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Sturzflug des Doppeladlers

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ORF und RAI wandeln auf den Spuren derÄra.Kaiser Franz Josephs: Das bringt neben sensationellem Do-kumentarmaterial auch ein Wiedersehen mit „Kaiserin“ Sissi.

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ORF und RAI wandeln auf den Spuren derÄra.Kaiser Franz Josephs: Das bringt neben sensationellem Do-kumentarmaterial auch ein Wiedersehen mit „Kaiserin“ Sissi.

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21. Oktober 1911: Erzherzog Karl heiratet Prinzessin Zita von Bourbon-Parma. Es ist ein Fest für die Repräsentanten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Doch nicht viel mehr. Niemand wußte, daß Karl in wenigen Jahren als letzter Kaiser nicht viel mehr übrigblieb, als den Nachlaß des Reiches mehr oder weniger geordnet an die neuen Machthaber zu übergeben.

Als Kaiser Karl am 10. November 1918 mit seiner Familie Schloß Schönbrunn verließ, um sich nach Schloß Eckartsau im Marchfeld zurückzuziehen, war der Schlußstrich unter die Regentschaft der Habsburger gezogen. Die Monarchie war nicht mehr.

Der Exitus des Reiches ist auch gleichzeitig Schlußklappe für die Serie, die der ORF mit dem Titel „Der Untergang eines Reiches“ ab 18. November an vier hintereinan-derf olgenden Montagen, somit bis 9. Dezember, ausstrahlt. Und zwar jeweils zu später Nachtstunde, um 22 Uhr 05, in FS 1.

Die Zeit zwischen 1848 und 1918 wird in der historischen Dokumentation aufgerollt. Es ist die Epoche Kaiser Franz Josephs, die in den letzten Jahren immer mehr zum Objekt historischer Verklärung wurde, die von einer immer größer werdenden Öffentlichkeit taxfrei zur guten alten Zeit erklärt wird.

Der gute alte Kaiser, zum Objekt eines Kultes geworden, der seinen Fixpunkt in den jährlichen Bad Ischler Geburtstagsfeierlichkeiten erhalten hat, der hehre Monarch, der noch heute von der Wand blickt, wenn das politische Österreich nach historischer Legitimation verlangt, der mit seiner Zeit den Hintergrund für die Imagepflege des heutigen Österreich abgeben muß, steht auf dem Prüf stand.

Wie war dieses Reich wirklich, welche Leistungen hat es hervorgebracht, wo waren seine Abgründe, die nicht zuletzt dafür verantwortlich waren, daß es mit ihm bergab ging und im großen Fanal des Ersten Weltkrieges sein Leben aushauchte, diese Fragen sind in der Wissenschaft heute nahezu abgeklärt, alleine die belletristische Legendenbildung hält den Mythos tragischer Schicksalverkettungen am Leben.

Mehr Licht ins Dunkel der österreichisch-ungarischen Vergangenheit zu bringen, das ist Anspruch der Serie, die allerdings nur bedingt mit Geschichtsaufarbeitung ä la „Österreich II“ verglichen werden kann. Denn die Perspektive der Serie ist eine grundlegend andere. Sie ist eine Gemeinschaftsproduktion des ORF mit der italienischen Rundfunkanstalt RAI—somit der Fernsehanstalten der einstigen Kriegsgegner Italien und Osterreich, wie die Presseaussendung des ORF kokett mitteilt.

Die Verantwortung für die Produktion lag in erster Linie bei den Italienern. Der ORF war zumeist nur passiv beteiligt. Die Serie zeigt somit das Bild, das die Italiener vom Glanz und Elend der Habsburgermonarchie verinner-licht haben. Diese Kindesweglegung darf dabei nicht abwertend verstanden werden, denn einerseits entwickelt sich aus dieser Konstellation ein zusätzliches Spannungsmoment. Es ist reizvoll zu sehen, wie der einstige Feind der Monarchie und Siegerstaat des Ersten Weltkrieges Österreichs Vergangenheit heute beurteilt. Die Nostalgiewelle, die zahllose Italiener jährlich zu den imperialen Sehenswürdigkeiten des einst großen Österreich nach Wien zieht, hat ihre Entsprechung in der wissenschaftlichen Aufarbeitung.

Andererseits braucht der ORF sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Immerhin hat der Südtirol- und Italienkenner Claus Gatterer bis zu seinem Tod im Sommer des Vorjahres am Drehbuch mitgearbeitet und die jahrelangen Vorarbeiten für dieses Großprojekt mitgetragen, österreichische Experten wie etwa der Wiener Historiker Adam Wan-druszka gehörten zum wissenschaftlichen Mitarbeiterstab. Zu guter Letzt zeichnet der ORF-Spezialist für schwierige historische Textbücher, Johannes Eidlitz, für die deutsche Fassung verantwortlich.

Daß diese nicht gänzlich dem italienischen Text entspricht, ist dabei nicht auf eine etwaige Einäugigkeit des italienischen Regisseurs und Drehbuchautors Claudio Bondi, des RAI-Spezialisten für historische Themen, zurückzuführen, sondern in erster Linie auf die stärker essayistische italienische Textfassung.

Wo sich Geschichte aber dennoch nicht auf einen Nenner bringen ließ, dort hat der deutsche Text ausbügeln geholfen.

„Radetzkymarsch“ titelt der erste Teil cfer Serie und ruft in Erinnerung, wie sehr kriegerische Auseinandersetzungen die Zeit nach 1848 prägten. Und Österreich schien zum Verlierer geradezu prädestiniert. Der Krieg gegen Italien 1859 mit den Schlachten bei Magenta und Solferino, die mit blutigen Niederlagen endeten; der Krieg um Schleswig-Holstein gegen Dänemark 1864, der nach militärischen Erfolgen zum Desaster 1866 überleitete; die Niederlage in der Schlacht bei Königgrätz gegen Preußen 1866 bedeuteten den Verlust der Stellung der Monarchie in Deutschland und Italien, auch wenn mit Admiral von Tegetthoff, der in der legendären Schlacht bei Lissa die überlegene italienische Flotte vernichtet hatte, ein neuer Held am Kriegshimmel Österreichs erstrahlte.

Der außenpolitischen Schwäche folgte postwendend die innenpolitische, die im Teil 2 „K. u. K.: Die Doppelmonarchie“ dokumentiert wird. In diesem Teil gibt es ein Wiedersehen mit Franz Marischkas Film „Sissi“. In der K. u. K.-Schnulze findet die Krönung Kaiser Franz Josephs zum

König von Ungarn derart hinreißend statt, daß sie in die Dokumentation übernommen wurde.

„Sissi“ liefert aber noch mehr Anschauungsmaterial, wie überhaupt Spielfilme in der Dokumentation herhalten müssen, wenn historisches Filmmaterial fehlt. Die „Notlösung“ für die Epochen, als der Dokumentarfilm noch in den Kinderschuhen steckte oder noch gar nicht erfunden war, wird so zum reizvollen Quiz für alle Zuseher, die in den Genres des Heimatfilms, des Kriegsfilms oder schlicht des historischen „Schinkens“ sattelfest sind.

Neugedrehtes Material ist die andere Quelle, um die filmlose Zeit doqh noch ins Bild zu bringen. Zum Thema wirtschaftlicher Aufschwung, der jedoch durch den Börsenkrach 1873 abrupt gestoppt wurde, sind dann etwa Eislaufende im Prater, die Hochschaubahn, ein Ringelspiel oder das Riesenrad zu sehen.

Als leichter erwies sich die Aufbereitung des dritten Teües, „Die

Zeit des Unbehagens“, da einerseits verstärkt Fotomaterial vorhanden war, andererseits es beim Schwerpunkt kulturelle Entwicklung ohnehin nicht an geeigneten Objekten mangelt.

„Der Zusammenbruch“, das Ende der Monarchie, schließlich ging parallel mit dem Durchbruch des Films. Insbesondere der Erste Weltkrieg kann durch eine Fülle ausgezeichneter Dokumentarfilme belegt werden, wobei allerdings auf Spielhandlungen dennoch nicht verzichtet wird.

Der Vormarsch der Österreicher durch einen Alpensee, der Untergang eines österreichischen Schlachtschiffes nach einem Torpedoangriff, gefilmt von einem Begleitschiff aus, das alles fand sich beim Stöbern in Filmarchiven in Österreich, Ungarn und vor allem Italien. Wobei als Unterschied zu den Propagandafilmen des Zweiten Weltkrieges auffällt, daß die Kriegswirklichkeit nicht annähernd so verbessert wurde, daß jedermann bis zur letzten Minute an den heldenhaften Sieg glauben mußte.

Die letzte Parade Kaiser Franz Josephs auf dem Schwarzenbergplatz, der totale Zusammenbruch im Oktober und November 1918, das alles kann filmisch dokumentiert werden. Der Schlußpunkt, der Auszug des Kaisers und der Kaiserin aus Schönbrunn ist allerdings wieder einem Spielfilm entnommen: der Verfilmung des Alexander Lernet-Holenia-Buches „Die Standarte“.

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