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Stunden am Meer

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IDen Strand auf und nieder, • Meilen und Meilen, nicht müde und müde, ohne ein Wort. Hier verliert sich bald jede Richtung, der Ozean hält seine Namen nicht fest. Keiner vertraut hier auf Worte. Wir haben den Kompaß lang nicht geprüft, seine Nadel zu lesen verlernt, und wir haben die Karten verlegt. Wir durchschlafen die Nacht und schmähen die Sterne mit unserer Blindheit. Wir sind eine Zahl, wir sind nicht allein, aber das Wir bekleidet uns nicht. Es gähnt keine Brücke von Auge zu Auge, es rauscht kein Verstehen, die Münder sind Sand. Muscheln sind wir, zurückgelassen, die Wellen, die Kinder spielen mit uns.

In weißen Schuhen, in weißen Haaren ginge man gut und ruhte man gut. Die Gedanken an Haut sind hölzern geworden, hier liegt doch so viel an gestrandetem Zeug. Wir haben die Suche aufgegeben, viele auch die Suche nach Lust. Tagelang liegen wir auf den Betten, abends wechseln wir unter die Nacht. Schlaflos, schlafend, unterschiedlos, wohnen wir jeder allein und für sich. Keiner lädt ein; man wird nicht geladen, der Unfug vom Nahsein hat aufgehört. Erinnerung tropft aus unseren Körpern, salzgeworden und trocken sind wir.

Die Sonne saugt die Farben aus uns. Die Pupillen sind weltweit eins geworden, ein weites graues schlingendes Loch. Pupillen und Sonne, die Zwillingsschwestern, gehen umschlungen dahin. Wir sehen sie schreiten und sind nicht erstaunt. Die Kälte in uns ist chronisch geworden, wir beten zur Stunde: schick einen Freund!, und gleich darauf: schick uns keinen, verschone uns von Hilfe und Glut! Denn, gewichtlos in unseren Worten, sind wir, die Kalten, dem Feuer verwandt.

Ich strecke die Arme erneut nach dir aus. Ich bete um Frühling. Aber Blumen sind Seide aus Spott. Ich stoße die Rosen ab in das Leben, ich bin zu gewichtig, ich bin zu jung. Meine Hand kam zu dir und fiel ins Meer. Liebesspiel dort und Wellenschaum hier; wir beginnen das Meer zu erfassen, im Ausmaß der sterbenden Liebe zum Meer. Schon legen wir Gitter um die Gezeiten, taufen die Wellenkronen mit bläulichen Namen. Du lebst und ich bezähme das Eis.

Anämisch zittert das Gras in den Dünen, zittert um die Rundung der Welt. Beständigkeit langweilt das Wasser zu Tode. Wir müssen nicht nur den Sommer finden, wir müssen schnell und beweglich sein, denn wir Menschen stürben an dieser Stille, die uns Muscheln zum Leben erweckt.

2Die dir abraten von dieser • Stunde, meinen es nicht gut mit dir. Sie wollen dich bestehlen, indem sie dir vorenthalten, was sie nicht begreifen. Die Entscheidung ist gut und gesund, dich unter die Menge am Strand zu mischen. Körper, Körper ohne das Versprechen einer Ankunft für dich, den Denkenden, jedoch mögliche Ankunft an sich. Körper ohne Transzendenz als reine Transzendenz, mögen deine Blicke heftiger gefangennehmen als du meinst, vor dem Ozean verantworten zu können.

Bleib ruhig: es ist eine unentbehrliche Etüde, Größeres für Kleines einzutauschen. Es löst die maßvollen Grenzen auf, du verwechselst dich gar mit anderen: fast wirst du fröhlich. Die Stunde muß freilich dem Südstrand gehören, das Blut muß kochen, auch wenn keiner um dich nackt ist. Die Glut der Begierde nämlich, die einzige dem nördlichen Menschen erreichbare Glut, ist ein Irrtum. Nur die Sonne zählt, nicht was unter der Sonne ist.

Die vor dir im Sande liegen, sind sich der Zeit nicht bewußt. Sie sind Partikel deines Anschauens, und so wirst du, der Bekleidete, der nicht teilnimmt, zur Gottheit. Der Voyeur ist göttlich, die Badenden werden zum Element, aus dem diese Gottheit ihre Allmacht saugt. Die Stunde wird rasch vorüber sein, nichts ist verändert: die Glut besteht fort, nur ist der Abend unfühlbar näher gerückt. Das aber wissen die Strandmenschen erst, wenn die Luft um sie kühler wird. Dann, nach der Hitze sandigen NichtTuns, begrüßen sie wahllos sogar den Abend.

Du aber, das Nachtwesen, hast dir, mit der eisernen Disziplin der maßlos Genießenden, nur eine einzige Stunde gestattet. Du wirst dem Strand der Körper den Rük-ken kehren und, obwohl du kaum auf das Meer, sondern fast immer auf die Jugend geblickt hast, wirst du den Abschied vom Meer, und nur diesen, bedauern, wirst dir noch schnell eine Rückkehr schwören, die dir bald oder nie vergönnt sein mag. Die vergeudete Stunde ist kein Verschwenden, sondern ein Treffer ins Schwarze, besser: ins Azurne hinein.

3Niemand und nichts stört •den Hintergrund Atlantik. Das Meer ist genügend großzügig, um alles Sichtbare wie Empfindbare aufzunehmen und aufzulösen. Nur das oberflächlich Greifbare bleibt, aber wird in seiner Sinnlichkeit gesteigert vor dem Hintergrund Ozean. Eigentlich ist das Meer heilig, was aber besagt dieses Wort?

Adjektiva beschmutzen das Meer. Der Ozean kommt ohne Eigenschaft aus, ohne Sprache. Er genügt sich in seiner Wertlosigkeit, kann es sich leisten, ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Im günstigsten Augenblick, falls wir ihn erleben, werden wir selber ozeanisch, für einen Augenblick. Am Strand wirst du erleben, daß du mit deinen Begierden und Träumen nichts anfangen kannst.

Wieder einmal die Körper. Ruhende, Schlafende, Spielende im Sand, aber selbst das schönste, seidigste Haar, trag in die Erde geschüttelt, unterscheidet sich nicht von Schilf oder Stroh. Fell ist's, aber tierhaft bleibt alles Menschliche, und nirgends klebt Würde.

Ein Knabe liegt - gleichsam leblos — auf dem Bauch im Sand. Nur Haut, nur systemloses Haar, und der Junge krallt, das ist seine einzige Bewegung, die Finger der rechten Hand in den warmfeuchten Boden. Die Frage gilt: ist dies das Leben, diese sich bewegenden Finger einer matten Hand? Ist Tod — hier das Doppelgesicht der Frage — das Aufhören dieser kleinen Bewegung? Die Antwort auf beide Fragen: Ja.

Ansprechen, Anschauen, Anfangen, Zielhaben ist lächerlich. Wozu noch Bewegung, wenn wir wissen, was wir nicht früh genug wissen können: daß der Bewegung die Müdigkeit nachfolgt, die Langeweile, der Tod. Du beginnst nichts mehr, was nicht ewig dauern würde, aber nichts ist ewig, also schaust du nur noch schläfrig und lächelst böse.

Wie stolz, wie arrogant das Meer uns macht!

Die unerreichbaren Körper — nicht Menschen — vor dir bleiben unverändert, Landkörper nur, weil sie das Meer im Rücken oder auch vor der Stirn nicht wahrnehmen. Sie sehen ja nur den Strand. Nichts zählt außer dem Vollkommenen, ”dem” Vollendeten. Ihm nachzueifern, an seiner Ordnung zu bauen, die eine imaginäre ist, das bleibt die schöne Verpflichtung des Narren, der du sein sollst und gelegentlich bist. Alles übrige ist nicht einmal Wahnsinn, ist nur Dummheit, ist nicht Ozean, sondern Strand. Wesenlose Sommertage, an eine äußerste Grenze gestellt.

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