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Studenten in die Kartause

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Die ehemalige Kartause Ga- ming wird restauriert und re- vitalisiert. Ein niederösterreichi- scher Architekt hat die verfallende größte Kartäuserniederlassung Mit- teleuropas, die weder Bund und Land noch die Kirche haben woll- ten, 1984 um eine Million Schilling gekauft und setzt sie nun in frap- pierend kurzer Zeit - denkmalpfle- gerisch nicht immer angemessen - instand. Schon 1991 soll in dem 1330 gegründeten und 1782 aufge- hobenen Kloster die niederöster- reichische Landesausstellung

„Kunst des Heilens" stattfinden. Auch ein Campus für 150 Studen- ten der Geschichte, Kulturgeschich- te, Philosophie, Deutsch und Eng- lisch der Franziskaner-Universität von Steubenville in Ohio (USA) sowie ein Sprachlabor für Oststu- denten werden eröffnet.

Gekostet hat die Rettung der rie- sigen Anlage, deren neu eingedeck- te Dachfläche allein eineinhalb Hektar beträgt, bisher 64 Millionen Schilling. 17,560.000 Schilling brachte das Land Niederösterreich auf, 12,140.000 Schilling der Bund und 150.000 Schilling die Diözese St. Pölten. 34,150.000 Schilling entfielen auf den neuen Besitzer beziehungsweise auf die 40.000 Mitglieder des Vereines „Maria Thron". Vorrangiges Ziel ist dem Vernehmen nach die Erhaltung der einschiffigen, 1756 barockisierten Kirche samt steinernem gotischem Dachreiter, für die unter Verzicht auf archäologische Untersuchun- gen (!) rund 20 Millionen Schilling erforderlich sind.

Eine der verdienstvollsten Ak- tionen war die Rückführung der sterblichen Überreste Albrechts II. von Österreich, seiner Gemahlin Johanna von Pfirt sowie seiner Schwiegertochter Elisabeth von Böhmen, Tochter des Luxembur- gers Karl IV., in die der Muttergot- tes geweihte Kartausenkirche im Jahr 1985. Als Kaiser Joseph II. 1782 die Kartause im Ötscherland ebenso auflöste wie andere Klöster, wurde nämlich nicht nur das ge- samte Mobiliar, das Archiv, die wertvolle Kircheneinrichtung und die 20.000 Bände der Bibliothek in alle Winde zerstreut.

Auch die Särge der frühen Habs-

burger, ihre Insignien und Epitaphien wurden an meistbietende Händler verkauft. Die Gebeine der Toten ließ man jahrelang im offenen Chor der zum Holzlager und Stall um- funktionierten Kirche lie- gen. Erst nachdem der St. Pöltner Bischof Graf Ho- henwart vom Zustand der Kartause erfahren und Kaiser Franz I. davon berichtet hatte, bestattete man den ersten Habsbur- ger, der in Österreich wirklich Fuß gefaßt, Wien zu seiner Residenz ge- macht und Kärnten er- worben hatte, gemeinsam mit seinen Familienange- hörigen in einer Mauerni- sche beim Hochaltar der Gaminger Pfarrkirche.

Bei der am 11. April 1985 durchgeführten Öffnung des provisorischen her-

zoglichen Grabes entdeckte man nun die beiden seit Jahrhunderten als verschollen gegoltenen Bleita- feln mit den Grabinschriften des 1351 (Johanna) beziehungsweise 1358 (Albrecht II.) verstorbenen Herzogspaares. Die anschließend durchgeführte anthropologischen Untersuchungen ergaben, daß der mit den Beinamen „der Weise" oder „der Lahme" in die Geschichte eingegangene Herzog von Öster- reich nicht gelähmt war. Er hatte vielmehr unter einer schweren Polyarthritis gelitten.

Mit der Restaurierung der Biblio- thek, in der die Kartäuser-Mönche in einer Zeitspanne von 450 Jahren unschätzbare Handschriften, Wie- gendrucke und im Sinne ihres Ordensgründers, des Heiligen Bru- no, wissenschaftliche Werke auf- bewahrt hatten, wurde ein Jahr nach der Rückführung der Habs- burger in ihre alte Grablege begon- nen. Dank der Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt erstrahlen zu- mindest die barocken Fresken des Wenzel Lorenz Reiner, abgesehen von einigen völlig zerstörten und nicht ergänzten Stellen, wie neu.

Prior Josef Kristelli von Bachau

hatte 1723 den größten Freskanten Böhmens nach Gaming bestellt. Dort sollte der Prager Künstler den neben dem Prälatensaal repräsen- tativsten Raum der Anlage schmük- ken, zu der neben der Kirche zwei Kapellen, Priorenzelle, Kapitelsaal, zwei Kreuzgänge und Höfe, eine Krankenzelle und Apotheke, Wirt- schaftsräume und die Mönchshäus- chen gehörten. Mit den Fresken der Bibliothek gelängen Reiner Mei- sterwerke ersten Ranges, die Zeug- nis geben vom Denken der schwei- genden Mönche.

Das Hauptthema im Zentrum des Saales stellt die Allegorie der sie- ben Künste sowie die Malerei, die Bildhauerei und die Architektur dar. An der Ostwand hielt Reiner den heiligen Augustinus, Papst Gre- gor den Großen, Bischof Ambro- sius von Mailand und den Heiligen Hieronimus fest. An der Westwand sieht man die vier Evangelisten mit dem auferstandenen Christus, während die Nord- und Südwand die Prophetinnen und Propheten des Alten Testaments zeigen.

Vom 4. Mai bis 27. Oktober 1991 wird in der Bibliothek, parallel zu der Niederösterreichischen Landes-

ausstellung „Kunst des Heilens - aus der Geschichte der Medizin und Pharmazie" im ehemaligen Priorat eine Dokumentation über Wenzel Lorenz Reiner veranstaltet. Biblio- thek und Prälatensaal sollen später für Konzerte und Festveranstaltun- gen genützt werden. In dem reich mit Stuck verzierten Prälatensaal wird bereits seit Jahren das Cho- pin-Festival der Internationalen Chopin-Gesellschaft in Wien abge- halten.

An Projekten, dieses Kulturdenk- mal wiederzubeleben, ohne aus ihm wieder einen Gastronomiebetrieb zu machen, mangelt es also nicht. Statt eines Campus für amerikani- sche Studenten wäre freilich die Unterbringung universitärer Ein- richtungen der aus allen Nähten platzenden österreichischen Hoch- schulen begrüßenswert gewesen.

Und daß die gesamte Dachfläche mit dem Original nicht entspre- chenden Ziegeln eingedeckt und das Kircheninventar nicht immer fach- gemäß restauriert wurde, hängt wohl mit den Möglichkeiten eines privaten Besitzers zusammen, der auch in der Kategorie der Rentabi- lität denkt.

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