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Suche nach sechs Mördern

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Sechs Terroristen haben mit ihren Geiseln Österreich verlassen. Unter ihnen ein Schwerverletzter, der von einem pflichttreuen österreichischen Polizeibeamten niedergeschossen-wurde und zu dessen Lebensrettung österreichische Ärzte alles unternommen haben, was ärztliche Kunst vermag.

Österreichs Exekutive hat sieh vorbildlich verhalten. Die an Ort und Stelle anwesenden Polizeibeamten bewiesen selbstmörderischen Mut. Verstärkung war innerhalb von fünf Minuten da. Wir brauchen diesbezüglich von niemandem einen Vorwurf zu akzeptieren.

Ist damit aber der Fall außenpolitisch ausgestanden und erledigt? Können wir zufrieden sein, daß der Terrorakt prompt zu einer „inner-arabischen Angelegenheit“ wurde, sind wir diplomatisch fein heraus?

Drei Menschen, unter ihnen Österreicher, wurden auf österreichischem Boden ermordet, zahlreiche verletzt. Wir haben die Mörder ausreisen lassen, um ihre Geiseln nicht zu gefährden. Damit aber ist eine von der österreichischen Justiz gesuchte Mordbande außer Landes.

In welcher Weise und mit welcher Intensität wir ihrer habhaft zu werden suchen, das wird viel über unser staatliches Selbstverständnis und unseren Respekt vor uns selbst aussagen. Und auch darüber, wieviel bei uns das Leben eines Polizeibeamten zählt. Wir könnten es natürlich bei einem formellen Auslieferungsbegehren nebst • mitgeliefertem, augenzwinkernden Verständnis für die Aussichtslosigkeit solchen Begehrens bewenden lassen.

Können wir? Oder sollten, müssen, wir diesmal demonstrieren, daß wir nicht nur das Leben ausländischer Minister, sondern auch das unserer eigenen Menschen, vor allem aber unser eigenes Recht und Gesetz und unsere staatliche Souveränität respektieren? Wir müssen es tun, wollen wir nicht vor uns selbst lächerlich werden. Das aber bedeutet: wir haben mit einem anderen Land eine schwerwiegende Rechnung offen. Sie betrifft die Auslieferung von Mördern. Wir müssen meinen, was wir sagen. Und notfalls eine schwere Belastung unserer Beziehungen zu jenem anderen Land in Kauf nehmen.

Nur ein „Herr Karl“ könnte bei der Überreichung eines solchen Auslieferungsbegehrens zwinkern.

DDR-Janitscharen

Die Wegnahme von Kindern ist eines der ältesten und unmensehldch-sten Requisiten aller despotischen Regime. Üblich dn der Zarerazeit. Üblich im NS-Staat, der die Waisen von Lidice, soweit sie blauäugig waren, deutschen Adoptiveltern übergab. Und die Janitscharen waren bekanntlich weggenommene, zu besonders fanatischen' Streitern für den Islam erzogene Christenkinder.

In der DDR kann neuerdings jemand, der beim Versuch, „mit den Füßen abzustimmen“ (wie Lenin einst das Verlassen eines mißliebigen Staates bezeichnete) ertappt wird, nicht damit rechnen, nach Verbüßung seiner Strafe seine Kinder wiederzusehen.

Sie wurden in mehreren Fällen den zu Freiheitsstrafen verurteilten Eltern entzogen, weil diese sie nicht „zur sozialistischen Einstellung zum Lernen und zur Arbeit“ und „zum sozialistischen Patriotismus und Internationalismus“ erzogen hätten. Sie wurden zur Adoption freigegeben und besonders linientreuen Eltern „anvertraut“.

Die Hoffnung, daß sie zu besonders fanatischen Streitern für den Sozialismus heranwachsen, mag ja aufgehen. Erziehung kann viel. DDR-Janitscharen?

Absurd nur, daß solches im Zeichen des Humanismus geschieht — und obwohl das Regime, das zu solchen Mitteln greift, den Vertrag von Helsinki unterschrieben hat. Ein gravierenderer Verstoß gegen seinen Geist wie gegen seinen Buchstaben wurde bislang nicht bekannt. Eine innere Angelegenheit der DDR? Nicht dann, wenn sie die Republik-flüchtigen nach Verbüßung ihrer Strafe nach Westdeutschland abschiebt und die Kinder zurückhält, wie es in zumindest einem Fall geschah.

AUTOREN IN DIESER NUMMER

Herbert Eisenreich ist Schriftsteller, Träger des österreichischen Staatspreises und des „Prix Italia“ (Seite 3).

Alexander Lernet-Holenia, Lyriker, Erzähler, Dramatiker, war Präsident des österreichischen PEN-Clubs bis 1973 (Seite 14).

DDr. Johannes Messner ist seit 1935 Universitätsprofessor in Wien und an anderen Hochschulen; er ist der bedeutendste Erneuerer der christlichen Natur-rechtslehre; sein Standardwerk ist „Das Naturrecht“ (Seite 9).

Franz Richter, Autor des Essays „Das religiöse Lächeln“, Professor am Theresianum, ist seit 1974 Präsident des Osterreichischen Schriftstellerverbandes. Werke: „Im Wendekreis der Blume“, „Humanimales“, „Kosmo-Rhythmik“ und andere Lyrikbände (Seite 13).

Teure Retourkutsche

Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt, wenn die Partei des vom Rechnungshofpräsidenten arg gebeutelten Finanzministers sich mit einer Retourkutsche revanchiert. Diese Retourkutsche bestand in einer Aufforderung des Abgeordneten Thalhammer an die Kontrollore der öffentlichen Verwaltung, über ihre eigenen Auslandsreisen Auskunft zu geben. Denn was immer bei dieser bisher unüblichen Prüfung herauskommt: Die Regierungspartei hat damit ein Präjudiz für bislang nicht übliche, äußerst unbequeme Kontrollen gesetzt.

Das Parlament soll also nun das Recht haben, die Reisen des Rechnungshofpräsidenten zu prüfen? Seine Spesenrechnungen zu filzen? Das ist nur gerecht, anderseits aber auch nur dann gerecht, wenn es nicht dabei bleibt. Wenn künftig auch Reisen von Regierungsmitgliedern und Abgeordneten hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und Kosten kontrolliert werden, sofern öffentliche Mittel dafür aufgewendet oder zugeschossen wurden. Der graue Bereich der jeglicher Kontrolle entzogenen Ausgaben war ohnehin schon viel zu groß.

Nur sollten sich sowohl der sozialistische Abgeordnete Thalhammer wie auch beide Parteien darüber im klaren sein, daß der Demokratie, die niemals mehr wert sein kann als die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments, mit Halbheiten nicht gedient sein kann. Wer A sagt, muß auch B sagen. Dieses B könnte eines Tages Durchleuchtung der Finanzen von Gewerkschaften und Kammern, ja, in weiterer Folge, der Pärteifinan-zen heißen.

Die Kontrollgepflogenheiten zuungunsten eines Rechnungshofpräsidenten, der unbequem geworden ist, zu durchbrechen, dann aber zur Tagesordnung der — eigenen — unkontrollierten Reisekosten überzugehen: das wäre unkorrekt; das wäre, undemokratisch, dabei kann es nicht bleiben. Und wenn die Retourkutsche des Abgeordneten Thalhammer alle Beteiligten und Unbeteiligten noch se teuer zu stehen kommt: Wer A gesagt hat, darf um das B nicht herumkommen.

Insulares

Oxford, merry old England. Ein Student hat seine Prüfung bestanden. Beruft sich, da Jurist, alsbald auf eine Verordnung aus dem Jahre fünfzehnhundertsoundsoviel, derzu-folge jedem Kandidaten vor der Prüfung ein Humpen Bier anzubieten sei; dies aber sei unterblieben, sei also nachzutragen. Dem legitimen Verlangen des Studenten wurde entsprochen, der Humpen Bier wurde kredenzt. Dazu ein Strafmandat in Höhe von fünf Pfund Sterling, Denn einer Verordnung aus dem Jahre dreizehnhundertsoundsoviel zufolge habe jeder Kandidat mit umgegürtetem Degen vor der Prüfungskommission zu erscheinen; dies aber sei im vorliegenden Fall verabsäumt worden.

Ist England eine Insel? Der Franzose Tristan Bernard meinte in den zwanziger Jahren, dem sei nicht so, es komme vielmehr auf den Blickwinkel an. Aus englischem Blickwinkel nämlich sei England ein Kontinent, Europa aber bestenfalls eine Halbinsel. England hat sich, wie bekannt, kürzlich entschlossen, Europa anzugehören. Auf britisch: die Halbinsel wurde dem Kontinent angeschlossen.

Ein Cafetier gestorben

Ein Cafetier, ein bedeutender Cafetier, ist tot. Kommerzialrat Erwin Zauner starb an den Folgen eines Autounfalles, Und er hinterläßt Wien ein Problem. Denn was er als Privatmann zuwege gebracht hat, muß seinen Nachfolgern, muß nicht zuletzt Wien, durchaus nicht gelingen.

Kommerzialrat Zauner war nämlich der Inhaber des Cafe Landt-mann, und damit einer Wiener Spezialität. Das Landtmann ist, zusammen mit den Cafes Prückl und Schwarzenberg, das letzte in seiner überbrachten Form erhaltene, intakte Wiener Ringstraßencaf£. Seit vielen Jahren, wird darüber diskutiert, es unter Denkmalschutz zu stellen. Was bisher nur deshalb unterblieb, weil es sich ohnehin in besten Händen befand und niemand für seinen Bestand, niemand unsachgemäße Veränderungen zu.fürchten brauchte.

Der Denkmalschutz für das Landtmann hat nun eine Selbstverständlichkeit der Stunde zu sein. Er hat unverzüglich zu erfolgen. Zusätzlich aber sind Überlegungen anzustellen, wie diese Institution, denn ein Rlng-straßencafe ist mehr als ein Kaffeehaus, vor allen Eventualitäten beschützt werden kann.

Ein Erbe, der Zauners Werk in ungebrochener , Linie weiterführt, wäre natürlich der Idealfall, Aber auch für den Eventualfall, daß diese Lösung nicht zustandekommt, muß vorgesorgt werden. Niemand könnte es einem Erben verargen, wenn ihm die Ablösesumme, die ihm ein sorgenfreies Dasein auf Lebenszeit sichern könnte, lieber wäre als die Weiterführung eines Betriebes, der einen ganzen, gestandenen Mann (oder eine Frau) erfordert.

Wien hätte einmal mehr versagt, würde es zusehen, wie auch hier eine Bank einzieht. Wiens Verantwort-

Jiche sollen sich da keinen Illusionen hingeben. Es steht nicht die Fortexistenz eines Privatbetriebes auf dem Spiel, sondern ein unverwechselbares und unentbehrliches Stück Wiener Substanz.

Entwicklungshilfe für uns

Wien darf die Rettung des Wittgenstein-Hauses zur Kenntnis nehmen. Es wird, unter intensiver Mitwirkung des Bundesdenkmalamtes, wieder genau so, wie es war. Es bleibt die Widmung der einzelnen Räume. Es bleiben die eisernen Türen. Es bleiben die geschliffenen Betonböden. Es bleiben die nackten Glühbirnen. Sogar der originale Farbton der Fassade soll fest- und wiederhergestellt werden.

Der Garten wird, nach dem Bau eines unterirdischen großen Veranstaltungsraumes, wieder , so, wie er war. Im Haus selbst soll nur eine einzige Wand fallen, um zwei Räume zu einem zusammenzulegen. Also auf der ganzen Linie die vorbildliche Revitalisierung eines nicht nur architekturgeschichtlich interessanten Bauwerkes, sondern einer kulturhistorisch erstrangigen Gedenkstätte, wie es auf der Welt kaum sehr viele gibt. Denn hier hat sich, daher die Sonderstellung dieses Gebäudes, ein Großer der Philosophie als Anreger der Baukunst bestätigt.

Und trotzdem — ein lachendes und ein weinendes Auge. Denn was hier zugunsten Wiens und Österreichs geschieht, dazu war weder.Wien noch Österreich imstande. Das Wittgenstein-Haus wurde von der bulgarischen Botschaft (!) angekauft und soll künftig das bulgarische Kulturinstitut beherbergen. Womit die Bulgaren mehr Verständnis für österreichische Denkmalpflege an den Tag legen als wir selbst.

Wir vergönnen ihnen das Wittgenstein-Haus, dieses österreichische Kulturkleinod, von Herzen. Und auch den zu erwartenden zusätzlichen Aufmerksamkeitswert für die Veranstaltungen, die sie dort abhalten werden. Fern liegt uns auch jegliches Räsonieren über „Abverkauf“, über „In-ausländische-Hände-Übergehen“ eines österreichischen Kulturbesitzes, denn das Haus bleibt ja in Wien, für Österreicher endlich auch zugänglich.

Das weinende Auge, die Trauer, bezieht sich nur auf die Tatsache, daß sieh Österreich als unfähig erwies, selber einen würdigen Verwendungszweck für das Wittgenstein-Haus zu finden. Auf unser eigenes Versagen. Erst kulturelle Entwicklungshilfe Bulgariens für Österreich hat die Rettung zuwege gebracht.

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