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Streit um den Polit-W anderzir kus

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Jahrzehntelangen beharrlichen Bemühungen um ein geeintes Europa stehen seit Jahrzehnten ebenso beharrliche Hemmnisse entgegen. Der Streit um den Sitz der Organe der Europäischen Gemeinschaft, der periodisch aufflackert, um dann wieder unter der Asche weiterzuglimmen, steht geradezu als Symbol für die Schwierigkeit des Unternehmens.

Die EG ist ein überaus komplizierter Apparat mit zahlreichen Organen, deren wichtigste der Ministerrat, die Kommission und das Parlament sind.

Der Ministerrat, bestehend aus je einem Vertreter der Regierungen der Mitgliedsländer, verfügt allein über die Entscheidungsgewalt. Seine Sitzungen finden in Brüssel statt. Seit einigen Jahren treffen sich mindestens dreimal im Jahr die Regierungschefs im sogenannten Europäischen Rat, der abwechselnd in den verschiedenen Ländern tagt und für eine Regelung der Frage des Sitzes der Institutionen allein zuständig ist.

Die Kommission ist die Exekutive der Gemeinschaft; sie bereitet die Beschlüsse des Rates vor und sorgt für deren Ausführung. Sie hat ihren Sitz bekanntlich in Brüssel, und den macht ihr niemand streitig.

Das Europäische Parlament pflegte bis vor kurzem seine Sessionen abwechselnd in Luxemburg und in Straßburg, die Fraktions- und Kommissionssitzung in Brüssel abzuhalten.

Zum guten Funktionieren dieser Organe gehört selbstverständlich ein um fangreiches Generalsekretariat. Es zählt etwa 2000 Beschäftigte und ist in Luxemburg installiert.

Bei einer solchen Regelung müssen die Parlamentarier samt Privatsekretariat und einem Großteil des Generalsekretariats dauernd zwischen Brüssel, Luxemburg und Straßburg unterwegs sein. Daß die Beteiligten dieses ewige Hin und Her kaum als Vergnügungsreisen empfinden, und daß dabei ein ungeheurer Kostenaufwand entsteht, liegt auf der Hand. In dem prägnanten Wort vom Wanderzirkus, womit ein Abgeordneter kürzlich diesen ganzen Betrieb betitelte, kommt jedenfalls eine sehr maßvolle Karikatur zum Ausdruck.

Woher solche Zustände? Daher, daß die Frage nach dem Sitz der einzelnen Organe der EG nie eindeutig und endgültig gelöst wurde noch werden konnte.

Alles ist nur provisorisch geregelt durch Abkommen zwischen den Regierungen aus den Jahren 1956 und 1958: ein Provisorium also, das seit 25 Jahren andauert und dennoch die Errichtung definitiver Gebäulichkeiten sowie ein ‘erhöhtes Angebot von Dienstleistungen aller Art im Gefolge gehabt hat! Sowohl in Brüssel wie in Luxemburg und Straßburg!

Ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen bekunden seit Jahren nicht nur die Parlamentarier und die Beamten, sondern auch die drei Städte.Vergebens.Entscheidungsbefug- nisse kommen allein dem Rat zu; der aber hat im vergangenen März in Maastricht die Beibehaltung des status quo beschlossen und am 30. Juni in Luxemburg einmal mehr seine ausschließliche Zuständigkeit in der Frage des Sitzes betont.

Inzwischen ,hatte das Parlament durch seine Politische Kommission einen Bericht zur Sache ausarbeiten lassen, den der italienische sozialistische Abgeordnete Mario Žagari am 7. Juli in Straßburg dem Plenum vorlegte. Hat das Parlament auch keine gesetzgeberische Gewalt, so steht es ihm doch frei, zu debattieren und abzustimmen. Und was war das Ergebnis dieser Debatte?

Zur allgemeinen Überraschung wurden alle Abänderungsanträge, die auf eine Konzentrierung sämtlicher Organe in Brüssel abzielten, zurückgewiesen.

Die deutschen und die französischen Abgeordneten, ein Großteil der Italiener und der Griechen und schließlich die in letzter Minute hinzugewonnenen Luxemburger bekannten sich zu den Schlußfolgerungen des Kommissionsberichts, der mit 187 gegen 118 Stimmen angenommen wurde. Darin ist dreierlei vorgesehen:

• Das Parlament wird seine Plenar sitzung in Straßburg abhalten. Dieser Punkt für sich allein erhielt 201 gegen 108 Stimmen.

• Die Kommissions-und Fraktionssitzungen werden in Brüssel stattfinden.

• Die Organisation des Sekretariats und.der technischen Dienststellen muß überprüft werden; um sie an die Aufteilung der Parlamentsarbeit zwischen Straßburg und Brüssel anzupassen.

Zum ersten Punkt ist zu sagen, daß bereits 1980/81 die ordentlichen Sessionen des Parlaments in Straßburg abgehalten wurden, während lediglich zwei außerordentliche Sessionen in Luxemburg stattfanden. Der zweite Punkt bestätigt nur den bisherigen Brauch. Der dritte hingegen dürfte folgenschwer sein, indem er die Aufspaltung des Generalsekretariats betreibt, das teils nach Straßburg, teils nach Brüssel verlegt, teils in Luxemburg belassen würde.

Wird die Luxemburger Regierung eine solche Amputation hinnehmen? Werden die Beamten mit ihrer Umsiedlung einverstanden sein? Wie auch immer: ob der Wanderzirkus mehr oder weniger seßhaft wird, hängt in letzter Instanz von einem gemeinsamen Beschluß der Regierungen ab.

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