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Sturz der Götzen

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In den wenigen Zeilen des Matthäus-Evangeliums, die von der Reise der sogenannten „Magier“ handeln, ist die ganze Spannung des Menschenlebens vermittelt: Hoffnung, Freude, Ahnungen, Todesgefahr. Freilich ist die Rede von außergewöhnlichen Menschen, von Trägern alten Wissens und großer Einbildungskraft, erfüllt von eigentümlicher Naivität, wenn sie dem blutigen Despoten den Grund ihrer langen Fahrt angeben, die, gewitzigt durch Ahnungen und Träume, „auf einem anderen Wege in ihr Land zurückkehrten“ (wie eine möglichst wortgetreue Ubersetzung des griechischen Textes lautet).

Im Kern der Reise, über die vom Evangelisten nur wenig ausgesagt ist, steht das Unwahrscheinliche, die Erfüllung: Epiphania, die Erscheinung des Herrn. „Als sie den

Stern erblickten, wurden sie froh in großer Freude gar sehr.“ Die Sprache holpert, ohne ihre feinen Wendungen und Glättungen auszunützen, auf dem Gipfel der Gefühlsmöglichkeiten. Liegt in diesen schmalen Worten das Geheimnis der Konversion? So scheint es: Wer, wie die Magier, nicht glaubt, bedarf einer Erschütterung bis ins Innerste, welche die alten Götzen aus ihm vertreibt.

Verödet und vom Staub der gefräßigen Steppe langsam verschlungen, die prunkvollen Paläste verwüstet und geplündert von Räuberbanden, so liegt die einstmals stolze Weltstadt des alten Orients: Babylon. Seleukos I. hatte durch den Bau der neuen Hauptstadt am Tigris, an gut durchdachter, strategisch bedeutender Stelle, den Auftakt zum Sterben der alten Metropole gegeben. Während die Menschen wegziehen, die kunstvollen Kanäle vertrocknen, die Landschaft verödet, hält die Priesterschaft des Marduk-Heiligtums aus, hält ihrem Stadtgott die Treue.

1925 wurden in der babylonischen Sternwarte von Sippar Tontafeln entdeckt, welche eine Konjunktion des Jupiters mit dem Saturn voraussagten. War diese, der tatsächlich eingetretene scheinbare Stillstand von Jupiter, des Marduk-Planeten, und seine Annäherung an Saturn, Anlaß der langen Wanderung weniger Magier nach Westen, zum neugeborenen König, dem Hoffnungsträger?

In jüngster Zeit sind im Sudan, in der antiken Stadt Pachoras (dem heutigen Faras bei Wadi Haifa), merkwürdige Fresken mit koptischen und griechischen Inschriften freigelegt worden. Drei Figuren sind dargestellt, in der alten Kirche des 6. Jahrhunderts, ihre Namen als Melchior, Balyto-ra und Thaddadia mühsam entziffert, zu Pferd auf langer Reise.

Waren es tatsächlich drei der seltsamen Götzenpriester, deren Namen: Kaspar, Melchior und Balthasar erst aus der Ubersetzung einer um 500 datierten alexandrinischen Schrift im 9. Jahrhundert hervorgehen? Der Evangelist nennt keine Zahl, künstlerische Darstellungen zeigen vier oder sechs Magier, eine arianische Legende aus dem 6. Jahrhundert spricht von der Zwölf zahl. Die Dreiheit, genannt vom bedeutendsten Gelehrten des christlichen Altertums, Origines Adamantios (185-254), ist freilich, von alters her, nicht nur das Zeichen der Auslese, sondern auch das der Ganzheit. Die Magier verkörpern die legendären drei Ras-

sen, die nach der Sintflut die Welt wieder besiedelten: Semiten, Chamiten und Japhetiten. Sie stehen für die damals bekannten drei Weltteile: Europa, Afrika und Asien. Und sie mögen, wie es im 15. Jahrhundert das bemerkenswerte Bildnis des Rogiers van der Weyden zeigt, auch die drei Lebensalter verkörpern.

Ungewöhnliche Menschen sind es, die „Erstlinge der Heiden“, wie Augustinus gemeint hat, doch stehen sie für die ganze Menschheit. Diese Universalität soll auch die Dreizahl der Gaben begründen. In der sogenannten „Goldenen Legende“ des 6. Jahrhunderts haben sie Christus als Gott, König und Menschen verherrlicht. Beda Ve-nerabilis, der große Schriftausleger der germanischen Welt, symbolisiert so das christliche Leben: Gold gilt ihm als Zeichen der Weisheit, Weihrauch als das des Gebets, und die Myrrhe steht für die guten Werke, zu denen wir aufgerufen sind.

Der Magier, so hat es Rudolf Kassner gebündelt, wirkt mit dem Himmel, der Mystiker will in den Himmel aufsteigen. Zwischen Magie und Mystik, Heidentum und Christentum stehen — nennen wir sie so — Kaspar, Melchior und Balthasar. Wissen um die alten Weissagungen, Kenntnis der Planetenbahnen, diesseitige Hoffnungen und Ängste mögen sie bewogen haben, ihre gefahrvolle Reise anzutreten. Die Begegnung mit dem Kind wird für sie zur erschütternden „Umwertung der Werte“. Wahre Macht entäußert sich in Schwäche und Verletzlichkeit; das Paradoxon bestimmt den Mythos:

„Gott wird Mensch, das Uralte ein Kind, der Herr den Knechten gleich, und der Sohn des Königs ist wie ein Verächtlicher“, sucht der syrische Dichter Ephram, im vierten nachchristlichen Jahrhundert, nach Worten. Die drei Reisenden stehen an einer Zeitenwende wie an der inneren. Aus Götzendienst wird Gottesliebe, aus Aberglauben und Dämonenkult werden Anbetung und wache Innerlichkeit. Die Unterwerfung unter weltliche Macht, Grundprinzip des Heidentums, wird anachronistisch.

Kaspar, Melchior und Balthasar entkommen zwarp gewarnt durch ihr Traumgesicht, den Kerkern und Hinrichtungsstätten der weltlichen Macht. Doch diese wütet umso grausamer gegen die Wehrlosen. Es scheint, als zeige der Despotismus, übertölpelt

durch die innere Wandlung der Widerständigen, nun erst sein wahres Gesicht. Welche Lehre für die Gegenwart!

Auf dem glatten Elfenbeinrelief des Mailänder Diptychons, das um das Jahr 460 kunstvoll angefertigt wurde, nimmt das Ereignis den gleichen Raum ein wie die Geburt Christi; auf einem gallischen Sarkophag aus dieser Zeit ist es den Magiern an der Krippe entgegengestellt. Aus dem Bewußtsein der Heutigen scheint der Bethlehemitische Kindermord nahezu verdrängt zu sein. Die Mailänder Darstellung wirkt wie ein Lehrsatz über die innere Logik, den Fluß des Bösen. Seine Voraussetzung ist die Irritation der Macht, des. „Fürsten“ (eine Bezeichnung, die auch und gerade mit Macchiavelli zu lesen ist), der es entfesselt. Herodes, der erfolgreiche Despot in irgendwelchen Diensten, ist nicht nur von Angst und Wut besessen; das Morden geschieht wissenschaftlich, „gemäß der Zeit, die er von den Magiern genau erfragt hatte“. Die Ohnmacht der Mütter, der Schwachen, die ihr Fleisch und Blut nicht schützen können, ist der dritte Teil des Mailänder Reliefs.

Die Sterndeuter, Magier, seit dem 3. Jahrhundert als Könige bezeichnet, stehen in einem Universum von Licht und Todesdunkel. Ihre weite Fahrt zum Heil ist bisweilen als Rückkehr zum verlorenen Paradies dargestellt worden. Uber die Kraft der Voraussage, die zielstrebige Reise und das wunderbare Traumerlebnis spannt sich ein geheimnisvoller Zusammenhang, der die Phantasie unserer Vorfahren in hohem Maße angeregt hat.

„Wer sy ruefft, ver oder nahe, auff wasser oder auff land, oder mit wyz siechtag ein man begriffen wirt, dem hilfft got gnadigli-chen davon durch die ere der hey-ligen drei kungk“, schreibt der Codex Germanicus. Die Heiligen Drei Könige gelten als Schutzpatrone der Reiter, Reisenden und Wanderer. Um nicht zu ermüden, trug man seit dem 12. Jahrhundert Amulette mit dem sogenannten „Dreikönigsegen“. Himmelsbriefe und Schutzzettel sollten in kriegerischen Zeiten sicheren Schutz gewährleisten.

Zahlreiche Volksbräuche hat die scheinbar weissagerische Fähigkeit der Magier bestimmt. Schrieben Mädchen in der Drei-

königsnacht den Namen von Kaspar, Melchior oder Balthasar auf ihr Kopfkissen, so erschien ihnen der Liebste im Traum. Ein ähnliches Ritual sollte den eigenen Tod vorhersehbar machen. Wünschelruten pflegten am Dreikönigstag geschnitten und auf einen der drei Namen getauft zu werden, um erfolgreiches Auffinden von Gold, Silber oder Wasser zu ermöglichen.

Die „weiße Magie“ der Könige scheint von alters her ein probates Mittel gegen Hexen, Dämonen und Teufel. Das Fest Kaspars, Melchiors und Balthasars beendet das Treiben dunkler Kräfte während der sogenannten Rauhnächte. Bis in die Gegenwart ist die Haustürbeschriftung mit geweihter Kreide üblich, die Feuer und Krankheiten fernhalten soll, wobei sowohl die Anfangsbuchstaben der Könige als auch die hinzugesetzten Kreuze einen Abwehr- und Schutzzauber bilden.

Schon seit dem 16. Jahrhundert sind Verfallserscheinungen des Dreikönigbrauchtums festzustellen. Erhalten hat sich, besonders im alemannischen Raum, die verbreitete Bezeichnung von Gasthöfen und Biersorten „Zum Stern“, „Zu den Heiligen Drei Königen“ und „Zum Mohren“. Letzterer, erst in deutschen und nie-

derländischen Darstellungen des 12. Jahrhunderts einbezogen, hat sich dank seiner Beliebtheit bis zur Kasperl-Figur des Volkstheaters gemausert. Schon zu Goethes Zeiten wurde am Dreikönigstag mit dem sogenannten Bohnenball der Karneval eröffnet. Die Ver-kindlichung der Magier ist ein weiteres Indiz für die Verdrängung der alten Tradition aus der aufgeklärten Welt.

Die Aushöhlung der Formen ermöglicht jedoch die geistige Rückkehr zum Fundament der Uberlieferung. Heimkehr zu den Heiligen Drei Königen? Das hieße, die gehetzte Anschauung unserer Zeit wieder östlicher zu machen. „Ex Oriente lux“: keinen geringen Teil seiner kontemplativen Essenz hat das frühe Christentum aus der Welt des Ostens übernommen.

Der Stern, dessen Lauf die Magier beobachtet haben, steht in uns selbst. Von Kaspar, Melchior und Balthasar könnten wir lernen, ihm geduldig zu folgen, mit heiliger Einfalt gegen die drohenden Stelen von Mammon und Macht. Schattenhaft taucht, wie so viele andere, Parsifal an diesem Weg auf. Wie er, so verschwinden die Drei Magier wieder im Dunkel der Geschichte. Oder in der unbeschreiblichen Helle der Erlösung.

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