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Sturm auf die privaten Schulen

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Frankreichs Sozialisten rüsten zum Sturm gegen die privaten, vorwiegend religiösen Schulen. Aber in der Bevölkerung regt sich bereits Widerstand. Noch weiß niemand, wie sich in letzter Instanz Präsident Mitterrand verhalten wird.

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Frankreichs Sozialisten rüsten zum Sturm gegen die privaten, vorwiegend religiösen Schulen. Aber in der Bevölkerung regt sich bereits Widerstand. Noch weiß niemand, wie sich in letzter Instanz Präsident Mitterrand verhalten wird.

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Während der sozialistische Staatspräsident Francois Mitterrand in einer von ihm als äußerst schwierig anerkannten Lage an die Einheit der Nation appellierte, organisierten seine laizistischen und vor allem antiklerikalen, sozialistischen Anhänger in Paris eine Massenversammlung, um die Verstaatlichung der privaten, vorwiegend religiösen Schulen zu fördern und hiermit kaum geheilte alte Wunden aufzureißen, unter denen die französische Gesellschaft während Jahrzehnten gelitten hatte.

Premierminister Pierre Mauroy und Erziehungsminister Sa-vary wurden bei dieser Gelegenheit ausgepfiffen, weil sie keine kurzfristigen und radikale Lösungen ankündigten, sondern eher eine Bereitschaft zum Kompromiß erkennen ließen. Es herrschte ein Klima, das an eine ferne Vergangenheit, an die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen erinnerte, als sich in den Dörfern der Volksschullehrer und der Pfarrer mitunter noch als Erzfeinde gegenüberstanden.

Bezeichnend für die erstaunliche Rückkehr der kleingeistigen Linksideologen zu überholten Vorstellungen ist ein flammender. Appell der linksorientierten französischen Freimaurerloge „Grand Orient” zugunsten des absoluten staatlichen Schulmonopols: als ob es in der heutigen Welt keine dringenderen Aufgaben gäbe.

Diese Intervention ist nicht belanglos. Nach zuverlässigen Angaben sind mindestens elf Minister oder Staatssekretäre aktive Mitglieder der Loge.

Die Offensive gegen die religiösen Schulen ist übrigens eine rein sozialistische Angelegenheit. Denn von einigen Einzelfällen abgesehen, hält sich der kommunistische Koalitionspartner vorsichtig zurück. Er erwartet von diesem Spiel keine revolutionären Erfolge. Zudem erschien es ihm stets eine gute Taktik, den Katholiken eine offene Hand anzubieten.

Die V. Republik hatte die Koexistenz der staatlichen und privaten Schulen bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens befriedigend und — wie man glaubte — endgültig geregelt. Der Staat übernahm den größten Teil der finanziellen Last des privaten Schulwesens, das als Gegenleistung staatlich diplomierte Lehrer anstellte und sein Lehrprogramm den öffentlichen Normen anpaßte.

Diejenigen Einrichtungen, deren Lehrkörper nicht sofort den staatlichen Regeln entsprechen konnten, mußten sich mit einer geringeren Finanzhilfe begnügen. Diese zweite Gruppe bildet heute nur noch eine kleine Minderheit.

Der Staat machte ein gutes Geschäft: Seine Zuwendungen dek-ken nicht alle Ausgaben, so daß die Eltern ebenfalls ein gewisses

Qpfer bringen müssen, während andererseits die privaten Schulen eine ausreichende Bewegungsfreiheit behielten. All dies wurde durch das Wahlprogramm Mitterrands plötzlich — und man darf sagen: unüberlegt - in Frage gestellt.

In nicht gerade klarer Form versprach der Kandidat die Eingliederung der religiösen Schulen in ein einheitliches staatliches System. Seine laizistisch-ideologischen Anhänger, vorwiegend repräsentiert durch die einflußreiche und ungewöhnlich finanzstarke Lehrergewerkschaft, erwartet nun die Liquidierung des religiösen Schulwesens.

Die Regierung sucht inzwischen eine Formel, die die Integration ermöglicht, ohne den Pluralismus zu beseitigen. Sie hofft, über zahlreiche Konsultationen mit den interessierten Gruppen den logischerweise unmöglichen Ausweg aus dem von ihr selbst geschaffenen Labyrinth zu finden.

Auch aus finanziellen Gründen will sie sich Zeit lassen. Denn die Integration, wie sie auch immer geartet sein möge, kostet viel Geld. Die Lehrer der privaten Schulen müssen dann alle Vergünstigungen des Beamtenstatus erhalten. Außerdem hat der Staat für die überwiegend privaten Vereinigungen gehörenden

Schulgebäude aufzukommen.

Es geht um Milliardenbeträge, die bei einem bereits überaus hohen Defizit der Staatskasse natürlich stark ins Gewicht fallen.

Mitterrand kann und darf schließlich die Reaktionen der öffentlichen Meinung nicht unbeachtet lassen. Zwei Millionen Kinder befinden sich in den privaten Schulen. Hinter ihnen stehen mindestens fünf Millionen Wähler. Noch ausschlaggebender ist der in verschiedenen Meinungsbefragungen klar zum Ausdruck gebrachte Wunsch von rund zwei Dritteln der Franzosen, weiterhin nach eigenem Ermessen für die Kinder zwischen öffentlichen und privaten Schulen wählen zu können.

In einigen Provinzen, insbesondere in der Bretagne und im Elsaß, wären ernste Unruhen zu befürchten, wenn sich die Regierung zur Verstaatlichung der religiösen Schulen entschlösse. Viele Franzosen sind der tiefen Uberzeugung, daß sie kein Privileg zu verteidigen haben, sondern ein wesentliches Stück Freiheit. Die Trennungslinie geht über die Parteischranken hinweg.

Nur eine ideologisch verbohrte

Minderheit hält eine Änderung des jetzigen Zustandes für notwendig. Die religiösen Schulen sind kein Hort der Opposition. Es befinden sich dort sogar Kinder des staatlichen Lehrpersonals, weil sie bessere Erfolge versprechen als das öffentliche Schulwesen, das sich ohne Zweifel aus einer Reihe von Gründen in einer Krise befindet.

Vorläufig weiß niemand, wie sich in letzter Instanz der Präsident verhalten wird. Den gegebenen Schwierigkeiten ist er sich sicherlich durchaus bewußt. Wiederholt war er aber schon, verpflichtet, den extremeren Elementen in seiner Partei entgegenzukommen.

In der anderen Waagschale befindet sich jener nicht kleine Prozentsatz von Katholiken und Protestanten, die vor einem Jahr zum ersten Mal für einen Sozialisten gestimmt hatten und ihm die Liquidierung der religiösen Schulen nicht verzeihen würden.

Realistisch vorstellbar ist als Alternative für ein staatliches Schulmohopol die Scheinintegration der privaten Schulen, die zwar einer stärkeren staatlichen Kontrolle unterworfen würden, jedoch ihre bisherige Unabhängigkeit behielten.

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