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Was kann die Literatur einem jungen Menschen bieten? Eine junge Vorarlber gerin hat sich für die FURCHE darüber Gedanken gemacht. Die passenden Illustrationen dazu -von der Tiroler Schülerin Babsi Saurwein - fanden wir in der Innsbrucker Schülerzeitung „Incubus“.

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Was kann die Literatur einem jungen Menschen bieten? Eine junge Vorarlber gerin hat sich für die FURCHE darüber Gedanken gemacht. Die passenden Illustrationen dazu -von der Tiroler Schülerin Babsi Saurwein - fanden wir in der Innsbrucker Schülerzeitung „Incubus“.

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Ich bin überrascht wie unvorbereitet mich die Frage trifft, warum ich lese. Denn obwohl ich mich relativ intensiv mit Literatur beschäftige, stelle ich fest, daß ich mich noch nie so recht mit den Antrieben zu diesem Tun auseinandergesetzt habe.

Mein Interesse an Literatur wurde bereits durch die ersten Kinderbücher geweckt und durch sachgerechte Anleitung von Seiten meiner Eltern weiter gefördert. Ich las diese typische Art von Kinderbüchern, die den Leser in Spannung oder verheimlichte Träumereien versetzen, ihn entweder unterhalten oder entspannen können.

Den ersten Ausbruch unternahm ich durch die Beschäftigung mit den Sagen des klassischen Altertums, Heldenerzählungen u. ä., deren Faszination auf mich sicherlich auch für mein späteres Interesse an Geschichte im allgemeinen verantwortlich zeichnet. Als dann im Alter von etwa 13 Jahren die ersten Konflikte in mir aufkamen, begann ich langsam, aber immer stärker, die Konfrontation mit prinzipiellen, menschlichen Problemen und Fragen in der Literatur zu suchen. Zu dieser Zeit sah ich mich oft einfach weit überfordert; aber vielleicht trieben gerade diese Unklarheit, dieser Zwiespalt dazu an, mich weiter mit dieser Art von Literatur zu befassen.

Mit ungefähr 14 Jahren stieß ich zufällig auf Hemingways „Wem die Stunde schlägt“, und ich war begeistert. , BggeisterJ; durch.,die Anziehungskraft, -die von seinen oft beinahe simplen Beschreibungen menschlicher Gefühle und allzu menschlichen Handelns ausging. Neben weiteren Werken Hemingways, die ich nach dieser „Entdek-kung“ geradezu verschlang, begann ich mich zu dieser Zeit für die Werke von Dürrenmatt und Frisch zu interessieren. Während wir Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ im schulischen Unterricht recht genau analyweil ich seine Reaktionen, Meinungen nicht verstehen kann bzw. teilen will.

Ähnlich wie wenn ich jetzt in mein Tagebuch schreibe, so war es damals ausschließlich die immerwiederkehrende Flucht, keine Flucht aus Sinnlosigkeit und Angst, sondern aus der immer stärker werdenden Gewißheit der erfüllbaren Hoffnung in eine faszinierende Welt, die es mir ermöglichte, meine Gedanken, Gefühle und meine Fragen klarer zu sehen. Ich suche nach gültigen Antworten auf diese Fragen, Fragen, die sich mir täglich stellen, die ich selbst immer wieder stelle, und die schließlich in die Frage nach dem Inhalt und dem Sinn unseres Daseins münden. Für mich persönlich ist das die zentrale Frage, von der alle weiteren in gewisser Weise abhängen und sich um diese gruppieren.

Um eine möglichst befriedigende Antwort darauf zu finden, erscheint mir das Bestreben, von einem egozentrischen Standpunkt wegzukommen und möglichst weitreichende Toleranz zu erreichen, als wichtigste, grundlegende Voraussetzung.

Eine umfassende Meinungsbildung kann durch einseitige Information über die Massenmedien nicht erreicht werden. Die einzelnen Berichte und Informationen erdrücken sich sehr oft selbst durch ihre untergeordnete; meist zusammenhanglose Darbietung. Es ist eine weitaus intensivere Beschäftigung mit den Fakten notwendig, welche eben nur durch das „Lesen“ möglich ist. Die Überflutung durch diese Art von vorgekauter Meinung bewirkt in vielen Fällen das Desinteresse von Jugendlichen meines Alters an anspruchsvoller Literatur, das sich, wie man beobachten kann, sehr unterschiedlich auswirkt.

In meiner Klasse und bei meinen Freunden ganz allgemein kann man sehen, daß hier bei den männlichen Altersgenossen ein Hang zur Trivialliteratur besteht. Sie konsumieren alles, vom tragischen Liebesroman hin bis zum prickelnden, spannenden Krimi. Nur vereinzelt scheinen Fach-und Sachbücher auf, neben schwerer zu bewältigenden Werken, wie Thomas Bernhard oder der nach wie vor beliebte „Jugendautor“ Hermann Hesse. Etwas anders liegen die Dinge bei den Vertreterinnen des schwachen Geschlechts. Es steht natürlich außer Frage, daß dieses Faktum nur auf eine kleine Gruppe bezogen ist.

Während einige wenige Stücke von Bauer und Sperr lediglich leise Kritik bis entrüstete Ablehnung ernteten, lösten Werke von Schriftstellern wie Kafka, Bachmann, Handke, Horvath und nicht zuletzt Borchert begeisterte Zustimmung aus.

Ich persönlich interessiere mich vor allem für Ingeborg Bachmann. Durch die Verfilmung der Erzählung „Drei Wege zum See“ angeregt, las ich die Sammlungen „Simultan“ und „Das dreißigste Jähr“, sowie den Roman „Malina“. In all diesen Werken beeindruckte mich in erster Linie ihre rücksichtslose Ehrlichkeit. Eine Ehrlichkeit, mit der sie versucht, ihre eigenen Gefühle und Gedanken und die der ihr nahestehenden Menschen von jener vernichtenden Falschheit, an der so viele scheitern und zugrunde gehen, zu befreien. Und dennoch gelingt es ihr schlußendlich nie, eine tiefe zwischenmenschliche Beziehung aufrechtzuerhalten.

Bachmann skizziert damit die „hoffnungsvolle Ausweglosigkeit“, der sich immer wieder viele Jugendliche gegenübersehen. Die Frage nach den notwendigen Mitteln zur Uberwindung dieser Ausweglosigkeit, die ich in ihren Büchern zu finden hoffe, sie ist es, die mich wieder zu Bachmanns Literatur hinführt.

Auch bei Wolfgang Borchert ist es der unerschrockene Mut zur Wahrheit, der mich vor allem an das Stück „Draußen vor der Tür“ und „Die Hundeblume“ fesselt. Durch selbstlosen Einsatz bis zu seinem frühen Tod brachte er den Schrei einer betrogenen Nachkriegs generation wk>hsam zum • Tragen itind?ermutigte sie immer wieder mit der Forderung „Sägneih!

Diese Forderung, die immer mehr, so scheint mir, in einem oberflächlichen Wohlstand zu verhallen droht, ist es, die wir heute mehr denn je in unser Bewußtsein aufnehmen und umsetzen sollten.

Peter Handke sprach mich besonders mit seinen kurzen Erzählungen

„Wunschloses Unglück“ an. Darin charakterisiert er kurz und prägnant die furchterregende, oft unmenschliche Situation, in der sich so viele Menschen in ärmlichen österreichischen Dörfern und Kleinstädten vor kurzer Zeit noch befanden und sich zum Teil heute noch befinden. In den Werken „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ und „Der kurze Brief zum langen Abschied“ verblüfft mich immer wieder die Klarheit, mit der die täglichen Ängste und Lügen, die flüchtige Hoffnung und Befriedigung eines jeden Menschen aus einer verwirrenden Verkettung von oberflächlichen Fakten herauskristallisiert werden.

In ähnlicher Weise beeindruckte mich „Der Schüler Gerber“ von Torberg. Wahrscheinlich, weil ich mich gerade jetzt besser in die Lage eines Gerber versetzen kann, als ich es später einmal tun würde, trifft mich diese kurze, letzte Zeit eines Schülers unmittelbar. Diese Herausforderung des Hasses und eine klägliche Antwort des Trostes, gescheiterter Rebellion, beschäftigt sicher jeden Jugendlichen während seiner Schulzeit, und auf mich wirkte dieses Buch recht anregend, anregend für ein anderes, gerechteres Verhalten im Schulbetrieb.

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