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Studenten zwischen Gewalt und Apathie

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Das Ergebnis der Atom-Volksabstimmung und vor allem die hohe Beteiligung der Jugend haben deren ausgeprägtes Bedürfnis nach Mitbestimmung, nach Partizipation am politischen Leben mehr als deutlich gemacht. Die österreichische Jugend hat an diesem historischen 5. November 1978 eindrucksvoll ihr Unbehagen an der politischen Realität demonstriert und es sehr wohl verstanden, die Einrichtungen der direkten Demokratie zu nutzen. Seit langem schon zeigen die alarmierenden Ergebnisse verschiedener demoskopischer Untersuchungen eine wachsende Kluft zwischen der Jugend und den Vertretern der repräsentativen Demokratie in unserem Lande: Das Vertrauen der Jugend in die politischen Institutionen ist angeschlagen.

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Das Ergebnis der Atom-Volksabstimmung und vor allem die hohe Beteiligung der Jugend haben deren ausgeprägtes Bedürfnis nach Mitbestimmung, nach Partizipation am politischen Leben mehr als deutlich gemacht. Die österreichische Jugend hat an diesem historischen 5. November 1978 eindrucksvoll ihr Unbehagen an der politischen Realität demonstriert und es sehr wohl verstanden, die Einrichtungen der direkten Demokratie zu nutzen. Seit langem schon zeigen die alarmierenden Ergebnisse verschiedener demoskopischer Untersuchungen eine wachsende Kluft zwischen der Jugend und den Vertretern der repräsentativen Demokratie in unserem Lande: Das Vertrauen der Jugend in die politischen Institutionen ist angeschlagen.

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Eine aktuelle Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie („Wie demokratisch sind unsere Studenten?“), heftig in Deutschland diskutiert und teilweise angefochten, attestiert der Jugend ein ähnliches,.Mißvergnügen an den gesellschaftlichen Zuständen“,; gepaart mit Widersprüchlichkeiten in politischen Kernaussagen und eine auffällige Diskrepanz zwischen Realität und „Idee“.

Zahlen aus österreichischen Jugendstudien sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache:

• 80 Prozent der Befragten fordern mehr Mitbestimmung.

• 56 Prozent stehen der Politik kühl, „wenn nicht sogar abweisend“ gegenüber.

• 54 Prozent der Studenten und 74 Prozent aller Jugendlichen meinen, man sei als einzelner in politischen Belangen völlig machtlos.

• 58 Prozent der Studenten glauben, daß keine österreichische Partei sich für studentische Probleme einsetze.

• 46 Prozent der befragten Studenten kennen keinen Staat, dessen Gesellschaftsordnung sie als Vorbild gelten lassen würden.

Kritische Sozialromantiker

Das IMAS-Institut prägte auf Grund einer Jugendumfrage im Sommer 1973 (es wurden mehr als 1500 Personen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren befragt) den Begriff des jugendlichen „Sozialromantikers“. Eine bemerkenswerte Distanz zum politischen Leben sei festzustellen; lediglich ganze 12 Prozent seien am politischen Geschehen stark interessiert und wiesen überdurchschnittliche politische Sensibilität auf. .

Anderseits will fast die Hälfte aller befragten Jugendlichen mit anderen in einer Kommune leben und tritt für bessere soziale Gesetze ein, lehnt den Kapitalismus ab: Der Staat möge die Wirtschaft zwar beaufsichtigen und die Macht der Gewerkschaft einschränken, gleichzeitig sei aber dennoch die Verstaatlichung großer Industrien zu verhindern, denn diese Wirtschaftsform führe zu Leistungs-

verfall und einem Ende des Wirtschaftswachstums.

Auch die 1977 publizierte Studie des österreichischen Instituts für Jugendkunde - eine Umfrage des Fessel-Institutes aus dem Jahr 1976 liegt ihr zugrunde - bestätigt die Neigung der Jugend zu „politischem Fatalismus“. Der Vorstand des Institutes für allgemeine Soziologie und Wirtschaftssoziologie an der Wirtschaftsuniversität Wien, Univ.-Prof. Dr. Anton Burghardt, sieht in der Wohlstandsgesellschaft von heute eine der Wurzeln dieser politischen Abstinenz: Fernsehen, Auto, hohes Taschengeld - dies alles überlagere politische Interessen und Engagement.

Wählte zur großen Überraschung und im Widerspruch zu ihrer politischen Skepsis noch vor etwa zwei Jahren Österreichs Jugend den inländischen Politiker zum häufigsten Vorbild, so ergibt eine vom CV-Stu-dentqnverband jüngst in Auftrag gegebene Studie ein völlig anderes Bild. Auf die Frage „Gibt es eine Person, die Sie als Vorbild bezeichnen würden?“ nannten 15 Prozent der Befragten einen Elternteil, während -und das gibt zu denken und läßt wieder auf eine gewisse resignative Abkehr der Jugend von der herrschenden Gesellschaftsform schließen -die große Mehrheit kein Vorbild für sich finden konnte. Was die Parteipräferenz anlangt, so gibt es noch immer wenig Abweichung vom Elternhaus: vier Fünftel übernehmen die Parteientscheidung ihrer Eltern.

Im Gegensatz zum drängenden Wunsch der Jugend nach aktiver Teilhabe steht deren reduziertes politisches Engagement im Rahmen der institutionellen Möglichkeiten: Nur ein Fünftel nimmt an politischen Veranstaltungen, acht Prozent nehmen an Demonstrationen teil. Von Österreichs Studenten demonstrieren fallweise 20 Prozent. Eine brandneue Untersuchung des Fessel-Instituts, entstanden unter dem Eindruck der letzten innenpolitischen Entwicklungen wie des ÖVP-Erdrut-sches in Wien, der Generalintendantenwahl im ORF und der Volksabstimmung, läßt keine Zweifel daran, daß die österreichischen Jugendlichen spontanen, bürgernahen Aktionen den Vorrang geben gegenüber der undurchschaubaren Parteienpolitik.

Für ein elitäres Wahlsystem?

34 Prozent der Erstwähler erklären die Bürgerinitiative als das bestgeeignete Instrument zur demokratischen Durchsetzung von Interessen; hingegen erklären sich lediglich 14 Prozent dieser Wählerschichte für „sehr interessiert“ an Politik.

In diesem Sinne versteht sich auch die studentische Einschätzung des demokratischen Systems, die durchaus kritische Züge aufweist. Es plädiert rund ein Drittel der Jugend für tiefgreifende Reformen auf gesamtstaatlicher Ebene (siehe Tabelle).

Ebenso kritisch zeigen sie sich gegenüber der Soziälstruktur unserer Gesellschaft Mehrheitlich werden starke soziale Unterschiede empfunden. Allerdings versteigert sich eine skurrile Minderheit von immerhin 14 Prozent der Studiosi noch heute zur Forderung eines elitären Demokratieverständnisses: Der „Gebildete“ soll mehr Stimmrecht erhalten.

Die demoskopischen Daten der Allensbacher Studie bestätigen die Faszination des Egalitätsgedankens auch unter den Studenten der Bundesrepublik. Angesichts der Alternative „Leistung muß sich wieder lohnen“ oder „Mehr Gleichheit bei den Einkommen“ stimmten 37 Prozent

„Glauben Sie, ist die Demokratie, wie sie heute auf gesamtstaatlicher Ebene praktiziert wird, eine... Regierungsform?“

optimale 7

im Prinzip richtige, bedarf

aber tiefgreifender Reformen 31

relativ gute, jedoch verbesserungsbedürftige 53 inadäquate 3

keine Angabe_6

Insgesamt 100

(N=1276)

für die erste Variante und 47 Prozent (bei den hochschulpolitischen Engagierten gar 60 Prozent) für mehr Gleichheit bei den Einkommen.

Weniger egalitär sieht dies beim Durchschnitt der österreichischen Jugend aus: bloß ein schwaches Drittel möchte die Menschen auch dann gleich behandelt sehen, wenn sie we-

nig oder keine Leistung erbringen. Und im Konfliktfall zwischen Freiheit und Gleichheit ist nur ein Drittel der Befragten bereit, der Gleichheit und Gerechtigkeit unter Einschränkung persönlicher Freiheiten den Vorrang zu geben.

Die FURCHE lädt Studenten aller Altersgruppen und Studienrichtungen zu einem Gedankenaustausch in unserem Blatt über das Thema „Wie stelle ich mir die Zukunft unseres Staates vor?“ ein. Wir bitten um kurze, prägnante, konkretisierende Beiträge, damit möglichst viele zu Wort kommen können. Dazu noch ein Angebot: Ab sofort kann jeder Mittel- und Hochschulstudent mit einer Schul- oder Inskriptionsbestätigung die FURCHE um einen auf 50 Prozent reduzierten Abonnementpreis bestellen: nur 60 Schilling im Vierteljahr!

In unserem Land halten fünf Prozent der befragten Studenten die Gesellschaftsordnung der osteuropäischen Länder und Chinas für vorbildlich, lediglich zwei Prozent jene der USA und Kanadas (2. Tabelle).

An Westdeutschlands Hochschulen halten 61 Prozent der Kommilitonen die Idee des Kommunismus für grundsätzlich gut - der praktizierte Kommunismus gefällt ihnen allerdings nicht - während sechs Prozent dieses System in Theorie und Praxis bejahen.

Elisabeth Noelle-Neumann, Leiterin des Allensbacher Instituts, bezeichnet den Kontrast zwischen diesen sechs und 61 Prozent zu Recht als alarmierend: „Die Diskrepanz zwischen Realität und Idee wird nicht durchdacht, Idee und Praxis werden behandelt, als hingen sie nicht zusammen“. Dies bedeute ängstliches Ausweichen vor dem Durchdenken von Konsequenzen, wie es charakteristisch bei Menschen unter - in diesem Fall marxistischem - Konformitätsdruck auftrete. Ihre Schlußfolgerung: Die Gegenposition „Die parlamentarische Demokratie ist eine gute Idee“ sei bei solch einem Zustand nicht zu verteidigen.

An Österreichs Hochschulen wird nicht so schwarz gesehen. Der Vorsitzende der Hochschülerschaft an der Universität Wien, Helmut Brandstätter, ortet kein wie immer geartetes marxistisches Meinungsklima im universitären Bereich: „Die Anhänger des Kommunismus haben sehr wenig Einfluß“. Dennoch weist Brandstätter langfristig auf eine mögliche Gefahr einer Neigung zum totalitären System. Der allerorts spürbare „neue Widerstand“ - wie Studenten selbst ihre Passivität gegen-

über dem politischen Geschehen diagnostizieren - könnte sehr wohl die Mehrheit an eine autoritäre Führung „gewöhnen“. Aus diesem Grunde werde im besonderen von der österreichischen Studentenunion (ÖSU) jede Demokratisierungsbewegung begrüßt.

Demokratie und Gewalt

Nichtsdestoweniger bejaht Österreichs Jugend die Demokratie, wenn auch nicht ganz so, wie sie sich ihr heute darstellt. Dem Anschein nach ist sie dabei, ihre Ohnmacht abzuschütteln, ihrer Unzufriedenheit an dem partizipationslosen Nur-Wäh-ler-Verhalten Ausdruck zu verleihen . und die plebisizitären Instrumente zögernd ins Auge zu fassen. Zögernd deshalb, weil sie jeglichem Aktionismus ablehnend gegenübersteht (Fessel-Jugendstudie 1976: 94 Prozent lehnen Gewaltanwendung ab, nur drei Prozent bagatellisieren Gewalt an Sachen).

Jugendfunktionäre wissen das ganz genau: Niemand hat etwa in Österreich bei einem Ja zu Zwebendorf jugendliche Gewaltaktiönen befürchtet. Und hier unterscheidet sich Österreichs Jugend ganz deutlich von jener unseres Nachbarlandes Deutschland. Dort nämlich sind es laut Allensbacher Studie insgesamt ein Drittel der Studenten, die einen gewalttätigen Verstoß gegen die Gesetze befürworten, wenn ihnen das jeweüige Anliegen dringlich genug erscheint: „Jeder dritte Student an deutschen Hochschulen ist bereit, Gewalt anzuwenden.“

Die beschriebenen Tendenzen weisen auf ein engagiertes Potential in

„Welcher Staat der Erde könnte für eine Verbesserung der Gesellschaftsordnung am ehesten als Vorbild betrachtet werden?“ Staaten

Schweden 16

Schweiz 16

Bundesrepublik Deutschland 3 sonstige west- und nordeuropäische Staaten 7 USA, Kanada 2 Staaten Osteuropas 1 China 4 sonstige bestehende Staaten 4 keine Angabe, kein bestehender

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Insgesamt 100

der Jugend hin, das lediglich verschüttet schlummert. Demokratie, Politik und Parteien müssen sich öffnen und die Jugend einbinden, um zwei Extrementwicklungen vorzubeugen: Radikalismus oder apolitisches Verhalten. Letzteres zeigt alarmierende Anzeichen.

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