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Straße der Schlagstöcke

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Verzweifelte Hilferufe gelangten in den vergangenen Tagen aus der ČSSR an Menschenrechtsorganisationen im Westen. Das Regime prügelt seine Kritiker ärger denn je.

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Verzweifelte Hilferufe gelangten in den vergangenen Tagen aus der ČSSR an Menschenrechtsorganisationen im Westen. Das Regime prügelt seine Kritiker ärger denn je.

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Immer mehr Bürgerrechtler landen in der Tschechoslowakei hinter Gittern oder sind verschiedenen Schikanen ausgesetzt. Manche von ihnen können nicht mehr zu Hause leben, sie sind gezwungen, unterzutauchen.

Am vergangenen Sonntag, in den frühen Morgenstunden, holte eine mehrköpf ige Gruppe von Polizisten den katholischen Priester

Vaclav Maly - er ist seit Jahren als Charta 77- und VONS-Akti-vist bekannt - aus seiner Wohnung.

Am Freitag, 20. Jänner, wurde der letzte amtierende Charta 77-Sprecher, Tomas Hradilek, von Staatspölizisten von seinem Arbeitsplatz abgeführt. In der Nacht zuvor hatten „unbekarmte Täter“ sein Wohnhaus mit Parolen wie „Es lebe die KP und die Volksmiliz“ besprüht, offenbar, um ihn daran zu erilanern, wer in der CSSR das Sagen hat.

Sein Mitstreiter, Rudolf Bereza, wurde zwei Stunden später von zu Hause abgeführt. Verschollen ist seit Sonntag der vorjährige Charta 77-Sprecher Stanislav Devty

aus Zlin, dem es als einzigem Menschen gelungen war, Blumen und eine Dornenkrone auf das Grab Jan Palachs in Všetaty zu legen.

In Haft sind seit mehr als einer Woche unter anderen Dana Nem-covä (55), Mutter von sieben Kindern, und die schwer kranke 68jährige Jana Sternovä, beide Charta-Sprecherirmen, der weltbekannte Dramatiker Vaclav Havel und der Naturwissenschaftler Alexander Vondra, der erst vor kurzem zum neuen Charta-Sprecher ernannt worden war.

Die Zahl jener Bürger — ob sie nun Teilnehmer der Demonstrationen im Prager Stadtzentrum, Zuschauer oder nur Passanten gewesen waren —, die von Polizeitruppen mit Schlagstöcken attak-kiert, mit Wasserwerfern und Tränengas „behandelt“ wurden, ist nicht bekannt, geht jedoch in die Tausende. Augenzeugen berichten, daß die Prügelorgien in Prag am Donnerstag voriger Woche ihren Höhepunkt erreichten.

Von einem Polizeikordon seien die Leute, die sich in der Mitte des Wenzelsplatzes befanden, abgeriegelt worden. Auf jeden einzelnen hätten sich bis zu fünf Polizisten gestürzt, die wie verrückt um sich geschlagen hätten, bis die

Opfer zu Boden gegangen seien und mit den Füßen getreten werden konnten. Weder Kinder noch Invalide habe die Polizei verschont. Unter einem geparkten Auto versteckt, konnten Zeugen beobachten, wie Polizisten mit einem kleinen Buben wie mit einem Fußball „trainierten“.

Sobald die Menschenmenge einen auf dem Boden Liegenden und Geschlagenen zu verteidigen versuchte - mit Aufschreien wie:

„So haben sich die Gestapoleute während des Krieges verhalten“ -tobte der Wahnsinn in ihre Richtung. Dutzende, gejagt wie wilde Tiere, wvirden schließlich in beigestellte Transportwagen gepfercht.

Ein Bursche, etwa 16 Jahre alt, der sich auf dem Weg in die Tanz-stimde befand und nicht daran gedacht hatte, sich einzumischen, kormte sich nur noch blutüberströmt nach Hause schleppen. Seine Eltern — wie auch viele andere - haben Angst, ärztliche vmd rechtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Jugendlichen bekamen ganz besonders die Brutalität der „Ordnungshüter“ zu spüren: An einem unbekannten Ort aus den Polizeiwagen ausgesetzt, mußten sie durch eine Gasse von Schlaga Stöcken laufen.

Anna Dusovä, Krankenschwester, Ehefrau des evangelischen Pastors Jan Dus, Mutter von vier Kindern, Augenzeugin: „Gestern auf dem Wenzelsplatz war ich erschüttert. Die sehr jungen, offenbar noch unmündigen uniformierten Knaben aus den ersten Klassen der Polizeischulen schlugen mit ihren Schlagstöcken ohne Überlegung jeden, der ihnen unter die Hände lief. Sie schlugen erbarmungslos zu und mit Lust. Ihre Gesichter und ihr Atem bezeugten klar, daß sie alkoholisiert waren.“

In einem Schreiben hat sie sich an den CSSR-Regierungschef Adamec gewandt und daran erinnert, daß die Gesetze über die Einhaltung der öffentlichen Ordnung auch für deren Hüter und ganz besonders für deren Erzieher gelten sollten.

. Die Charta 77 forderte in ihrem jüngsten Papier Innenminister Kincl zum Rücktritt auf.

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