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Streitpunkt Inkulturation

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Noch Ende 1991 sagte ein indischer Jesuit, nicht ohne Stolz: „Hier in Bombay, der toleranten, weltoffenen Metropole, sind wir weit weg von den religiösen Unruhen im übrigen Indien." Das hat sich geändert.

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Noch Ende 1991 sagte ein indischer Jesuit, nicht ohne Stolz: „Hier in Bombay, der toleranten, weltoffenen Metropole, sind wir weit weg von den religiösen Unruhen im übrigen Indien." Das hat sich geändert.

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Über 60.000 Moslems haben in jüngster Zeit die „tolerante, weltoffene Stadt" Bombay verlassen, weil sie ihres Lebens nicht mehr sicher sind. Zahlreiche Christen sind ihnen gefolgt, haben ihre Geschäfte aufgegeben und Häuser verkauft.

Die religiösen Unruhen der vergangenen Monate (FURCHE 5 und 6/ 1993) lassen inzwischen auch die 21 Millionen indischen Christen nicht unberührt. Weil sich moslemische Schülerinnen geweigert hatten, ihre Kopftücher abzulegen, war es an einer katholischen Schule im südindischen Kerala, Hochburg der Katholiken und Kommunisten, zu Schlägereien gekommen.

Zwar gestattet die Verfassung des säkularen Bundesstaates Indien die Glaubensverkündigung, sie verbietet jedoch die Mission unter Andersgläubigen. Das aber ist der Punkt, an dem sich das Christentum Angriffen ausgesetzt sieht. „Die christlichen Missionare sind das schlimmste Gift in Indien", schimpfte vor einem Jahr ein hinduisti scher Eiferer im zentralindischen Madhya Pradesh, „sie benutzen die Religion, um das Land zu spalten." Er selber hatte gerade in einer Zeremonie über 2.000 christliche Angehörige eines Eingeborenenstammes zum Hinduismus „heimgeführt".

Nach wie vor wird das Christentum oft mit der westlichen Kultur der ehemaligen Kolonialherren identifiziert.

Tragen doch heute noch zahlreiche indische Christen den Namen des portugiesischen Missionars, der ihre Vorfahren taufte: Gomez, Xavieroder Rosario. Im süd- und ostasiatischen Kulturraum, der sich relativ erfolgreich gegen westliche Einflüsse wehren konnte und stolz ist auf seine eigene jahrtausendealte Kultur, sind das schlechte Karten.

Dabei stehen indische Christen in punkto Inkulturation des Evangeliums in vorderster Front. Bereits 1969 genehmigte der Vatikan eine „Indische Eucharistie". An vielen Orten gibt es verheißungsvolle Projekte mit indischer Liturgie und Spiritualität. Doch die sind nicht nur innerkirchlich umstritten. Mancher Hindu sieht darin einen Diebstahl an „seiner" indischen Kultur.

Inkulturiert sind viele Christen aber auch in unschöner Weise. Obschon ihre hinduistischen Vorfahren vor Jahrhunderten getauft wurden, werden „Christen niederer Kasten" heute immer noch diskriminiert. In manchen Gemeinden in Tamil Nadu sitzen sie nur hinten im Kirchenschiff, müssen als letzte kommunizieren. Von den armen Schluckern der kastenlosen „Unberührbaren" ganz zu schweigen. Der Klerus dagegen rekrutiert sich vor allem aus den oberen Kasten.

In einzelnen Dörfern werden sie sogar getrennt begraben. Proteste beim Bischof bleiben oft unbeantwortet. Als erboste Christen einmal die Mauer zwischen den verschiedenen Friedhöfen einrissen, holte der Pfarrer die

Polizei und ließ die Mauer später wieder aufbauen.

Eine Besonderheit unter den christlichen Indern sind die sogenannten „Thomaschristen". Sie führen ihren Ursprung auf den Apostel Thomas zurück, der im ersten Jahrhundert in Südindien missioniert haben und nahe der heutigen Großstadt Madras gestorben sein soll. Das ist historisch zwar nicht ganz bewiesen, doch gibt es einige Anhaltspunkte dafür.

Seit dem 5. Jahrhundert gerieten sie unter den Einfluß der nestorianischen Kirche in Persien; Liturgie und Riten der Thomaschristen waren syrisch. Nachdem im 16. Jahrhundert die Portugiesen in Indien gelandet waren, wandte sich ein Teil von ihnen Rom zu. Ein anderer Teil wurde von Monophysiten aus Antiochia zum monophysitischen Christusglauben bekehrt. Heute teilen sie sich in drei Riten auf: syro-malabarisch, syro-malankarisch und jakobitisch. Die syro-malabarische Kirche ist nach der ukrainischen die zweitgrößte mit Rom unierte Ostkirche.

Im vergangenen Jahrhundert haben Jesuiten und protestantische Missionare besonders unter den eingeborenen Völkern Indiens sehr erfolgreich missioniert. So ist das nordostindische Nagaland an der Grenze zu Birma quasi ein rein katholisches Gebiet. Wenn sich jedoch die Konflikte zwischen Eingeborenen und Indern, wie etwa in Assam, ausweiten, werden sie sicher auch entlang der christlich-hinduistischen Religionsgrenze aus-gefochten.

Der Autor ist Redakteur der Münsterer Bistumszeitung „Kirche und Leben".

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