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Sturm auf Niederösterreich

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Im bevölkerungsreichsten und flächenmäßig größten österreichischen Bundesland, in Niederösterreich, spielt die SPÖ nur die zweite Rolle und dies keineswegs erstklassig. Das soll — wie es Landesparteiobmann Hans Czettel und sein Sekretär Strache am jüngsten SP-Niederösterreich-Parteitag erklärt haben — anders werden.

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Im bevölkerungsreichsten und flächenmäßig größten österreichischen Bundesland, in Niederösterreich, spielt die SPÖ nur die zweite Rolle und dies keineswegs erstklassig. Das soll — wie es Landesparteiobmann Hans Czettel und sein Sekretär Strache am jüngsten SP-Niederösterreich-Parteitag erklärt haben — anders werden.

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Bis zum Samimer sollen rund 8000 neue Parteimitglieder gewonnen, eine ,,Soaialoffensive'' gestartet, ein „Wirtschaftsgipfer' initiiert und eine „Jugendstaatsanwaltscbaft“ in Angriff! genommen werden. Jetzt schon läuft eine als unabhängig deklarierte Aktion „Jung sein in Nie-derösterreich'', die in den letzten Wochen von Mitgliedern und Anhängern der ÖVP-Jugend so massiv unterlaufen wunde, daß man in der SPÖ schon daran denkt, diese Aktion wieder abzublasen.

So mißlingt den niederösterreichischen Sozialisten in der Praxis vieles, was aim Reißbrett klug entworfen schien. Vor allem ein entscheidender Wahlertolg bei Landtags-waMen, der mit den von den Sozialisten so intensiv kritisierten „konservativen Strukturen“ im Kernland Österreichs endgültig aufgeräumt hätte. Schon zweimal, 1969 und 1974, ging mit dem Landeshauptmann-Kandidaten Hans Czettel dieses Vorhalben gründlich daneben. Nun wurde er von den Delegierten zum SP-Landesparteitag mit 99,4 Prozent der Stimmen, einem für eine offene Partei aufsehenerregenden Ergebnis, wiedergewählt

Hans Czettel, einst ein sehr engagierter und passabler Innenminister, dürfte über die Grünide von Erfolg und Mißerfolg mehr wissen als der eu seiner höheren Ehre organisierte iParteitagsjubel. In Niederösterreich spricht er — Zentralbetriebsrat der Ternitzer Schoeller-Bleckimann-Werke — in der Sprache des gebürtigen und passionierten Ottakringers genau jene Schichten an, die ohnedies und unter allen Umständen die SPÖ wählen würden: die Arbeitnehmer in den verstaatlichten Betrieben, ein Gutteil des städtischen Proletariats. In den sozialistischen Hochburgen kommt er bei den Facharbeitern und kleinen Angestellten schon schlechter an (das zeigen die Ergebnisse der Landtagswahlen in Wiener Neustadt, St. Pölten und Amstetten), bei den Bauern — sie machen in Niederösterreich immer noch 15 Prozent der Gesamtbevölke-rumg aus — fällt er übenhaupt durch. Ein Vorstoß zur niederösterreichi-sohen Mittelschicht blieb ihm und seiner Partei bislang bei LandtagswaiMen verwehrt. Das ist nicht nur eine Folge seines geringen „politic appeaäs“, sondern vor allem der Breis für offen deklarierte politische Zielsetzungen, die in diesem Land der Eigenheimbauer ganz einfach abgelehnt werden. Beispielsweise die Forderung nach einer Besteuerung des Zweitwohnsitzes, von der er sich nun jedenfalls verbal abzusetzen versucht Inhaltlich glaubt sie ihm wahrscheinlich jeder Niederöster-reioher, soweit er Czettel und die generell äußerst orthodoxe SP-Politik lin Niederösterreich kennt Eine Politik, die immer wieder politische Herrschaft, Ämterkumulierung, verkarstete Strukturen, konservative Werte angreift und dabei in ihrem ganzen Ersoheiniungsbild zu einer Karikatur der eigenen Kritik wird. Wo immer sich den niederösterreichischen Sozialisten auch nur eine Chance auf einen Politposten bietet, greifen sie beherzt zu, um dann die Ämter-Patronage zu kritisieren. Derlei Widersprüche wurden noch auf keinem Landesparteitag diskutiert, obwohl sie seihst den niederösterrei-ohisohen Parteimitgliedern nur zu bewußt sind. Beispiele für die kleinkarierte Haltung dieser sozialistischen Landiesorganisatiion gibt es viele; nur zu gut in Erinnerung ist, wie sich diese SP-Einrichtung etwa gegen die Kandidatur von Karl Blecha gesträubt hat, um dann so ehrenwerte (doch völlig unprofilierte) Parlamentarier wie Josef Pfeifer, Wadiöka, Lona Murowatz, Herbert Haas, Rudolf Tonn und Pölz durchzusetzen, alles durchaus akzeptable Kommunalpolitiker in nie-derösterreiohdschen Klein- und Mittelstädten, alber eben auch kein biß-ohen mehr.

Bruno Kreisky, übrigens selbst niederösterreichisoher Mandatar mit ständigem Wiener Wohnsitz, dürfte die Malaise seiner Partei im österreichischen Kemiland nur zu bekannt sein^ Er soll großen Wert darauf gelegt haben, seinen Lateinamerika-Trip so frühzeitig zu beginnen, daß er in Niöderösterreiöh nicht das Parteitags-Referat halten mußte. Für ihn sprang ÖGB-Präsident Anton Benya ein, jener Mann, der 1967 für einen SP-Bundesvorsitzenden Hans Czettel gegen Bruno Kreisky eintrat; dem in Niedierösterreich eben auch nichts anderes einfiel als ein paar Worte über butrwiespolitisohe und gewerkschaftliche Absichten.

Dabei hätte die SPÖ in Nieder-österreioh möglicherweise respektable Chancen auf einen politischen Landeserfolg. Das Potential ihrer möglichen Wähler schöpfte zuletzt Bruno Kreisky bei den Nationalratswahlen aus. Gelingt es der nieder-österreichischen SPÖ bei Landtagswahlen bestenfalls mit einer Differenz von 60.000 Stimmen an die Lan-des-ÖVP heranzukommen, so erreichte die Bundes-SPÖ im Oktober 1975 immerhin eine Differenz von nur 1200 Stimmen zur Volkspartei.

Für die niederösterreichische VP muß dieses Vorrücken einer als liberal empfundenen Politik in ihre eigenen WäMerschichten zu denken geben; sie darf sich nicht einreden, daß eine von Hans Czettel geführte iLandes-SPÖ ohneldies ungefährlich Bei. Denn nirgendwo in der Politik gibt es ewige Reservate des Erfolgs. Und immer wieder kann es Überraschungen geben. Keineswegs eine Überraschung wäre es beispielsweise, wenn die SPÖ ihren Spitzenkandidaten noch wenige Monate vor den nächsten Landtagswahlen im Jahre 1979 gegen einen arideren austauschte. In der niederösterreiohi-schen SPÖ ist davon allerdings weinig zu sehen; was sich anbietet, sind Wiener Sozialisten mit einem nie-derösterreichiBdhen Mandat. Ein Karl Blecha zum Beispiel. Doch auch er ist eher ein Mann für Stammwähler, keiner, der dem Geschmack der konservativen Mittelschicht in Niederösterreich zu entsprechen scheint

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