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Lassen Sie mich darauf hinweisen, daß Literatur, Dichtung im weiteren Sinne und Kirche ein verbindliches Element haben: beide bedienen sich des Wortes, in beiden geht es auch um die Sprache. Der Dichter muß täglich um diese Sprache, mit seiner Sprache ringen. In der Kirche ist diese Sprache in der Liturgie seit Jahrhunderten ein wesentliches, ein sehr bedeutsames Element. Die Kirche ist aber nicht nur Liturgie, die Kirche muß, um verstanden zu werden, sich einer Sprache bedienen; damit will sie Zugang finden zu den Köpfen und vor allem den Herzen der Menschen.

Wenn heute eine Rubrik wie „christliche, katholische Dichtung” als Schul- und Richtungsetikett nicht mehr oder kaum mehr vorkommt, so ist das große Thema einer christlichen Literatur und Kunst nicht verschwunden, sondern es hat sich nur gewandelt.

Wolfgang von Goethe war es, der in seinem „Westöstlichen Diwan”, im Kapitel Israel in der Wüste, seine Erfahrungen und Uberzeugungen eines langen Lebens im folgenden Satz aussprach: Das eigentliche und tiefste Thema der Weltgeschichte, das alle erregsamen Geister immer wieder beschäftigte, sei die Auseinandersetzung zwischen Glaube und Unglaube. Es ist — so füge ich hinzu - gar nicht notwendig, daß diese weit- und tiefreichende Auseinandersetzung unter einer literarischen weltanschaulichen Kategorie eingereiht wird.

Die geschichtlich und persönlich tiefreichende Spannung wird immer wieder dort sichtbar, wo sich der literarischen Gestaltung große menschliche Themen aufdrängen und um neuen Ausdruck und Gestalt ringen.

”Cgibt heute mehr denn je I^N große Themen in der alten und vor allem neuen russischen Literatur, die — so wie die Religionsgeschichte der Menschheit uns zeigt — ein bleibendes Zeugnis sind von der großen und den Menschen immer bewegenden Spannung zwischen Glauben und Nichtglauben. Sie finden sich im Visier der letzten großen Frage: Woher komme ich, wohin gehe ich? Das sind religiöse Themen im weiteren oder engeren Sinne, eingespannt in andere Themen, die nicht ohne weiteres unter die Rubrik „religiöse, christliche Literatur” einzureihen sind. Auch negative Formen und Darstellungen gegenüber der Religion sind nicht selten ein Zeugnis für die den Menschen immer begleitenden Spannung und Auseinandersetzung, wie sie Goethe skizziert hat.

Ich bin aufmerksam gemacht worden auf die „Geschichte des Bleistifts” (1982), die aus der Feder eines bekannten österreichischen Schriftstellers stammt. Es ist ein Buch, das vom Titel her mit Glaube oder Religion überhaupt nichts zu tun hat. Und doch zeigen die Aufzeichnungen fast auf jeder Seite, welche Herausforderung Kirche, Liturgie, Predigt auch heute noch, oder gerade heute, wieder bilden. Auch ein scheinbar ganz nebensächlich hingestellter Satz des gleichen Autors wie: „Einmal einem Prediger begegnen, der das auch mit Leib und Seele ist” und der damit die Leute erwecken will — ist ein religiöses Signal, das sich nicht sofort rubrizieren läßt.

Dichtung und Glaube, Religion und Kunst tragen heute ein ganz anderes Antlitz, suchen nach neuen Formen des Ausdrucks. Auch sie leuchten wie ein Licht, hoffnungsvoll in eine von vielen dunkel genannte Zeit.

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