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SUCHE NACH DEM TEMPEL DER ZUFRIEDENHEIT

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Exotistische Sehnsüchte und Träume für den Ausfluß einer übersaturierten Gesellschaft zu halten, ist falsch. Immer schon träumten die Menschen von „paradiesischen Zuständen".

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Exotistische Sehnsüchte und Träume für den Ausfluß einer übersaturierten Gesellschaft zu halten, ist falsch. Immer schon träumten die Menschen von „paradiesischen Zuständen".

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Schon in der Antike wird der Mythos vom „Goldenen Zeitalter" gepflegt, die „Glückseligen Inseln" beschworen und der Sehnsucht nach dem - zunächst jenseitigen - Paradies nachgegeben. Ein Versuch, das Paradies im Diesseits zu verwirklichen, führte am 12. Februar 1806 zu einer Urkunde der „Geheimen Gesellschaft", die im Stuttgarter Gasthaus „Zum roten Haus" unterzeichnet wurde. Das Paradies sollte in der Südsee liegen: „Aber es bleibt uns unbenommen, das Freye zu suchen, wenn Erdstöße unsere Wohnungen zusammenwerfen; unser Planet hat noch tausend Winkel, wo Freyheit und Zufriedenheit sich Tempel bauen können... Wir wollen Europa verlasen, mit Weibern und Freunden uns aufmachen, und von den zahllosen Südseeinseln zu einem glücklicheren Wohnplatz uns eine herauswählen. -Dort wollen wir uns ansiedeln, Häuser erbauen, Felder anpflanzen, Herden weiden... Dort wollen wir sie suchen, die köstliche Freiheit, dort sollen den gütigen Göttern des seligen Olymp geheiligte Altäre flammen."

Dieses Bild eines ar-kadischen Lebens wurde nie Wirklichkeit und die Betreiber der „Geheimen Gesellschaft" vorGericht gestellt. Und trotzdem hat dieses Dokument alle Ingredienzien des ungebrochenen Traums von großer Welt: tausend Winkel, wo Freyheit und Zufriedenheit sich Tempel bauen können.

Der westliche Im-pact auf außereuropäische Kulturen ist aber häufig zerstörerisch, mobilisiert jene Menschen, die sich um den Erhalt ihrer Tradition sorgen. Nicht grundlos wollen die moslemischen Fundamentalisten in Ägypten den Fremdenverkehr zerstören (siehe S. 15).

Die Vertreter der überentwickelten Welt, die auf Vertreter der Dritten Welt treffen, haben häufig keine Vorstellung, daß durch ihre Reise ein Kontakt erzwungen wird, der völlig verschiedene Denk-, Werte- und Vorstellungssysteme konfrontiert. Dabei müssen zwangsläufig Kräfte wirksam werden, von deren Ausmaß sich beide Seiten keine Vorstellungen machen. Haben doch die Vertreter der Ersten Welt von den Einstellungen der Besuchten gar keine Ahnung oder wollen nicht wissen, daß manches, was in traditionellen Kulturen bedeutsam - ja sogar heilig - ist, früher in Europa ähnlich eingeschätzt wurde.

Gleichzeitig ist ein kolonialherrliches Gehabe mit diesem Auftreten verbunden: Welcher Mitteleuropäer würde in seiner Heimat in einer Kirche rauchen? Kaum einer. Hätte ich es im Ausland nicht selbst gesehen, ich hätte es nicht geglaubt.

Warum glauben Europäer, daß sie in Asien Gegenstände aus einem Tempel kaufen können? Das kann nur seine Ursache darin haben, daß ein Vertreter der überentwickelten Kultur in einer Nacht so viel Geld für ein Bett in einem Hotel ausgeben kann, daß ein Vertreter der Dritten Welt für diesen Betrag ein Jahr lang in die Schule gehen kann. Diese Unterschiede an Lebensmöglichkeiten lassen den Fernreisenden alles käuflich erscheinen, und plötzlich werden Länder kollektiv gedemütigt, indem ganze Luftschiffe voll Sextouristen auf alles Jagd machen, was einen Rock trägt.

Dabei wird gerne übersehen, daß Leben in Armut nicht bedeutet, würdelos zu vegetieren. So mancher Armer in der Dritten Welt lebt würdevoller als ein Geldprotz in der industrialisierten Welt. Und wer jemals gesehen hat, wie differenziert das Sozialverhalten in „unterentwickelten" Gesellschaften sein kann, wie spirituell und behutsam der Umgang mit der Natur sein kann, der wird erkennen, daß das Leben in der Zivilisation vielleicht ungefährlicher ist, doch sicherlich nicht sinnlicher, nicht erfüllender.

Vielleicht ist auch das schon Teil einer Projektion, die ihre Wurzeln im Unbehagen an der eigenen Kultur hat.

Unbestreitbar ist die Tatsache, daß der Ferntourismus weder der Völkerverständigung dienlich, noch als besondere Form der Entwicklungshilfe zu sehen ist. Für , die Völkerverständigung ist die Zeit zu kurz, die Sprachbarriere zu hoch. Man braucht ein Leben, um die feineren Unterschiede und Nuancen in der eigenen Kultur zu entdecken, doch für eine Region fünfmal so groß wie Österreich genügen zehn Tage?

Die Infrastruktur, die für den verwöhnten Reisenden zu schaffen ist, bedient in den wenigsten Fällen die Einheimischen. Beispiel: Eine Nächtigung kostet Schulgeld für ein Jahr. Außerdem sind viele der touristischen Infrastrukturen als Ghettos angelegt. Der Sahib will wenigstens nach der aufreibenden Tour zu den Müllkindern am Rande der Stadt in Ruhe seinen Whisky-Soda genießen .dürfen.

Der Einwand: Gäbe es keinen Tourismus, dann fänden Köche, Kellner, Zimmermädchen, Souvenirhersteller und -händler keine Jobs, hat seine Berechtigung. Wie oft wird von den zerstörerischen Kräften des Tourismus gesprochen, wenn das Problem, in Österreich gäbe es Dörfer, in denen alle mehr oder weniger im Dienstleistungsgewerbe für den Tourismus arbeiten, diskutiert wird. Eine Erdölkrise kann dadurch einen ganzen Landstrich arbeitslos machen. Und ausgerechnet das sollte in einem Land der Dritten Welt anders sein? Der Autor ist Ethnologe.

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