Chryslerwerken kam zugute, daß sie einer der drei großen Autopro-duzenten sind, die man im Interesse des freien Wettbewerbs nicht in Konkurs gehen lassen wollte, sondern mit einer Regierungsgarantie von umgerechnet 25 Milliarden Schilling vor dem sicheren Untergang bewahrte. Die Continental Illinois Bank wurde mit umgerechnet 90 Milliarden Schilling aufgefangen, wobei aber zu bemerken ist, daß diese Mittel zum Teil von einem Banken-Konsortium stammten.

Derzeit ist die Frage heftigst umstritten, ob die mit einem von Jahr zu Jahr höheren Defizit arbeitende Eisenbahngesellschaft AMTRAK weitergeführt werden soll. Die Regierung Reagan fordert die Beendigung der Subventionierung, während die Mehrheit der Kongreßabgeordneten für das Uberleben dieses Defizitbetriebes eintritt.

Der Autor ist Leiter der New Yorker Repräsentanz der Genossenschaftlichen Zentralbank AG.

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