7028888-1989_22_10.jpg
Digital In Arbeit

Studienplanungen für die Zukunft

Werbung
Werbung
Werbung

Er war so kliig, daß er das Wort für Pferd in neunzehn Sprachen sagen konnte, und er war so dunun, daß er eine Kuh kaufte, als er ausreitenwollte" (ein Benjamin Franklin zugeschriebenes Zitat).

In Vollziehung der Gesetzekommt der Wissenschaftsverwaltung häufig die Rolle eines Vermittlers zwischen einer auf theoretische Erkenntnis gerichteten Wissenschaft und dem praktische Vernunft betonenden politischen und ökonomischen System zu.

Ich fasse daher die Einladxmg, als Beamter einen Beitrag zur Zukunft der umversitären Bildung zu verfassen, als eine Aufforderung auf, einige der an die Wissenschaftsverwaltung herangetragenen Vorstellungen über künftige Anforderungen an universitäre Lehre darzu-

stellen \md Ungereimtheiten aufzuzeigen, um daraus Chancen für die Gestaltung von "Sl^idien für die Zukunft" abwägen zu können. Diese Vorgangsweise ist der Verwaltung adäquat, sie ist skeptisch, nicht visionär, also weder eine Usurpation der Bildungspolitik noch eine Beeinträchtigimg der universitären Lelu> \md Lemfreiheit.

Grundlage der imiversitären Lehre, der wissenschaftUchen Berufsvorbildung und der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, ist das Allgemeine Hoch-Bchul-Studiengesetz von 1966 (AHStG).

Maßgebliches Ziel dieses Gesetzes war die Bewältigung von Quantitäten: der Masse des ständig ansteigenden Wissensstoffes und der rasch steigenden Studentenzahlen. Es bestand damals einhellig die Auffassung, daß ein Mangel an wissenschaftlich qualifizierten Fachkräften zu beseitigen sei, Fortschritt aus disziplinarer Spezialisierung resultiere imd die Einheit von Forschung und Lehre auch künftig das Kennzeichen universitärer Lehre bleibe.

Die Wissensexplosion in den Disziplinen machte es erforderlich, den Anspruch der Universitäten, sie vermittelten eine Beru&ausbildung (Hochschul-Organisationsgesetz 1955), auf wissenschaftliche Berufs-vorbildung zu reduzieren, die ordentlichen Studien in Diplomstudien und Doktoratsstudien zu teilen und die Weiterbildung der Absolventen als Auj^abe der Universitäten zu formulieren.

Im Laufe beinahe eines Vierteljahrhunderts AHStG zeichnete sich ab, daß die quantitativen Veränderungen, die man mit dem AHStG (und in der Folge mit seiner organisationsrechtlichen Form, dem Uni-versitätsorganisationsgesetzAJOG) in den Griff bekommen wollte, eine Dynamik aufwiesen, der diese Gesetze nicht genügen konnten.

Einerseits gingen die Wissensver^ mehrung, die disziplinare Ausdifferenzierung, die Studentenzahlen und die Veiränderungen im Beschäftigungssystem rascher vor sich ala das im AHStG vorgesehene Verfahren zur Anpassung der Studienre-foim bewältigen kann. Die Folge war eine komplexe, permanente Studienreform.

Anderseits hat die sehr eng interpretierte Verbindung von Forschung und Lehre zu einer geradezu kontraproduktiven Alliance von Forschung und Lehre geführt: jede eben erst im Spezialisierungsprozeß entstandene Disziplin beanispruchte ihre eigene Studienrichtung. Das ist nicht nur ein kostspieUges Unterfangen, Sonden auch ein dem Ziel einer flexiblen wissenschaftlichen Berufsvorbildung widersprechen-I des.

Diese unvorhergesehenenNeben-effekte des AHStG riefen Kritik hervor. Forderungen, die für die Gestaltung der Studien der Zukunft vorgebracht werden, lautem

• Verkürzung der Studienzeiten

• Praxisbezug

• Intemationalität

• Selektion und Qualität Verknüpft mit der Hoffnung,

damit auch das Ziel des postmodernen Humanismus, nämUch den gebildeten, traditionsbewußten All-round-Spezialisten, musischbegabt, sprachlich und politisch gewandt, hervorzubringen.

Die eben angesprochenen Forderungen sind legitim - sie sind es aber nur dann, wenn ihre Befürworter auch die auf sie zukommenden Lasten akzeptieren:

• Verkürzung der Studienzeit, Abbauder "grauenKöpfe" setzteine Selbstreflexion und curriculare Anstrengungen der Universitäten voraus, die nicht auf den Gesetzgeber abgewimmelt werden können. Sie erfordert eine nicht nur verbale Akzeptanz von Weiterbildung, damit eine Überwälzung von volks-wirtschaftUchen AusbUdungskosten auf betriebliche und individuelle Träger.

• Ahnlich der Praxisbezug, der zu unterscheiden ist vombetrieblichen AugenbUcksbedarl Ein betriebswirtschaftlicher Kolonialismus widerspricht dem volkswirtschaft-hchen Anliegen von Flexibilitätund MobiUtät der Beschäftigten.

• Intemationalität: die Überlegungen dazu beschränken sich häufig auf ein Hoffen auf Gnade von außen. Intemationalität ist ähnlich dem Dialog eine Beziehung, das heißt, sie kommt nur dann zustande, wenn auch etwas gegeben wird. Intemationalität heißt auch, der Faszination des andemorts Angenehmeren zu widerstehen und auch weniger Beliebtes (wie zum Beispiel die Bestrebungen nach einer quantitativen Ausweitung der Studen-tenzahlen,mitLastenfür Wirtschaft und Universität) zu sehen (Jospin-fVankreich, Baker-Großbritannien).

• damit zusammenhängend: selektive Universitätssysteme basieren auf einem wenig selektiven Sekundarbereich. Wie in anderen Bereichen auch, ist die Möglichkeit der Wahl (und damit auch die Zu-friedenheit mit QuaUtät) gering, wenn bereits viele Vorselektionen stattfanden.

Auff älhg ist, daß die angeführten Punkte gleichlautend von Politik, Wirtschaft und Wissenschaftssystem vorgebracht werden. Dies drückt eine nachhinkende Anpassung des Wissenschaftssystems gegenüber anderen gesellschaftlichen Subsystemen aus.

Studienangebote für die Zukunft werden nicht erreicht, wenn man den Anforderungen anderer Bereiche "nach dem Munde spricht". Noch ist offen, ob die Universitäten dem Erfordernis als Verhandlungspartner, ihre Vorstellungen zur künftigen Entwicklung einzubringen, nachkommen oder ob die universitäre Bildung den Arbeitgeberwünschen von gestern gerecht wird.

Seklion»d»ef ao. Univ. Prof. Dr. Sigurd Höllinger ist Leiter der Sektion Hochschulen und wisaeiuchaftUdie Einrichtungen im Bundeami-nittcHum für Wisaeiudiaft und Forachtang.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung