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Stunde der Orthodoxie

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Nach dem Rücktritt des Kabinetts Golda Meir steht Israel eine schwierige Regierungsbildung bevor. Dabei könnte der oppositionellen jüdischen Orthodoxie eine Schlüsselrolle zufallen, die es ihr ermöglicht, Regelungen durchzudrücken, die von der Mehrheit der Israelis abgelehnt werden, nachdem ihr dies unmittelbar nach den letzten Wahlen nicht geglückt war.

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Nach dem Rücktritt des Kabinetts Golda Meir steht Israel eine schwierige Regierungsbildung bevor. Dabei könnte der oppositionellen jüdischen Orthodoxie eine Schlüsselrolle zufallen, die es ihr ermöglicht, Regelungen durchzudrücken, die von der Mehrheit der Israelis abgelehnt werden, nachdem ihr dies unmittelbar nach den letzten Wahlen nicht geglückt war.

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Das israelische Rückkehrer-Gesetz ermöglicht jedem Juden, wie alt er sein und woher er stammen mag, nach Israel einzuwandern. Als Neueinwanderer hat er das Recht auf Wohnung, Arbeit (so er in arbeitsfähigem Alter ist) und verschiedene Steuervergünstigungen. Ferner erhält er gleichzeitig mit seiner Einwanderung die israelische Staatsbürgerschaft. Bisher genügte es, wenn der Neueinwanderer erklärte, daß er Jude sei und dies an Hand von Dokumenten beweisen konnte.

In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Mischehen, die zwischen Juden und Christen in der Diaspora eingegangen wurden, an manchen Orten bis um 75 Prozent gestiegen. In den meisten Fällen nehmen dabei die nicht jüdischen Frauen die Religion ihrer jüdischen Ehemänner an. Bei einer Einwanderung nach Israel wollen natürlich diese Paare dieselben Rechte, wie sie allen anderen Juden zukommen.

Israel hat sich bereits einige Male mit der Frage „Wer ist Jude?“ beschäftigt, doch eine Entscheidung immer wieder verschoben.

In Europa und Amerika ist die jüdische Orthodoxie eine kleine Minderheit. Die meisten, die der jüdischen Gemeinde angehören, ziehen es heute vor, einer liberalen oder konservativen Synagoge anzugehören. Die liberalen Juden haben die jüdische Religion soweit als möglich modernisiert. Da die hebräische Sprache den meisten Juden in der Diaspora nicht geläufig ist, wurden auch die Gebete modernisiert, gekürzt und in die jeweilige Landessprache übersetzt. Viele liberale Gemeinden haben sogar den Sonntag an Stelle des Samstag als Ruhetag eingeführt.

Die konservativen Gemeinden wieder halten zwar die meisten Gebote der fünf Bücher Mosis ein und akzeptieren auch die mündliche Überlieferung, doch sind auch diese Synagogen keineswegs extrem in ihren Forderungen. Man muß nicht unbedingt dreimal am Tage beten.

Da in Israel aber die meisten religiösen Juden der Orthodoxie angehören und der Rest völlig areligiös ist, konnte sich die israelische Orthodoxie eine Monopolstellung innerhalb der Religion erringen. Mit Hilfe ihrer beiden politischen Parteien, der Religiös-Nationalen und der Agudat Israel, konnten sie viele religiöse Forderungen durchbringen und die areligiöse Mehrheit zwingen, diese Gesetze zu akzeptieren. So sind in den meisten Städten Israels die öffentlichen Verkehrsmittel am Samstag außer Betrieb.

In bezug auf die anderen Richtungen der jüdischen Religion war die israelische Orthodoxie besonders unnachgiebig. Konservative und liberale Rabbiner dürfen in Israel nicht öffentliche Funktionen ausüben. Sie dürfen keine Ehepaare trauen, nicht Mitglieder eines Scheidungsgerichtes sein, und sie dürfen selbstverständlich auch keine Nicht Juden in das Judentum aufnehmen. Denn ihr eigenes Judentum wird ja von den Orthodoxen nicht voll anerkannt.

Da nun viele gemischte Paare nach Israel kommen, “ irisbesondere aus der Sowjetunion und den USA, ist die Frage, wer denn Jude sei, von großer Aktualität. Die Religiös-Nationale Partei steht auf dem Standpunkt, daß eine zum Judentum übergetretene Frau, die nicht von einem orthodoxen Rabbiner in die neue Religionsgemeinschaft aufgenommen wurde, keine Jüdin sei. Das hat wieder zur Folge, daß die Betroffenen weniger Rechte eingeräumt erhielten. Die Kinder aus solchen Ehen sind nach Ansicht des israelischen Oberrabbinats und der israelischen Orthodoxie keine Juden und müssen nochmals eine Konversionszeremonie mitmachen, wobei sie zu beweisen haben, daß sie wirklich religiös sind.

Nun fordert die Religiös-Nationale Partei — und wird darin von der Agudat Israel unterstützt —, daß nur die orthodoxe Auffassung, wer Jude sei, von Rechts wegen anerkannt werden und das Innenministerium diesbezügliche Direktiven erhalten soll. Wer in den Augen der Orthodoxie kein Jude ist, hat natürlich auch nicht die Rechte eines Juden. Eine Forderung, der die Unabhängige Liberale Partei, die Bewegung für die Bürgerrechte und die linkssozialistische Mapam auf keinen Fall zustimmen und über die auch viele Kreise innerhalb der Regierungspartei empört sind.

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