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Streit der Währungshüter

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Ein Beitritt zur EG bedeutet mehr als Vor- oder Nachteile für heimische Wirtschaftszweige. Das zeigt die Diskussion um die Errichtung einer Europäischen Zentralbank.

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Ein Beitritt zur EG bedeutet mehr als Vor- oder Nachteile für heimische Wirtschaftszweige. Das zeigt die Diskussion um die Errichtung einer Europäischen Zentralbank.

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„Österreich und die EG“ - das Thema hält die Medien nach wie vor auf Trab, jede Woche gibt es Neuigkeiten. So auch jüngst, als EG-Außenkommissar Willy de Clerq zur Eröffnung des neuen Verbindungsbüros der Gemeinschaft nach Wien kam und mit den Spitzen der hiesigen Politik konferierte.

Daß dabei das Stichwort „Vollbeitritt“ eher das Etikett „vorläufig nicht“ erhielt, ist kein Wunder. In der Regierung sind noch längst nicht alle Fragen ausdiskutiert; aus Brüssel war schon seit längerem eindeutig zu hören: „Bis 1992

Ruhe an der Beitrittsfront!“ Mindestens bis zu diesem Zeitpunkt; haben Kommission und Ministerräte alle Hände voll zu tun, wenn der Binnenmarkt planmäßig realisiert werden soll; zusätzliche Auseinandersetzungen über die Beitrittsbedingungen neuer Aufnahmekandidaten lassen sich im Arbeitsplan kaum mehr unterbringen.

Das ist kein Grund zum Jammern; es wäre nur gut, wenn man in Österreich intensiver darüber nachdenkt, was auf uns zukommt und wie wir uns dazu stellen wollen.

Kanzler Franz Vranitzky hat dabei immer wieder die unterschiedlichen Vor- und Nachteilsschätzungen verschiedener Branchen betont und bemerkt, die Bundesregierung müsse die Belange der ganzen Volkswirtschaft in Betracht ziehen, nicht nur die einzelnen Wirtschaftszweige. Wie wahr!.'Aber auch die Volkswirtschaft ist mehr als die Summe aller Kammersektionen zuzüglich sonstiger Sozialpartnerinteressen, und „Integration“ bedeutet nicht nur die Veränderung von Marktchancen.

Daß es um viel mehr geht, hat jüngst eine ganz neue Diskussion schlagartig deutlich gemacht: zur Debatte steht die Errichtung einer Europäischen Zentralbank. Auch dies ist freilich ein Thema, das hierorts wenig Aufregung verursacht; hält man doch den Schilling im Verbund mit der D-Mark für gut aufgehoben. Gerade deren Hüter wurden jedoch geradezu aufgescheucht: Zwischen Frankfürt (dem Sitz der Deutschen Bundesbank), Paris, Bonn und Brüssel laufen Drähte und Postwege heiß, seitdem vor einigen Wochen das Stichwort „Zentralbank“ ins Spiel kam. Schon sieht es aus, als stehe nicht mehr das „Ob“, sondern nur noch das „Wie“ zur Debatte. Was steckt dahinter?

Ein echter Binnenmarkt braucht die Bündelung der Wirtschafts- und Währungspolitik. Die Öffnung der Grenzen setzt Kräfte frei, die ohne gemeinschaftliche Regulierung Wirtschaft und Währung aus dem Gleichgewicht brächten; ein ordnungspolitischer Rahmen ist daher ebenso erforderlich wie die Abstimmung der Geld- und Fiskalpolitik. Mit den eher lockeren Mechanismen des jetzigen „Europäischen Währungssystems“ ist da wenig auszurichten, und deshalb wird schon jetzt ein föderaler Uberbau für die Nationalbanken der Mitgliedsstaaten verlangt.

Der Streit geht darum, ob das Modell der unabhängigen Deutschen Bundesbank gewählt werden soll (von deren Status auch die Stabilität des Schillings profitiert hat), oder ob nach französischem Vorbild die Regierung weisungsbefugt sein soll. Damit ist aber schon vorentschieden, daß neben oder über der Euronationalbank eine Art Regierungsorgan bestehen muß, ein Wirtschafts- und Finanzministerium der Binnenmarktunion. Ob es kollektiv geführt wird oder ob eine Person verantwortlich zeichnet, ist erst die zweite Frage. Nur das Einstimmigkeitsprinzip (anders herum gesagt: das Vetorecht jedes einzelnen) wird man sich nicht mehr leisten können.

Kurz: Wer den Binnenmarkt will, kommt an wirtschafts- und währungspolitischem Souveräni-tätsverzicht nicht vorbei. Er kann sich damit trösten, daß man schon bisher von der formell unangetasteten Souveränität kaum mehr Gebrauch machen konnte; infolge der längst bestehenden faktischen Abhängigkeiten und Verflechtungen bringt die formelle Vergemeinschaftung eher ein Mehr an Steuerungschancen. Wie von diesen Chancen Gebrauch gemacht werden soll, eben darum wird derzeit politisch gerungen. Hat die wirtschafts- oder die währungspolitische Solidarität den Primat, hat Stabilität oder Beschäftigung Vorrang, welche Wirtschaftsordnung soll entstehen? Allerdings gibt der EWG-Vertrag selbst die wichtigsten Grundentscheidungen vor; zusammen mit den Ergänzungen von 1986/87 stellt er nahezu ein Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft dar: die Marktfreiheit für Waren, Dienste, Unternehmerfunktionen und Kapitaltransaktionen bildet die ordnungspolitische Basis, die neuen Artikel zur Solidaritätsverpflichtung ■ zwischen Wohlstands- und Notstandszonen innerhalb der EG stärken die soziale. Komponente.

Ein Vollbeitritt hat jedenfalls nicht nur Konsequenzen, die in Prozent- oder in Schillingzahlen zum Ausdruck kommen; er wirkt sich auch auf unsere Wirtschaftsordnung aus, in einer Weise, die Beachtung verdient. Ist es purer Zufall, wenn die Haltung der Parteien zur EG-Mitgliedschaft der Einschätzung parallel läuft, die ihre Programme zum Thema „Marktwirtschaft“ enthalten?

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft in Wien.

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