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Strategien für europäischen Binnenmarkt

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Europa formiert sich, und Österreich will dabeisein. In seinem neuen Buch „Countdown zur EG“ gibt Ernst Swietly umfassenden Unterricht in Sachen EG-Beitritt.

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Europa formiert sich, und Österreich will dabeisein. In seinem neuen Buch „Countdown zur EG“ gibt Ernst Swietly umfassenden Unterricht in Sachen EG-Beitritt.

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Vor genau zwei Jahren, am 16. Jänner 1987, haben SPÖ und OVP in ihrem „Arbeitsübereinkommen“ die „Teilnahme am weiteren europäischen Integrationsprozeß“ zu einem Hauptziel der Regierungspolitik erklärt. Seither verging keine Woche, ohne daß das Thema am Kochen gehalten wurde. Trotzdem heißt es immer wieder, Herr und Frau Österreicher brauchen Nachhilfe in Sachen EG.

Ernst Swietly, der bekannte Fernsehjournalist, hat nun unter dem Titel „Countdown zur EG“ eine Darstellung veröffentlicht, die uns alle klüger machen soll: „In diesem Buch“ so der Verlag, „wird alles, was Experten, Interesseftvertretungen und Wirtschaftspolitiker zu diesem Thema bereits an klugen Gedanken geäußert haben, lesbar und für jedermann verständlich zusammengefaßt.“

Auf rund 250 Seiten wird in der Tat vieles zur Sprache gebracht: vom mythischen Ursprung des Europabegriffs bis zur Arbeitsweise der Brüsseler Kommission. Dem Leser soll nicht nur die Entwicklung der westlichen Integrationspolitik verständlich gemacht, eine Bestandsaufnahme geboten und das Konzept der nun beginnenden Schaffung des Binnenmarktes erläutert werden. Auch die Stärken und Schwachstellen der Gemeinschaft werden benannt: Wohlstands- und Handelsentwicklung, Leistungszuwachs im Agrar- und Industriebereich einerseits; die Niveauunterschiede zwischen Industriezentren und Entwicklungsregionen, Gefahren technologischen Rückstandes, Arbeitslosigkeit, Finanzierungsengpässe andererseits. Trotzdem sei die Gemeinschaft stark und zukunftsträchtig - den EFTA-Ländern bleibe nichts übrig, als sich darauf einzustellen.

Als besonders eindrucksvoll empfindet Swietly das Zahlenwerk des „Cecchini-Berichts“ — einer umfangreichen Studie über die Kosten der Nichtverwirkli-chung des Binnenmarktes (siehe FURCHE 43/1988).

Auf ihrem Weg zum Binnenmarkt wird die EG noch einige harte Nüsse zu knacken haben. Das ist unbestritten. Swietlys Auswahl und Reihung dieser Nüsse wird aber Kennern eher seltsam vorkommen: Zuerst wird das Lebensmittelrecht genannt, dann das Problem des Ausbildungsstandards, erst an dritter Stelle die Steuerharmonisierung, endlich Pflanzenschutz und Tiermedizin. Nach Auffassung aller Experten ist aber die Steuerharmonisierung der Stolperstein schlechthin. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen des zunehmenden innergemeinschaftlichen Technologiegefälles kommen ebensowenig zur Sprache wie die ordnungspolitischen Zielkonflikte zwischen Hartwährungs- und Arbeitsbeschaffungspolitikern einerseits, Marktwirtschaftlern und Anhängern der „Synergie“ zwischen öffentlicher und privater Aktivität - so heißt das im EG-Jargon! - andererseits.

„Österreich und die EG“ ist Thema eines weiteren Kapitels. In Wien gibt man der Annäherung deswegen mehr Dringlichkeit als anderswo, weil die wirtschaftliche Abhängigkeit Österreichs vom EG-Markt größer ist als die der anderen EFTA-Länder (übrigens auch größer als so manchen EG-Mitgliedstaates!). Der Autor erläutert kurz die verschiedenen Alternativen einer Ankoppe-lungspolitik—vom Vollbeitritt bis zur „punktuellen“ Ausverhandlung einzelner Probleme, vom Mitfahren im EFTA-Geleitzug

„Die Steuerharmonisierung ist der große Stolperstein“

bis zum sogenannten „autonomen Nachvollzug“ (FURCHE 25/1987). Eine Blütenlese von Zitaten illustriert die Auffassung der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Kräfte. (Ob die Bauernvertreter noch immer so uneingeschränkte Befürworter sind, wie’der Autor meint?)

Auch zur Vereinbarkeit von Neutralität und EG-Mitgliedschaft wird dem Leser ein bunter Strauß von Meinungen vorgelegt - von Rudolf Kirchschläger und Kurt Waldheim (skeptisch) zu den Völkerrechtlern Waldemar Hummer und Michael Schweitzer (positiv).

Manches, was da referiert wird, ist freilich inzwischen nicht mehr vertretbar, und leider gibt der Autor zu seinen Zitaten kaum Verständnishilfen. Der Laie gewinnt den Eindruck, daß da nur ganz subjektive Meinungen nebeneinanderstehen; unter welchen Voraussetzungen welche Gründe für oder gegen diese oder jene Auffassung sprechen, bleibt unklar.

Dann aber folgen fast 80 Seiten, die den besten Teil des Buches bilden, Unter dem Titel „Vier Freiheiten und die Folgen“ übersetzt Swietly hier tatsächlich die Resultate einer Reihe von Studien über die Auswirkungen des Binnenmarktes aus Österreich ins Allgemeinverständliche, und zwar ganz konkret. Womit muß der Bankmanager rechnen, oder der Frachter, der Bauunternehmer oder der Architekturstudent, der Bergbauer und der Autofahrer -und nicht zuletzt: der Finanzminister? Daß schon jetzt versucht wird, in der österreichischen Gesetzgebung den EG-Entwicklungen Rechnung zu tragen, hat seinen Grund: Auch ohne Beitritt wird sich Österreich den EG-Normen anpassen müssen, wenn es seine eigenen Chancen als Exportland wahren will.

Weniger aufschlußreich hingegen die Lektüre der folgenden 24 Seiten unter dem Titel „Strategische Vorbereitung auf den Binnenmarkt“. Was da gesagt wird, dürfte jeder Student der Betriebswirtschaft wissen. „EG-Orientierung heißt das Ziel. EG-orientiert denken und danach EG-orientiert handeln heißt der Weg dorthin“ - ist das wirklich eine faszinierende Empfehlung? Und was über den Wegfall von Exportförderung für Lieferungen innerhalb eines einzigen Marktes oder über Produktionszyklen gesagt wird, ist so neu auch wieder nicht.

Schließlich versucht der Autor noch, das Organsystem der EG und seine Arbeitsweise zu erläutern.

Die Botschaft des Buches läßt sich so zusammenfassen:

• „Nicht die wankelmütige Politik, sondern die unumstößlichen Fakten der Wirtschaft“ müssen den Kurs angeben. „Nach diesen Fakten ist auch für Österreich die Entscheidung längst gefällt“ (S. 79).

• Österreich muß sich auf die Wirkungen des Binnenmarktes einstellen, egal ob es „drinnen ist und mitmachen muß oder draußen bleibt…“

• Es gibt Chancen und Risken.

Hurrastimmung ist ebenso verfehlt wie Kleinmut.

• Das Verhältnis von Neutralität und Vollbeitritt ist, nach Rudolf Kirchschläger, „die Quadratur des Kreises“.

So weit, so gut: diese Botschaft wird vermittelt. Weniger gelungen ist der Versuch, das, wovon die Rede ist, wirklich einsichtig zu begründen und die Prinzipien und Mechanismen der EG-Integration begreiflich zu machen. Zahlreiche Fachausdrücke der EG-Sprache werden verwechselt oder mißverstanden — von „Arbeitsbedingungen“ bis „Zinspolitik“, von „Europäischer Rat“ bis „Souveränität“, von „Harmonisierung“ bis „Rechtsangleichung“. Die zentralen Eigenheiten der „Gemeinschaftsmethode“ (die wirklich konstruktiven Einfälle der EWG-Vertragsväter) werden als „Spielarten der nationalstaatlichen Harmonisierung“ dargestellt, also verzerrt. Das hat leider auch Konsequenzen für die Darstellung dessen, was Österreich zu erwarten hat.

Im historischen und systematischen Teil finden sich leider Fehlinformationen in Fülle. Manchmal stößt der Leser auf offene Wi-

„Nach den Fakten der Wirtschaft ist die Entscheidung längst gefällt“

dersprüche: liegt der Anteil des „Geschützten Sektors“ nun bei gut 50 Prozent oder bei 60 Prozent? Kosten die Grenzkontrollen die Wirtschaft nun 200 Milliarden Schilling oder 140 Milliarden?

Wer auf präzise Information Wert legt, ärgert sich über die immer wieder auftauchenden Wendungen „Fachleute meinen…!“, „Fachleute schätzen…“, ohne daß man erfährt, wer da wann was gesagt hat. Als ob nicht auch Fachleute verschiedene Meinungen hätten, j a manchmal sogar die eigene ändern würden!

Auch die Literaturliste ist eher merkwürdig: für ein- und denselben Vertragstext werden drei Ausgaben angeführt, aber kein einziges systematisches Lehrbuch, »keiner von den gängigen Kommentaren (ohne die der Laie fast zwangsläufig Irrtümern aufsitzt), und im übrigen vor allem Amtsdrucksachen und auch Darstellungen von Außenseitern (im wörtlichen und übertragenen Sinn).

Schade. Nur eines von sieben Kapiteln des Buches hält, was der Werbetext verspricht. Aber da das Buch das einzige seiner Art ist, wird wohl bald eine zweite Auflage fällig sein. Vielleicht könnte der Autor den Mängeln abhelfen?

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Direktoriumsvorsitzender des Institutes für Euroäi-sche Politik in Bonn.

COU^fTDOWN ZUR EG -Anleitungen zum Uberleben im europäischen Markt, Von Ernst Swietly. Ueberreuter Verlag, Wien 1988, 252 Seiten, öS 248,-

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