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Sturz mit Folgen

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Die Verantwortlichen der westlichen Welt beginnen sich auf eine Sowjetunion ohne Michail Gorbatschow einzu- richten. Das haben sie schon des öfteren getan, und bisher immer noch ohne Not, aus Hypothesen Wirklichkeit zu machen. Aber mit jeder Krise im Kreml rückt der Tag dieser Notwendigkeit näher. Was wird passieren, wenn der Kremlherrscher fällt?

Natürlich hängt die Antwort mit den Gründen eines Sturzes eng zusammen. Werden die neuen Machthaber „Reform total" oder „ Zurück zu Lenin " aufs Panier geschrieben haben? Die aktuelle Lage liefert, trist wie sie ist, für beide Lager viele Argumente.

Die Wirtschaft verfällt im- mer mehr. Perestrojka bringt jede Menge Änger für Partei- Apparatschiks, Bürokraten und Militärs. Schinken, Bana- nen und Taschenrechner hat sie bisher nicht in die Ge- schäftsauslagen gebracht, von Wohnungen und neuer Arbeits- freude für jedermann ganz zu schweigen.Die Zweifel des Volkes an der „ Umgestaltung " sind so groß wie die Unfähig- keit der Manager und Massen, sich auf Marktwirtschaft und Mitbestimmung umzustellen.

An die Stelle einer unum- gänglichen Gemeinschaftsan- strengung treten Nationalitäts- hader und der Unabhängig- keitsdrang mehrerer Sowjetre- publiken. Die Vorgänge in Deutschland schaffen neue Sicherheitsprobleme.

Den Radikalreformern um Boris Jelzin geht alles zu lang- sam und zu halbherzig. Sie wollen Demokratie und Markt- wirtschaft total, Westanschluß hier und heute. Setzen sie sich durch, würde das Chaos wach- sen. Man stellt einen Koloß nicht über Nacht auf neue Bei- ne. Aber die Wahrscheinlich- keit, daß Gorbatschow von den Jelzin-Leuten gestürzt werden kann, ist sehr gering.

Viel größer ist die Gefahr eines Putsches der alten Kom- munistengarde um Liga- tschow. Diese würden wofyl nicht offen ein Zurück zu frü- heren Verhältnissen predigen, aber mit Parolen für „ Ordnung, Sicherheit und Einheit der Nation" auch Skeptiker auf ihre Seite ziehen.

Nach den Erfahrungen der Geschichte müßte man in ei- nem solchen Fall mit Versu- chen rechnen, von Problemen im Inneren durch Aufbau äu- ßerer Feindbilder abzulenken. Das Ost-West-Klima würde also rasch neuerlich vereisen.

Aber für einen großen Marsch nach Westen reicht die Kraft der Bolschewistengreise nicht mehr aus. Viel wahrscheinli- cher wären da schon Bürger- kriege und Fraktionskämpfe selbst innerhalb der Roten Armee.

Für die Sicherheit der Welt am besten wäre, wenn Gorba- tschow sich halten könnte. Der Westen sollte alles tun, es zu befördern.

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