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Strahlender Mist

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Es geht um unsere Gesund- heit: Radioaktive Stoffe hel- fen bei der Krebserkennung, den Abfall will aber niemand haben. Bürgerinitiativen wer- fen den Endlagersuchenden Prügel zwischen die Beine.

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Es geht um unsere Gesund- heit: Radioaktive Stoffe hel- fen bei der Krebserkennung, den Abfall will aber niemand haben. Bürgerinitiativen wer- fen den Endlagersuchenden Prügel zwischen die Beine.

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„Wir werden alles nur Erdenkli- che machen, um so ein Lager zu verhindern", so der Bürgermeister von Bezau (Vorarlberg), Helmut Batlogg. Die Umgebung von Bezau ist eine der Gegenden, die als mög- licher Standort für ein Endlager von radioaktiven Abfällen in Frage käme. Und Bezau ist nicht die ein- zige Gemeinde, die sich vehement gegen diesen Bau wehrt. Insgesamt gibt es in Österreich nämlich 16

mögliche Standortbereiche in den Bundesländern, und auch dort werden bereits erste Aktionen ge- gen ein Endlager gestartet.

In der Nuklear-Medizin, sei sie nun „in vivo" (am lebenden Men- schen) oder „in vitro" (Untersu- chung der Blutprobe), kommen heute häufig radioaktive Stoffe zum Einsatz. Diese können jedoch oft nicht entsorgt werden. Kurzlebige Radionuklide werden in Abkling- einrichtungen solange gelagert, bis sie wie inaktiver Abfall beseitigt werden können. Aber viele andere radioaktive Abfallstoffe müssen derzeit noch zur Konditionierung (für die Endlagerung in einen schwer lösbaren Zustand gebracht) in das Forschungszentrum Sei- bersdorf verfrachtet werden.

Und Seibersdorf ist der Stein des Anstoßes. Die Benützungsbe- willigung als Zwischenlager für schwach- bis mittelaktive Abfälle läuft dort nämlich mit dem kom- menden Herbst aus. „Es müßte schon längst ein neues Endlager geben, aber Gesundheitsminister Harald Ettl unternimmt in dieser Richtung viel zuwenig", so Monika

Langthaler, Spitzenkandidatinder Grünen. Da es aber dieses Endlager bis zum heutigen Tag noch nicht gibt, ja noch nicht einmal ein Stand- ort dafür gefunden wurde, muß Seibersdorf die Benützungsbewil- ligung wohl oder übel verlängern. Der Bürgermeister von Seibersdorf, Paul Renner, ist bereit, das zu tun. Voraussetzung ist allerdings, daß irgendwo in Österreich in naher Zukunft ein Endlager gebaut wird.

An den 16 möglichen Standort- bereichen werden bis Ende des Jahres Untersuchungen abge- schlossen werden. Bei den bestge- eigneten Orten sollen dann im Laufe der nächsten zwei Jahre Sicher- heitsanalysen von einer Arbeits- gruppe aus Seibersdorf durchge- führt werden, die am Ende die Fixierung des Standortes für ein Endlager nach sich ziehen.

Die geologischen Anforderun- gen, die an das für ein Endlager in Frage kommende Gebiet gestellt werden, sind eine geringe Wasser-

durchlässigkeit, ein genügend gro- ßes Gesteinsvolumen und eine gute Absorbtionseigenschaft für Radio- nuklide. Die endgültige Entschei- dung über den Standort des Endla- gers wird nach folgender Bewer- tung gefällt: Hydrologie, Geoche- mie; Ressourcenpotential; tekto- nische Stabilität; tektonischer Spannungszustand - Dimension des Wirtgesteins.

Doch schon vor Beginn dieser Analysen gehen die Bewohner der betroffenen Gemeinden auf die Barrikaden. Bürgerinitiativen wurden ins Leben gerufen und Unterschriftenaktionen gestartet. Überhaupt dürfte die Standortaus- wahl nicht ganz glücklich vor sich gegangen sein. Ein Beispiel dafür ist das Gebiet um Matrei in Salz- burg. Dort wird nämlich für die nahe Zukunft der Bau eines Natio- nalparks geplant. Der Kommentar dazu von Bürgermeister Andreas Köll: „Das ist doch verrückt! Ei- nerseits will man einen National- park bauen, andererseits kommt in unsere Gegend vielleicht auch ein Endlager für radioaktive Abfälle."

Eine weitere betroffene Gemein- de ist Zellerndorf in Niederöster- reich. Hier wurde eine große Un- terschriftenaktion dagegen gestar- tet, bei der 14.500 Unterschriften gesammelt wurden. Auch der Lan- deshauptmann von Niederöster- reich, Siegfried Ludwig, setzte bereits seinen Namen auf diese Liste. Für den Bürgermeister von Zellerndorf, Hermann Jagenteufel, ist diese Aktion ein kleiner Licht- blick: „Wir sind zuversichtlich, daß wir das Endlager nicht bekommen. Ein Atomlager wie Seibersdorf ist nicht brauchbar. Das grenzt ja an Gigantismus der Wissenschaftler!"

In allen betroffenen Gebieten, die als möglicher Standort für ein End- lager in Frage kämen, gibt es also massive Interventionen. Rainer Scheffenegger vom Gesundheitsmi- nisterium macht den Bewohnern aber einen großen Vorwurf: „Die Leute reden von Dingen, die sie nicht verstehen. Man muß zuerst schauen und dann befinden." Die Möglichkeit, zu „schauen", ist ohne weiteres gegeben. Denn jeder kann nach Seibersdorf kommen, sich die Situation anschauen und sich in- formieren. „Doch die Resonanz auf diese Aufforderung ist leider gleich null", so Scheffenegger.

In Österreich brauchen wir ein Endlager für radioaktive Abfälle, und das befürworten auch die Grünen. „In diesem Lager sollte aber nur österreichischer radioak- tiver Mist gelagert werden, und nicht auch der aus Italien, wie es im Moment noch der Fall ist", so Monika Langthaler von den Grü- nen. Sie setzt auf eine rigorose Bürgerbeteiligung. Eine UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) müßte gemacht werden.

In ganz Österreich werden jähr- lich mehrere tausend Menschen nuklearmedizinisch untersucht und behandelt. Diese Art der Behand- lung ist aus dem medizinischen Bereich nicht mehr wegzudenken. Doch so notwendig radioaktive Stoffe für eine erfolgreiche Dia- gnose - zum Beispiel zur Bestim- mung der Lage, Ausdehnung oder Existenz von Metastasen, Tumoren und Organen - auch sind, so schlecht sind die sich daraus ergebenden Abfälle für die Umwelt.

Am günstigsten Standort für ein Endlager sollen jährlich 300 Fässer zu 200 Litern gelagert werden. Solche Zahlen lassen jedoch ver- stehen, daß sich die betroffenen Bürger mit allen Mitteln zur Wehr setzen. Nach langem Hin und Her laufen nun endlich die Sicherheits- analysen für die Standortfixierung eines Endlagers an. Es bleibt zu hoffen, daß diese zur Zufriedenheit aller Beteiligten ausgehen werden.

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