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Studentsein in der Krise

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Allein auf der Wiener Warteliste für einen Ausbildungsplatz im Spital stehen über 2.000 promovierte Mediziner. Ohne eine solche „Turnusstelle“ bleibt dem Doktor der Heilkunde der Berufseintritt aber bis auf weiteres verwehrt. Und zwischen Beendigung des Studiums und dem Beginn als Arzt liegen in Österreich derzeit im Schnitt sechs lange Jahre.

Der arbeitslose Akademiker ist längst keine düstere Prophezeiung mehr. Die Realität hat die Prognose eingeholt. Das gilt für beinahe jeden Universitätsabgänger. Gerade auch in Zeiten ei-

ner „Sanierungspartnerschaft“ , die als eine ihrer wesentlichen restriktiven Maßnahmen vereinbart hat, daß nur mehr jede zweite freiwerdende Bundesdienststelle nachbesetzt wird.

Nicht zuletzt hat der Sparkurs der Regierung auch Auswirkim-gen auf das Budget des Wissenschaftsministeriums. Österreichs Universitäten leiden darimter in zweifacher Hinsicht, sowohl in personeller als auch in materieller.

Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen von Studienjahr zu Studienjahr die Studentenzahlen in allen Studienrichtungen nahezu explodierten. In den Hörsälen und Instituten ist der Platz dennoch knapp und das Lehrpersonal in seiner Kapazität heillos überfordert.

In dieser Situation wählen die rund 170.000 ordentlichen Hörer aller österreichischen Universitäten an drei Tagen vom 19. bis 21. Mai ihre Vertreter auf allen Ebenen — vom bundesweiten Zentralausschuß der österreichischen Hochschülerschaft bis hinunter zu den Studienrichtungsvertretern, insgesamt rund 400 Mandatare.

Was hat sich für die österreichische Hochschülerschaft (ÖH), eine Körperschaft öffentlichen Rechts wie Arbeiter- oder Handelskammer, seit den letzten ÖH-Wahlen vor zwei Jahren geändert?

Da ist einmal das schon angesprochene politische Umfeld. Und dann steht dem 1970 von Bruno Kreisky ins Leben gerufenen Wissenschaftsministerium erstmals ein von der ÖVP gestelltes .Regierungsmitglied vor. Hans Tuppy kommt aber nicht nur aus den Reihen der Volkspartei, sondern auch, von der Universität selbst. Als Rektor der Universität Wien stand er bis kurz vor seiner Berufung zum Wissenschaftsminister „auf der anderen Seite“ .

Für die ÖH-Funktionäre trotzdem kein Grund zum Jubeln: bis auf die rechtskonservative „Junge Europäische Studenteninitia-tive“ (JES), die drittstärkste

Fraktion im ÖH-Zentralaus-schuß, hielten die Studentenvertreter mit ihrer Enttäuschung über die Bestellung Tuppys nicht hinterm Berg. Und sie sehen sich mittlerweile zum Teil bestätigt.

Der neue Wissenschaftsminister hält zum Beispiel noch immer 40 Millionen Schilling, die in seinem Budget zweckgebunden für die Anpassung der Stipendien an die steigenden Lebenshaltungskosten vorhanden sind, zurück. Selbst für administrative Verbesserungen, etwa die Entbürokrati-sierung der Inskription von Lehrveranstaltungen, finden die Studenten bei ,Ährem“ Minister kein offenes Ohr.

Dabei hat sich Zusammenarbeit zwischen den für die Universitäten zuständigen Ministern und der gesetzlichen Interessenvertretung der Studenten durch Jahrzehnte hindurch - trotz aller Turbulenzen und gegensätzlichen Standpunkte — am Ende noch immer als positiv für beide Seiten erwiesen.

Daß die Hochschülerschaft in den letzten zehn Jahren auch selbst einen guten Teil dazu beigetragen hat, ihr Durchsetzungsvermögen zu beschneiden, steht auf einem anderen Blatt. Nicht so sehr das sinkende Interesse der Studenten - die Beteiligung bei den ÖH-Wahlen 1985 lag bei knapp 30 Prozent (europaweit gesehen ein noch immer beachtlicher Wert) -, sondern die zunehmende Inanspruchnahme der ÖH-Gremien als „Spielwiese“ für die „große Politik“ führte zu Frustrationen „an der Basis“ .

Aber während die Zahl der wahlwerbenden Gruppen für das „Studentenparlament“ sprunghaft gestiegen ist, lastet die Verantwortimg für die studentische Interessenvertretung mit ihrem Jahresbudget von rund 40 Millionen Schilling im wesentlichen auf der mit 23 von insgesamt 65 Mandaten im Zentralausschuß vertretenen ÖVP-nahen „Aktionsgemeinschaft“ (AG).

Die „Aktionsgemeinschaft“ darf bei diesen Wahlen erstmals nach längerer Zeit wieder auf Stimmen- und Mandatszuwächse hoffen, hat sie doch unter ihrem ÖH-Vorsitzenden Michael Goldinger in den letzten zwei Jahren .JCnochenarbeit“ geleistet. Nach diversen Vorwürfen über die schlampige Gebanmg der ÖH-Fi-nanzen liegen jetzt alle Bilanzen vor. Und die Bilanz für das Jahr 1986 erzielte mit einem Uberschuß von zwei Millionen Schilling das beste Ergebnis seit Bestand der ÖH: ein „Sanierungswerk“ ohne Einsparung bei den sozialen Aktivitäten.

Die Studentenvertreter dürfen aber in erster Linie aus einem anderen Gnmd auf mehr Resonanz unter den Studenten hoffen. In der Krise ist Solidarität das erste Gebot. Denn auch für Studenten gilt: Wer nicht Politik macht, mit dem wird Politik gemacht.

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