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Sturm an der Weichsel

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In ungewohnter Schärfe hat Polens Primas, Kardinal Glemp, vergangene Woche die polnischen Behörden vor weiteren Angriffen auf Kirche und Papst gewarnt.

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In ungewohnter Schärfe hat Polens Primas, Kardinal Glemp, vergangene Woche die polnischen Behörden vor weiteren Angriffen auf Kirche und Papst gewarnt.

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„Kampf statt Versöhnung und Streit statt Frieden” — mit dieser einprägsamen Kurzformel hat jüngst das Primas Glemp nahestehende katholische Organ „Przeglad Katolicki” die aktuelle Lage in den Beziehungen Kirche-Staat in Polen beschrieben.

Streit und Kampf herrscht gleich an mehreren Schnittlinien im ohnehin angespannten Verhältnis zwischen Kirche und Staat:

• Zum erstenmal hat das polnische Parteiorgan „Trybuna Lu-du” auch dem Papst den Fehdehandschuh demonstrativ hingeworfen. Johannes Paul II. wurde in einem Artikel der „antikommunistischen Verbissenheit” beschuldigt, die die in der Vergangenheit „mühsam ausgearbeiteten Positionen des Dialogs zugrunde richtet”.

0 Der vom polnischen Episkopat mit so viel Mühe verfolgte Plan eines Agrarfonds für die Privatbauern ist vorerst offenkundig gescheitert. Primas Glemp mußte sichtlich enttäuscht in einer Predigt in der St.-Johannes-Kathe-drale in Warschau zugeben, daß dieses Projekt „suspendiert” sei.

• Immer schärfer wird der Ton der Behörden gegen rund 100 Priester, die sie als „Extremisten in der Soutane” bezeichnen. Jerzy Urban, der Regierungssprecher, wörtlich: „Es gibt eine kleine Gruppe von Geistlichen, die hartnäckig die Kirchen zu Stätten politischer Versammlungen machen, Haß und Spannung säen und polnische Gesetze verletzen. Unsere Geduld geht langsam zu Ende”, fügte er unterschwellig drohend hinzu.

Das polnische Parteiorgan „Trybuna Ludu”: „Die politische Führung ist aufgerufen, Schritte gegen diese politisierenden Priester zu unternehmen.” Auf der .Abschußliste” der Behörden stehen etwa der Pfarrer der Danziger St.-Brigitten-Kirche und Beichtvater Walesas, Prälat Henryk Jankowski, oder der Breslauer Jesuit Adam Wiktor. Sie müssen mit Strafverfolgung rechnen oder zumindest fürchten, daß das Staatssekretariat für Kirchenangelegenheiten von der kirchlichen Hierarchie mit Nachdruck ihre Versetzung in eine unbedeutende und kleine Landgemeinde verlangt.

• Uberfälle von unbekannten Tätern auf bekannt regimekritische und mit der „Solidarität” (der Untergrundgewerkschaft) sympathisierende Priester haben nicht aufgehört.

Verehrt wie ein Heiliger

In Krakau wurde - nach Darstellung der kirchlichen Kreise -der Priester Tadeusz Zaleski überfallen und mit brennenden Zigaretten und ätzenden Chemikalien gefoltert. Nach der anfänglichen Zusage, den Vorfall streng zu untersuchen, behaupten die Behörden nun, Zaleski sei ein „Epileptiker” gewesen und habe sich bei einem Sturz die Verbrennungen an seinem Körper selbst zugezogen.

In Wloszczowa, einem Städtchen in Südpolen, das im Vorjahr Schauplatz eines sogenannten Kruzifixkrieges war (ob Kruzifixe in den Klassenzimmern der Schule hängen dürfen oder nicht), wurden die Behörden tätig: Der Rädelsführer des Sitzstreiks in der Schule, ein 19j ähriger, wurde unter Anklage gestellt. Der Pfarrer, Adam Labuda, wurde angeblich von der Polizei beim Verhör damit bedroht, man werde ihn in der Weichsel ertränken - so wie Jerzy Popieluszko. • Der Fall des ermordeten Priesters Popieluszko, der in Polen wie ein Heiliger und Märtyrer verehrt wird, ist seit Freitag vergangener Woche wieder im Mittelpunkt des Interesses der Gläubigen in Polen. Hinter den verschlossenen Türen des Obersten Gerichtshofes in Warschau hat die Berufungsverhandlung begonnen. Sie ist notwendig geworden, weü die vier Geheimdienstoffiziere ihre Urteile im Ausmaß zwischen 15 und 25 Jahren revidiert sehen möchten.

Entgegen der ursprünglichen Ankündigung hat der Staatsanwalt seine Berufung wegen zu „milder” Urteile gegen die Priestermörder nicht beim Obersten Gerichtshof eingebracht (oder einbringen können). •

Die Empörung ist groß

Schon vor der Berufungsverhandlung hat das Regime ein wahres Trommelfeuer gegen den toten Popieluszko gestartet. In einer offensichtlich konzertierten Aktion haben z. B. die Jugendzeitung „Sztandard Mlodych”, das Boulevard-Blatt „Express Wie-czorny” und die Juristenzeitung „Prawo i Zycie” in der ersten Aprilhälfte in Form von Leserbriefen den toten Priester zu schmähen begonnen. „Dieser Mann war nicht ehrenhaft, er war zu sehr emotionell engagiert und hat dafür bezahlen müssen”, heißt es in einem Schreiben zum Fall Popieluszko. In einem anderen Leserbrief heißt es gar: „Ich sympathisiere mit den Leuten, die in das Attentat auf Popieluszko verwickelt waren.” % Sympathisanten und Gesinnungsfreunde des ermordeten Popieluszko müssen mit Repressionen rechnen. So sind zwei weibliche Angestellte des Justizministeriums, die im Vorjahr ihre Sympathie für den später ermordeten Priester öffentüch bekundet hatten, zuerst degradiert und dann entlassen worden.

Der Märtyrer erfreut sich in der Bevölkerung ungebrochener Beliebtheit. Rund 20.000 Menschen nehmen im Schnitt jeden Sonntag in der Stanislaw-Kostka-Kirche in Warschau an Gedenkmessen für den ermordeten Priester teil, wobei traditionsgemäß für die „Wahre Freiheit unseres Vaterlandes” gebetet wird. Auch die verhafteten ehemaligen „Solida-ritäts”-Führer oder Berater wie Adam Michnik, Bogdan Lis und Wladyslaw Frasyniuk haben dort ihre betenden Fürsprecher.

Hartnäckig hält sich in Warschau auch das Gerücht, der wegen „mangelnder Dienstaufsicht” beim Popieluszko-Prozeß in Thorn in Verdacht geratene General des Sicherheitsdienstes und stellvertretende Innenminister, Zenon Platek, sei sogar noch befördert worden: Zum Leiter der Zollverwaltung.

Die Empörung in Polen über all diese Vorgänge ist groß. Man wird der These des katholischen Blattes .Przeglad Katolicki” zustimmen müssen, das am 3. April geschrieben hat: „Wenn zwischen Kirche und Staat Konfrontation statt Dialog herrscht, dann kann dies auf politischer und wirtschaftlicher Ebene über kurz oder lang nur zur Katastrophe führen.”

Bonmonthaft hat dies der namhafte katholische Publizist und Glemp-Berater Andrzej Micew-ski in die Worte gefaßt: „Die Krise in Polen ist zu Ende. Nun beginnt die Katastrophe.”

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