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Studium begründet keinen Bildungsbesitz für alle Zukunft
Das neue Schuljahr hat begonnen, das neue Studienjahr an den Universitäten läuft in wenigen Tagen an. Die Abc-Schützen von heute werden am Ende dieses Jahrhunderts am Beginn, die Studenten von heute am Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Was sie alle erwartet, kann heute noch nicht vorausgesagt werden. Trotzdem ist das Jahr 2000 so nahe herangerückt, daß es immer mehr zum Zielpunkt vorausschauender Überlegungen gemacht wird. Die FURCHE stellt daher ihre Sonderbeilage „Bildung“ unter das Motto „Blickpunkt 2000“ und hat der für die Institutionen der höchsten Bildung zuständigen Ressortchefin Wissenschaftsminister Dr. Herta Firnberg eine Reihe von Fragen gestellt.
Das neue Schuljahr hat begonnen, das neue Studienjahr an den Universitäten läuft in wenigen Tagen an. Die Abc-Schützen von heute werden am Ende dieses Jahrhunderts am Beginn, die Studenten von heute am Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Was sie alle erwartet, kann heute noch nicht vorausgesagt werden. Trotzdem ist das Jahr 2000 so nahe herangerückt, daß es immer mehr zum Zielpunkt vorausschauender Überlegungen gemacht wird. Die FURCHE stellt daher ihre Sonderbeilage „Bildung“ unter das Motto „Blickpunkt 2000“ und hat der für die Institutionen der höchsten Bildung zuständigen Ressortchefin Wissenschaftsminister Dr. Herta Firnberg eine Reihe von Fragen gestellt.
FURCHE: 22 Jahre trennen uns noch von der Jahrhundertwende, ein Abstand, der bereits gewisse Prognosen möglich macht. Wie werden sich,, Ihrer Meinung nach, zu diesem Zeitpunkt die in den Hochschulgesetzen festgelegten Aufgaben der Universitäten - die wissenschaftliche Berufsvorbildung und die Bildung durch Wissenschaft -darstellen müssen?
FIRNBERG: Für einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren sind ganz sicher keine Prognosen in der in der Frage enthaltenen Form möglich; insbesondere ist die zum Ausdruck kommende Auffassung über die Reichweite von Prognosen - dieser Begriff unterstellt eine gewisse Exaktheit und Verläßlichkeit - viel zu optimistisch hinsichtlich der Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Erfassung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung.
Was die Aufgaben und Zielsetzungen der Universitäten betrifft, so hat der Gesetzgeber zurecht die Aufgaben und Ziele der Universitäten sehr allgemein - fast zeitlos -formuliert. Die konkreten Anforderungen an die Universitäten sind in den gesellschaftlichen und technischen Wandel einbezogen und damit Veränderungen unterworfen, die sich nicht klar vorwegnehmen lassen. Das Jahr 2000 wird darüber hinaus seine eigene theoretische und praktische Interpretation der Ziele der Universitäten finden müssen. Was sich in etwa angeben läßt, sind Bedingungen, unter denen die Universität anpassungsfähig bleibt - Bedingungen, wie sie teilweise im Gesetz als leitende Grundsätze enthalten sind: in Freiheit der Wissenschaft verpflichtet zu sein, Offenheit im weitesten Sinne, also nicht nur für wissenschaftliche Lehrmeinungen und Methoden, sondern für alle Entwicklungen der sozialen und natürlichen Umwelt; in sozialer Verantwortung der Entwicklung der Wissenschaften ebenso zu dienen wie der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der wissenschaftlichen Berufsvor-und -ausbildung.
FURCHE: Wieweit werden sich die Universitäten in den nächsten 20 Jahren auf die Aufgabe der Fortbildung ihrer Absolventen einstellen müssen, auf eine Aufgabe, die ebenfalls bereits in den Hochschulgesetzen aufscheint, bisher aber noch nicht wahrgenommen wird?
FIRNBERG: Der in der Frage enthaltene Befund ist im großen und ganzen richtig. Angesichts der raschen Umwälzung des Wissens gibt es keine „abgeschlossene“ Hochschulausbildung mehr. Eine in der Jugend erworbene Ausbildung kann insoweit einem raschen Verschleiß unterliegen, als sie nicht ständig nach dem letzten Stand der Wissenschaften erneuert wird. Ein Hochschulstudium begründet heute keinen „Bildungsbesitz“ mehr, von dem der einzelne über Jahrzehnte hinweg „zehren“ könnte; dies gilt sowohl hinsichtlich der beruflichen Anforderungen als auch der sozialen Anerkennung, die mit einem akademischen Grad verbunden ist.
Der Aufgabe der Weiterbildung der Absolventen der Hochschule wie der Bildung durch Wissenschaft ganz allgemein - insbesondere durch Zurverfügungstellung der Ergebnisse und Erkenntnisse der Wissenschaft - wird unzweifelhaft eine erhöhte Bedeutung zukommen.
FURCHE: Nach den heute vorliegenden Erwartungen wird die Zahl der Universitätsabsolventen in diesem Zeitabschnitt weiter ansteigen; die Zahl der Arbeitsplätze, die eine Hochschulbildung voraussetzen, und speziell die der Führungspositionen in der Gesellschaft, wird aber nicht im selben Ausmaß vermehrt werden können. Wie weit wird sich, Ihrer Meinung nach, durch diese Schere auch das Gewicht zwischen den oben skizzierten beiden Aufgaben in Richtung auf eine stärkere Betonung der Bildung durch Wissenschaft im Sinn eines Beitrags zur Persönlichkeitsentfaltung verschie-^ ben? Welche Auswirkungen auf Strukturen und Zielsetzungen der Universität müßte diese Verschiebung haben?
FIRNBERG: Der Anstieg der Zahl der Hochschulabsolventen wird - aus welchen Gründen auch immer - häufig überschätzt. Im Jahrzehnt zwischen 1961 bis 1971 hat sich die Zahl der jährlich mit Abschluß ihres Studiums die Hochschule verlassenden Absolventen zwar von 2105 auf 4577 verdoppelt, doch bedeutete dies in der Gesamtbevölkerung nur eine geringe Verschiebung: der Anteil der Akademiker an der Gesamtbevölkerung über 24 Jahre stieg lediglich von 2,3 Prozent auf 2,6 Prozent, also um Zehntelprozente; er ist im internationalen Vergleich betrachtet auch heute noch niedrig. Und selbst wenn man eine in die Zukunft reichende Entwicklung mit einer ungebrochenen Hochschulexpansion annehmen würde, würde sich der Akademikeranteil an der Gesamtbevölkerung im Jahre 2000 auf etwa 200.000.- gegenüber 120.000 heute-oder auf etwa 6 Prozent erhöhen. Eine Verschiebung der Bevölkerungsstruktur, wie sie angesichts anderer Bevölkerungsentwicklungen, etwa in der Landwirtschaft oder auf dem Angestelltensektor, als keineswegs dramatisch bezeichnet werden kann, umso weniger, wenn die weitere Akademisie-rung. von Berufen eingerechnet wird.
FURCHE: Welche Bedingungen und Voraussetzungen wird der Hochschulabsolvent des Jahres 2000 auf dem Arbeitsmarkt vorfinden? Wie kann verhindert werden, daß der „akademisch gebildete Taxifahrer“ zum Leitbild frustrierter Akademiker wird?
FIRNBERG: Zuverlässige Arbeitsmarktprognosen sind erfahrungsgemäß nur für kurze Zeiträume möglich r zu umfassend und vielfältig sind die Möglichkeiten des technologischen Wandels und der Berufsfelder.
Bemerkenswerterweise wird des öfteren ein „Leitbild des frustrierten Akademikers“ gezeichnet; von einem „frustrierten Arbeitnehmer nicht-akademischer Berufsqualifikation“ ist hingegen kaum zu hören, weshalb sich in diesem Zusammenhang doch die Frage aufdrängt, ob derartigen „Visionen“ ebenso wie der Besorgnis über eine „Akademikerschwemme“ nicht auch noch andere Gründe, wie etwa traditionelle Standesvorstellungen oder -interessen zugrunde liegen.Selbstverständlich konnten und können nicht alle Akademiker eine „Führungsposition“ erreichen. Die Vorstellung, daß Akademiker vorwiegend für Führungspositionen ausgebildet würden, ist eine Fehldeutung der Aufgabe der Universitäten. Die Masse der akademischen Berufe waren und sind Experten-und Spezialistenberufe auf einem sehr hohen - wissenschaftlich orientierten - Niveau. Aus der Tatsache, daß auch Führungspositionen heute mehr Sachkenntnis verlangen als früher, darf nicht umgekehrt der Schluß gezogen werden, daß Sachkenntnis allein bereits den Anspruch auf eine Führungsposition einschließt. Das gilt umso mehr, wenn die Sachkenntnis vorerst einmal nur durch Schulleistung nachgewiesen ist. Die Bildungsgesellschaft darf keine „geschulmeisterte Gesellschaft“ werden. Wenn Sachkenntnis eine Führungsfunktion mitbegründen kann, dann wohl nur eine Sachkenntnis, die sich in der Praxis, also im Berufsleben, bewährt hat. Auch der Akademiker kann sich dem Spannungsfeld von Konkurrenz und Leistung nicht entziehen. Die Bewährung im Berufsleben, die Selektion der Leistung kann nur im Beruf
selbst, also auf dem Arbeitsmarkt, erfolgen.
FURCHE: Sehen Sie für Osterreich die Notwendigkeit und die Möglichkeit, durch eine Öffnung der Universitäten über die im UOG angepeilten Formen hinaus, etwa im Sinn der open university, den Anforderungen der Jahrhundertwende an das Bildungswesen zu entsprechen?
FIRNBERG: Der Hochschulzugang wird durch das Allgemeine Hochschul-Studiengesetz von 1966 sowie durch die Schulgesetzgebung geregelt. Durch die Berufsreifeprüfung sowie neuerdings durch die Einrichtung der Studienberechtigungsprüfung ist ein Universitätsstudium auch ohne Matura möglich. Ohne Zweifel sind zu den geradezu klassischen Formen des Studiums als ordentlicher oder auch als außerordentlicher Hörer weitere, zusätzliche Formen des Studiums oder der Erwachsenenbildung durch Universitäten wünschenswert und werden in der Zukunft stärkere Beachtung finden müssen; insbesondere dann, wenn die Institution „Universität“ ihrem allgemeinen Auftrag der Bildung durch Wissenschaft, der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Interesse der Entwicklung des menschlichen Individuums wie der Menschheit, in höherem Maße als bisher entsprechen will.
(Die Fragen stellte Felix Gamill-scheg)
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